Kritik zu France
Einer von vier Filmen, mit denen Léa Seydoux im letzten Jahr in Cannes vertreten war: Unter der Regie von Bruno Dumont zeichnet sie das schonungslose Porträt einer TV-Moderatorin
In seinem Dokumentarfilm »Die Geschichte der Kriegsberichterstattung« von 1994 zeigt Marcel Ophüls Ausschnitte aus einem Fernsehinterview, die man als Warnung vor den Auswüchsen des Infotainment verstehen darf. Der Schauspieler Philippe Noiret hat darin einen Auftritt von erhabener Arroganz, als er eine selbstgefällige Moderatorin mit den Worten »Nicht Sie sind der Star!« zurechtweist.
Beim Ansehen von »France« sehnt man sich beinahe nach dieser patriarchalischen Rangordnung zurück. Seither haben sich die Verhältnisse umgekehrt; feudal sind sie nach wie vor. Die Titelfigur (Léa Seydoux) ist der unangefochtene Star eines Nachrichtensenders und begehrtes Objekt der Autogramm- und Selfiejäger. Sie verkörpert jene narzisstische Nähe zur Macht, die Ophüls damals Unbehagen bereitete, nennt Minister beim Vornamen und führt den Präsidenten keck bei einer Pressekonferenz im Elyséepalast vor. Wenn nach einem Coup die sozialen Medien explodieren, bereitet das ihr und ihrer Assistentin Lou (Blanche Gardin) ein diebisches Vergnügen. Als Moderatorin stachelt sie unerbittlich lächelnd die Streitlust ihrer Studiogäste an; als Reporterin ist sie hautnah dran an einer zynisch nachinszenierten Wirklichkeit. Die Sendung, der sie ihre Berühmtheit verdankt, heißt »Un regard sur le monde« (Ein Blick auf die Welt). Aber ihr Blick ist einer, der nichts sieht, sondern nur selbst gesehen werden will. Der Welt kommt sie nie nahe.
Diese Medienmaschinerie, die ihre eigene Dynamik hat, fasziniert Dumont kein bisschen. Er denunziert ihre Kälte in metallisch anmutenden Bildern, denen die Farben (mit Ausnahme von Seydoux' Schminke) weitgehend entzogen sind. Obwohl er sich schon in »Die feine Gesellschaft« als Satiriker gab, kann der strenge Moralist nicht aus seiner Haut. Er überzeichnet ein Milieu, das selbst schon Karikatur ist. Vernichtende Adjektive legt er dem Publikum praktisch in den Mund: frivol, obszön, zynisch. France muss nicht erst entlarvt werden, sie ist als Monstrum gesetzt. Aber einen ganzen Film – erst recht wenn er die luxuriöse Länge von 134 Minuten hat – kann man schwerlich nur gegen seine Hauptfigur drehen. Sie muss erschüttert und berührbar werden. Also schickt Dumont sie auf einen Kreuzweg.
Die Journalistin verursacht einen Verkehrsunfall, bei dem ein Motorradbote schwer verletzt wird. Auch dieses Ereignis lässt sich zwar medial ausschlachten – eine Geschichte mit menschlicher Komponente, diesmal in eigener Sache –, aber die Wirklichkeit, auf deren Existenz Dumont besteht, übt Vergeltung für ihre Korrumpierung. France erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie hat Aussetzer vor laufender Fernsehkamera. Die Filmkamera fährt nahe an sie heran, um ihre Pausen gleichsam barmherzig auszukosten. Ihr eisiges Familienleben bietet keinen Halt. Der Romancier Fred (Benjamin Biolay) taugte einst vielleicht zum Trophäengatten, aber nun ist er ausgebrannt. In dem Sanatorium, in das France sich zurückzieht, begegnet sie Charles (Emanuele Arioli), der vorgibt, nichts von ihrem Starruhm zu wissen. Allzu gern vertraut sie sich diesem Klischee weltferner Unschuld an. Er entpuppt sich als Journalist, der auf einen eigenen Scoop aus war. Diese Demütigung könnte die erste echte Erfahrung sein, die sie macht.
Dumont liebt die Unerbittlichkeit erzählerischer Symmetrien. Während France in der ersten Hälfte ständig in unangebrachtes Lachen ausbrach, wird sie nun von Weinkrämpfen überwältigt. Dumont ist empfänglich für ihre Tränen. Auch sie betrachtet er mit grimmiger Ironie: Die Emotionenjägerin wird von ihren eigenen Gefühlen eingeholt. Den falschen Gewissheiten ihres früheren Lebens kann sie unterdessen nicht entrinnen. Die Medienmacht, über die sie gebietet, bleibt ohne Korrektiv. Eine wirkliche Öffentlichkeit gibt es in »France« nicht, nur Konsumenten, die derselben Regression in infantile Impulse unterliegt. Eine verächtliche Äußerung von France, die versehentlich live über den Sender geht, müsste eigentlich einen Skandal auslösen. Konsequenzen hat sie nicht, nur Nachhall in der Boulevardpresse. Die Blase, in der France existiert, platzt nicht.
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