19. Crossing Europe Festival in Linz

Filmfrühlingsgefühle
»Silent Land«

»Silent Land«

Fast wieder wie früher, dabei aber doch ganz neu: das Crossing ­Europe Filmfestival in Linz zeigte anspruchsvolles Autorenkino

Die 19. Ausgabe des Crossing Europe Filmfestivals in der Donaustadt Linz fand das erste Jahr unter neuer Leitung statt. Sabine Gebetsroither und Katharina Riedler, seit langer Zeit Mitarbeiterinnen des Kernteams, übernahmen von Festivalgründerin Christine Dollhofer, die zum Filmfonds Wien wechselte. Damit ist zunächst einmal Kontinuität gegeben, die nicht verkehrt ist, da es, zumindest vonseiten der Besucherin, an diesem Festival nichts auszusetzen gibt. Crossing Europe, das war und ist: anspruchsvolles, europäisches Autor*innen-Kino, das an flanierend erreichbaren Orten im Herzen einer schönen Stadt präsentiert wird; nette Menschen, angenehmes Wetter, zwanglose Atmosphäre und familiäres Flair. Mit seinen kompetent kuratierten Sektionen, die neben Spiel- und Dokumentarfilm-Wettbewerb sowie -Panorama unter anderem auch die thematischen Klammern »Arbeitswelten« und »Architektur und Gesellschaft« umfassen, bietet Crossing Europe eine ideale Kombination aus Überschaubarkeit und Qualität. Auch die zuletzt hinzugefügte YAAAS!-Jugendschiene, die sich mit ihrer Peer-to-peer-Struktur speziell ans nachwachsende Publikum richtet, ist ausgesprochen erfolgreich.

Traditionell gibt es in Linz immer auch den Platz für kleine Filme aus noch kleineren Ländern, die keinen Arthouse-Schimmer haben müssen, um zu bestehen, dafür aber Bilder und Eindrücke vermitteln aus den vielen und vielfältigen Kulturlandschaften Europas. Repräsentativ hierfür mag der im Dokumentarfilm-Wettbewerb gezeigte »A Parked Life« von Peter Triest gelten. Die belgisch-niederländische Koproduktion begleitet den bulgarischen Fernfahrer Petar auf seinen Wegen vom glutheißen Spanien ins eisige Norwegen, von Deutschland über Frankreich nach Großbritannien und wieder zurück, sehr selten aber nach Hause, wo sein Sohn ohne ihn groß wird und seine Frau ihn allmählich vergisst. Triest zeigt Europa aus dem Blickwinkel jener, die es am Laufen halten, die viel dafür geben, aber wenig zurückerhalten; er zeigt es als einen Raum, in dem die eigentliche Freiheit die der Waren ist. Ausgezeichnet wurde in der Sektion übrigens »Tvornice Radnicima« (Factory to the Workers), in dem Srđan Kovačević über fünf Jahre hinweg den Überlebenskampf einer kroatischen Werkzeugfabrik beobachtet, die von ihren Arbeiter*innen übernommen wurde und versucht, in der globalisierten Marktwirtschaft zu bestehen.

Der Preis für den besten Spielfilm wiederum ging an »Cicha Ziemia« (Silent Land) der polnischen Regisseurin Aga Woszczyńska. Darin wird ebenso unterkühlt wie genau am Beispiel eines gut situierten Paares, das Urlaub auf Sardinien macht, das moralische Dilemma eines auf passiv hingenommener Ausbeutung des Mitmenschen beruhenden Wohlstandes aufgefächert. Zu entdecken gab es auch den in Rotterdam mit dem Tiger Award prämierten »Në kërkim të Venerës« (Looking for Venera) von Norika Sefa. In ihrem nach eigenem Drehbuch entstandenen Langfilmdebüt erzählt Sefa vom sexuellen Erwachen der Titelheldin inmitten einer von Machismo und patriarchaler Rückständigkeit geprägten oppressiven Männergesellschaft. Angesiedelt ist die Geschichte in irgendeinem abgelegenen kosovarischen Kaff, dessen klaustrophobische Enge räumlich sehr konkret ist und sich als permanente latente Gefährdung des Mädchens mitteilt. Der Film wirkt als nervenzerrende Erleuchtung vor allem wegen seines mutigen visuellen Konzeptes, einer wie entfesselten ­Kamera, die in beständiger unruhiger Suche nach der spröden, verkanteten Einstellung sich vollsaugt mit Wirklichkeit.

Eine weitere Entdeckung dürfte für so manche der belgische Filmemacher Fabrice du Welz gewesen sein, dem das »Tribute« gewidmet war. Dessen Arbeiten können zwar vordergründig als Genrefilme durchgehen, meist allerdings werden die Elemente von (Psycho-)Thriller, (Backwoods-)Horror und Home Invasion eingesetzt, um ohne alle Faxen jenem Gefühl auf den triebhaften Urgrund zu gehen, das gemeinhin romantisch verklärt wird und Liebe heißt. Bei du Welz nun ist sie eine komplexe und gefährliche Energie, die im Grenzbereich von Leben und Tod gedeiht und die von ihr Befallenen vorzugsweise in den Abgrund reißt. Erhellend und faszinierend – wie alle Tage in Linz.

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