Kritik zu A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe
In ihrem bereits vierten Spielfilm erzählt Nicolette Krebitz erneut eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte, diesmal geht es um eine ältere Schauspielerin und einen Schüler mit Artikulationsproblemen
Es war ein blöder Tag im Synchronstudio, ein Job, der die große Theaterschauspielerin Anna (Sophie Rois) ohnehin unterfordert, und dazu hatte sie es noch mit einem übergriffigen Spielpartner zu tun. Als sie danach über die nächtliche Berliner Kantstraße schlendert, wird sie vor der Paris Bar plötzlich angerempelt von einem jungen Mann, den sie flüchtig aus den Augenwinkeln wahrnimmt, bevor er ihr die Handtasche entreißt. Ein paar Tage später lässt sich Anna darauf ein, einem Jungen mit Startschwierigkeiten Sprachunterricht zu geben, als Vorbereitung für den Schultheaterkurs. Sie erkennt den Taschendieb (Milan Herms), überspielt ihre Erkenntnis aber und eröffnet damit die Möglichkeit einer luftigen Annäherung zwischen der Dame und dem Jungen, einer Romanze, in der nichts festgeschrieben ist, aber alles möglich zu sein scheint.
Wie zuletzt in »Wild« erzählt Nicolette Krebitz auch in ihrem neuen Film eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte, dieses Mal nicht zwischen einer Frau und einem Wolf, sondern zwischen einer älteren Frau und einem sehr viel jüngeren Mann. Und sie erzählt von dieser Liaison auf so schwebend verspielte und poetische Weise, dass sich irdische Fragen nach der Wahrscheinlichkeit gar nicht erst stellen.
Die Sprache, die im Schauspielerberuf eine besondere Bedeutung hat, bekommt auch in Krebitz' Erzählung einen besonderen Stellenwert, denn mit ihrer Hilfe werden die Ereignisse neu modelliert. Wenn Anna nach Hause kommt und ihrem Freund aus der Wohnung darunter im trotzig-rauen Sophie-Rois-Duktus erzählt, was ihr zugestoßen ist, wird das nächtliche Drama geheimnisvoll: »Das Verrückte ist, ich hatte überhaupt keine Angst, ich war bereit, zu sterben«, rekapituliert sie. »Er war ungefähr so groß wie du, schwarze Haare, Brille, Lederjacke – ich konnte sie riechen«, fährt sie fort. Und Udo Kier in einer wunderbaren Rolle als bester, schwuler Freund lässt die Szene mit geschlossenen Augen auf sich wirken. »Tolle Kombination«, meint er.
Immer wieder kommentiert Anna ihr Leben aus dem Off, sachlich distanziert, ein wenig so, als würde sie den banalen Alltag in eine literarische Form bringen. Der Keim, aus dem die Geschichte ihres vierten Films gewachsen ist, war ein Erlebnis, das Nicolette Krebitz selber bei einem Dreh in Venedig hatte, als sie einen Handtaschendieb, den sie beobachtet hatte, in eine Gasse verfolgte. Ihre Hauptdarsteller Sophie Rois und Milan Herms kannten sich von der Berliner Volksbühne, wo er in der Jugendsparte engagiert war. Als Adrian wirkt er zunächst linkisch und unsicher, gewinnt dann aber innerhalb der Rolle immer mehr Selbstbewusstsein, Charme, Präsenz und Format.
So wie die Sprache verleiht auch das Licht den Ereignissen einen dezent magischen Schimmer, das Rot der Neonreklame, die sich in der regennassen Charlottenburger Straße spiegelt, das Tageslicht in Annas karg möbliertem Zimmer, in dem die ersten zarten Funken zünden, und später das Strahlen der Sonne an der Cote d'Azur, wo sich die Liebe mit dem Prickeln eines Krimis verbindet, unter dem Einfluss eines weisen Commissaires. So wie einst Godards Außenseiterbande laufen die beiden »außer Atem« durch die Gassen, beklauen als Taschendiebe mit theatralischen Masken aus Zeitungspapier in einer flirrend akrobatischen Nouvelle Vague-Variation von Bonnie und Clyde Touristen, Hotelgäste, Luxusläden, stehlen hier einen Geldbeutel, dort eine Tasche oder ein Collier. Dann baden sie nackt im Meer und geben sich einander hin, zwischen theatralischer Pose und fließender Selbstverständlichkeit, so dass der Altersunterschied völlig vergessen ist.
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