Netflix: »Jimmy Savile: A British Horror Story«
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»Jim'll fix it« hieß die ungeheuer populäre BBC-Show, in der Jimmy Savile Kindern ihre Wünsche erfüllte, vom Fahren im James-Bond-Auto bis zur Bedienung einer Abrissbirne. Hinter den Kulissen, so erfuhr man viel später, gab es wohl Anweisungen an die Mitarbeiter, Savile auf keinen Fall mit den Kindern allein zu lassen. Man hätte es also früh wissen können, man hätte viele seiner Verbrechen verhindern können. Der Zweiteiler »Jimmy Savile – A British Horror Story« von Rowan Deacon nähert sich dem Unfassbaren – wie ein Mann im Rampenlicht parallel zu seinem öffentlichen Leben ein geheimes zweites Leben führte: Erst nach seinem Tod im Jahr 2011 kamen mehr als 400 Fälle von sexuellem Missbrauch vorwiegend an Mädchen ans Licht, die jüngsten Opfer sollen unter fünf Jahren gewesen sein.
Savile war wohl nicht nur ein trickreicher Manipulator, sondern auch zu berühmt, zu beliebt, zu gut vernetzt – »a national treasure«. Schon Mitte der 1960er feierte er mit seinem exzentrisch-clownesken Auftreten Erfolge mit »Top of the Pops«, posierte mit Elvis und den Stones und fand Freunde in den höchsten Kreisen des Königreichs. Die Archivaufnahmen, die vor allem im ersten Teil des Films die offizielle Karriere Saviles beleuchten, zeigen ihn so, wie auch die Zeitzeugen in den zahlreichen Interviewszenen ihn beschreiben: ein komischer Kauz, ein ständiger Faxenmacher, der nicht nur kaum Privates preisgab, sondern überhaupt kein Privatleben zu besitzen schien, vielleicht auch keine Gefühle. Immer unterwegs und bis zu deren Tod bei seiner Mutter wohnend, schien er der ewige Junggeselle zu sein, gelegentlichen Abenteuern nicht abgeneigt, doch an längeren Beziehungen nicht interessiert. Mit dem heutigen Wissen wirken die Archivaufnahmen des grinsenden Clowns, der bei nicht nur einer Gelegenheit witzelt, man werde seinem üblen Treiben sicher bald auf die Schliche kommen, mehr als unheimlich. Regisseurin Rowan Deacon nutzt diesen Schauereffekt zur Spannungserzeugung, doch der Grusel hat nichts Wohliges. Zugleich ist die Verwendung all dieses Materials zweckdienlich, belegt es doch die manipulatorischen Fähigkeiten des Selbstdarstellers, der von sich beispielsweise auch sagte, er sei nicht besonders schlau, dafür aber raffiniert – was viel nützlicher sei. Wie ein Zauberer ließ Savile Dinge verschwinden, während und indem er offen über sie sprach.
Gerüchte gab es früh, auch einzelne Anzeigen, doch den Opfern wollte zunächst niemand glauben, und sie selbst dachten, sie seien mit ihrer Geschichte allein. Dass dieser gläubige Katholik und Philanthrop, der auf Charity-Veranstaltungen Millionen sammelte, ständig Krankenhäuser und Kinderheime unterstützte, in denselben Institutionen über Jahre hinweg abscheuliche Verbrechen beging: unvorstellbar. Diese andere Seite beleuchtet dann der zweite Teil des Films, in dem Opfer zu Wort kommen und in dem nachvollziehbar gemacht wird, wie die Aufklärung des Falls Savile auch aktiv behindert wurde.
Solide gemacht und spannend, ohne reißerisch aufzutreten, zählt »A British Horror Story« sicher zu den relevanteren der so zahlreichen True-Crime-Formate von Netflix.
OV-Trailer
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