07/2022

»So geht gutes Kino« –  Volker Schlöndorff hat mit seinem Dokumentarfilm »Der Waldmacher« Kinos in ganz Deutschland besucht. Seine Tour ist auch zu einer Bestandsaufnahme geworden: Wie geht es den Häusern nach der Pandemie? Wie holt man das Publikum vom Sofa? Einfälle gibt es genug +++ 

»Ehre ihren Namen« – Warum ist Jennifer Connelly kein A-Star geworden? Was macht Ben Whishaw außer Bond, wohin ist Takeshi Kaneshiro entschwunden? epd Film-Autoren über verschwendete Talente +++ 

»Kein Schicksal, Geschichte« – Die österreichische Autorenfilmerin Marie Kreutzer über »Corsage« – ihren ungewöhnlichen Historienfilm mit Vicky Krieps als Kaiserin Sisi +++ 

FILME DES MONATS: Elvis | Meine Stunden mit Leo | Men (mit Interview) | Wie im echten Leben | Die Ruhelosen +++

In diesem Heft

Tipp

Ludwigsburg, 21.–24.7. – Das Natur- und Umweltfilmfestival zeigt im Centraltheater sowie im Open-Air-Kino auf dem Arsenalplatz Filme über die Welt der Tiere, Landschaftsfilme und aufrüttelnde Umweltreportagen. Preise gibt es in verschiedenen Kategorien wie dem NaturVision oder dem Wildlife Filmpreis. Ein Markt mit nachhaltigen Produkten, Infoständen und Kinderprogramm ergänzt die Filmvorführungen.
Stuttgart, 20.–24.7. – Das Indische Filmfestival Stuttgart ist das größte Filmfestival seiner Art in Europa. Neben den großen Bollywood-Produktionen stehen vor allem das indische Arthouse-Kino und Dokumentationen im Vordergrund. Dieses Jahr gibt es unter anderem ein Hindi-Remake von »Lola rennt« und das Rap-Musical »Tangra Blues«. Zudem ist der indische Superstar Amitabh Bachchan als Trainer einer Slum-Fußball-Mannschaft zu sehen.
München, 7.–24.7. – Zum zweiten Mal finden die Stummfilmtage in München als Open-Air-Kino mit Livemusik statt. Auf dem Programm stehen Klassiker wie »Sherlock jr.« (USA 1924) oder »Der Mann mit der Kamera« (UdSSR 1929), aber auch herausragende Restaurierungen des Filmmuseum München wie »Nathan der Weise« (D 1922) und »Wunder der Schöpfung« (D 1925).
Hannover, 26.6.–6.7. – Das größte niedersächsische Filmfest für Kinder versteht sich nicht nur als Ort für Kino, sondern auch für medienpraktische und filmbezogene pädagogische Arbeit. Ein Familienprogramm und Generationenkino soll dafür sorgen, Genre-Grenzen zu überschreiten und den Kinderund Jugendfilm auch Erwachsenen näher zu bringen.
Karlsbad, 1.–9.7. – Das Filmfestival im tschechischen Karlsbad zählt unter den sogenannten A-Festivals zwar eher zu den kleineren, gilt aber als bedeutendstes Filmfestival in Mittel- und Osteuropa. Die Auswahl enthält dieses Jahr 27 Welt- und je 3 internationale und europäische Premieren. In einem speziellen Screening läuft unter anderem Jake Paltrows »June Zero« über den Prozess von Adolf Eichmann.
Marten Persiel spricht am 10.7. im Kino des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums mit epd-Film-Autor Ulrich Sonnenschein über seinen Film »­Everything Will Change«.
In der Amazon-Serie »Damaged Goods« geht es mit Sophie Passmann »in the lead« um die Befindlichkeiten der Generation der »Millennials«.
Das Autorenteam der preisgekrönten norwegischen Serie »State of Happiness« verdichtet gesellschaftliche Umbrüche der 70er-Jahre zu einer fesselnden zeitgeschichtlichen Erzählung.
Andrew Dominik hat nach »One More Time With Feeling« einen weiteren Film mit und über Nick Cave gedreht. »This Much I Know to Be True« macht noch einmal auf besondere Weise deutlich, was die Quellen für Caves Musik sind.
In der satirischen Serie »Diener des Volkes« spielte Volodymyr Zelenskyy bekanntlich schon den ukrainischen Präsidenten, bevor er gewählt wurde. Arte hat die Serie in der Mediathek.
Die britische Reihe »Inside No. 9« folgt der Tradition von TV-Anthologien wie »Twilight Zone« und »Tales of the Unexpected«.
Olivier Assayas verneigt sich in »Irma Vep«, seinem bereits zweiten Remake des französischen Stummfilmklassikers, erneut vor der Filmgeschichte und dem Beruf des Schauspielens, während er mit Liebe und Selbstironie die Qualen von Kreativen beleuchtet.
In seinem zweiten Spielfilm hat sich Indie-Filmer Cooper Raiff die Rolle eines orientierungslosen, aber knuffigen Studenten auf den Leib geschrieben.
Ein erhellender und unter­haltender Aufsatzband über die Manipulation der Zeit im Kino.
Dem Vergessen entrissen: Über die Sängerin und Schauspielerin Maria Cebotari.
Männer um die 40 ... und eine Frau, Romy Schneider, prägen das Werk des französischen Regisseurs Claude Sautet. Jetzt ist ein aufschlussreicher Interviewband erstmals auf Deutsch erschienen.
Mehr Trickster als Barbar : Richard Widmark in »Raubzug der Wikinger«.
Gescheiterte Liebe: Das Mediabook zu »Die Konsequenz« von Wolfgang Petersen.
Monumentaler geht nicht: Sergei Bondartschuks »Krieg und Frieden« wurde restauriert.
Eine Farm in Montana: Die Neo-Western-Serie »Yellowstone«.
Improvisiert: Martin Scorseses »New York, New York« als Mediabook.
Mensch und Tier: Die DVD-Premiere »The Tiger – Legende einer Jagd« aus Südkorea.

Thema

Kein Schicksal, Geschichte: Die österreichische Autorenfilmerin Marie Kreutzer über »Corsage« – ihren ungewöhnlichen Historienfilm mit Vicky Krieps als Kaiserin Sisi.
Als Asterix und vor allem als »Monsieur Claude« wurde Christian Clavier bei uns bekannt. Dabei ist der Schauspieler seit dem Ende der Siebziger schon eine Säule des französischen Komödienschaffens.
Warum ist Jennifer Connelly kein A-Star geworden? Was macht Ben Whishaw außer Bond, wohin ist Takeshi Kaneshiro entschwunden? epd Film-Autoren über verschwendete Talente.
Volker Schlöndorff hat mit seinem Dokumentarfilm »Der Waldmacher« Kinos in ganz Deutschland besucht. Seine Tour ist auch zu einer Bestandsaufnahme geworden: Wie geht es den Häusern nach der Pandemie? Wie holt man das Publikum vom Sofa? Einfälle gibt es genug.

Meldung

Mark Waschke 50, spielte an den wichtigsten ­deutschen Bühnen, war in ­»Buddenbrooks«, »Der Brand«, »Fenster zum Sommer« und »Dark« zu sehen, ist Tatort-­Ermittler. Am 30.6. kommt er mit dem Film »Der menschliche ­Faktor« ins Kino
Nach zwei Jahren Online-Programm konnte das Japan-Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt live durchstarten. Und erweckte aus dem Stand einen Eindruck befriedigender Fülle.
Die 75. Ausgabe des Internationalen Filmfestivals in Cannes begann mit großen Erwartungen, die dann größtenteils nicht erfüllt wurden. Tolle Filme und viele einprägsame Momente gab es trotzdem, wie immer nicht unbedingt nur im Wettbewerb.

Filmkritik

Filmemacher Thor Klein erzählt vom Leben des polnisch-jüdischen Atom-Wissenschaftlers Stan Ulam, der an der Konstruktion der amerikanischen Atombombe beteiligt war.
Joachim Lafosse, Spezialist für Verwerfungen bürgerlicher Liebesarrangements, erzählt hier von den Abgründen, an welche die bipolare Störung eines Vaters ihn und seine Angehörigen führt. Der Film hat autobiografische Wurzeln und Lafosse ein sicheres Gespür für den richtigen Erzählton.
Men
Der Titel von Alex Garlands Folk-Horror-Film ist Programm: In seiner satirischen, aber auch eher eindimensionalen Sicht sind alle Männer gleich. Garland findet grandiose, unvergessliche Bilder für die Schrecken, die seine Heldin durchleben muss. Aber am Ende bestätigt sein feministischer Gegenentwurf die typischen Klischees des Genres.
Ed Perkins' chronologische, sehr präzis geschnittene und völlig unkommentiert bleibende Montage von Originalaufnahmen rund um Prinzessin Diana führt vor allem eins vor Augen: Welch geeignete Projektionsfläche diese Frau für die verschiedenen Sehnsüchte ihres Publikums darstellte.
Ein vielschichtiger Filmessay über katalanische Transgender, der historisch erfreulich weit zurückschaut, in der Gegenwart aber geltende Rollenbilder wenig hinterfragt.
Basierend auf den Figuren und lose auf der Biografie des Cartoonisten Manfred Deix hat Marcus H. Rosenmüller seinen ersten Animationsfilm gedreht, ein Blick in die österreichische Provinz der sechziger Jahre. Derb und böse.
Laura Bispuris Ensembledrama um die Geburtstagsfeier einer alten Dame ergeht sich lange in Andeutungen, bevor eine Überzahl an Themen plakativ ausgespielt und metaphorisch überhöht wird. Trotz starker Einzelmomente können dabei weder die dürftig gezeichneten Figuren noch die skizzenhaft bleibenden Konflikte Interesse erwecken.
Ein gelungener Film schon für kleine Kinder, die im dunklen Kinosaal die bekannten Figuren aus ihrem Lieblingsbilderbuch wiedertreffen.
Der Verfilmung des Theaterstücks »100 m²« sieht man seinen Ursprung zwar noch an, doch die scharfen Dialoge zwischen zwei Frauen aus zwei Generationen verfangen ebenso auf der Leinwand wie auf der Bühne.
Filmdauerstar Dalai Lama in einem tiefgründigen und höchst unterhaltsamen Buddy-Dokumentarfilm als Traumpartner an der Seite des 2021 verstorbenen Desmond Tutu auf der Suche nach dem Glück.
Funkensprühende Dialoge, perfektes Timing, Penélope Cruz und Antonio Banderas in selbstironischer Höchstform – in dieser herrlich überdrehten Metakomödie über das Filmemachen stimmt einfach alles.
Eine weitere Liebeserklärung an das Kino bzw. sein Trägermedium, das altgediente Zelluloid. In Zhang Yimous heiter-melancholischem Historienfilm wird erbittert um einen Filmstreifen gestritten, der, furchtbar lädiert, schließlich gerettet wird und seinen Zauber entfaltet.
Inszenatorisch interessant verknüpft Marten Persiel Fiktion und Fakten, um auf das Artensterben aufmerksam zu machen. Seine Appelle aber geraten, wenn auch hoffnungsvoll, doch allzu oberlehrerhaft, die fiktionale Story geht nicht ganz auf.
Vater, Mutter, zwei Kinder an der belgischen Küste, die Dynamik unter den Familienmitgliedern wird durch einen Einbruch gestört. Diesen Veränderungen spürt Ronny Trocker im Wechsel der Perspektiven nach, bleibt dabei aber allzu vage und sprunghaft.
Für seinen 49. Film wechselt Woody Allen die Postkartenkulisse ins baskische San Sebastián, kann seinem neurotisch-romantischen Altherrenhumor aber nichts Neues hinzufügen.
Kammerspiel um eine der wichtigsten Fragen des Lebens: Wie komme ich zu gutem Sex? Obwohl in diesem Film um eine pensionierte Lehrerin und einen Callboy mehr gesprochen als gekuschelt wird, ist er ungeheuer erregend.
Visuell konsequentes Dokumentarfilmdebüt, das komplett der Faszination für seine Protagonist:innen erliegt, beim Ansehen immer unangenehmer wird und ein voyeuristisches Geschmäckle hinterlässt.
Die Gags sind eher bescheiden und die Handlung dieser RomCom, in der ein Filmstar (Elyas M'Barek) ins Straucheln gerät und dann im Underground-Theater einer feministischen Künstlerin (Lucie Heinze) neue Lebensperspektiven findet, ist auch nichts Besonderes. Doch wie die Regisseurin und Drehbuchautorin Anika Decker hier im Mainstream-Kontext ganz offensiv Themen verhandelt, die sie gezielt misogynen, queerfeindlichen und rassistischen Weltbildern entgegensetzt, ist in der hiesigen Kinolandschaft bemerkenswert.
Eine Autorin arbeitet undercover auf einer Fähre als Putzfrau: Das auf einem Sachbuch basierende Sozialdrama wirft, über die gelungene Darstellung prekärer Arbeit hinaus, die verstörende Frage auf, ob Freundschaft jenseits der Klassenschranken möglich ist.
Zum dritten Mal thematisiert Philippe de Chauveron rund um seinen Spießbürger und dessen Schwiegersöhne die diversen Ressentiments und Vorurteile der Franzosen. Auf vielleicht zu leichte Weise, aber doch mit ein paar gelungenen Spitzen.
Das Porträt einer Kaiserin als Frau in der Midlife-Crisis. Marie Kreutzer bietet aus heutiger, feministischer Perspektive einen Blick hinter die repräsentative Fassade der berühmten Sisi und einen Kommentar zu männlich dominierten Machtstrukturen, die bis heute wirken.
In ihrem wundervollen Debüt, einer leichtfüßigen Mischung aus Komödie und Liebesgeschichte, wirft Charline Bourgeois-Tacquet aufreizend lässige Blicke auf Erotik zwischen Frauen.
Auf den ersten Blick wirkt Julius wie ein aufgeweckter junger Mann – doch er entpuppt sich als notorischer Lügner. Schöner kleiner deutscher Film mit viel Gelegenheit zum Fremdschämen, der angenehmerweise mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.
Das zweite Spin-off der »Ich – einfach unverbesserlich«-Animationsfilmreihe ist ein actionbetonter Animationsfilm, der mit Tempo, witzigen Figuren, Detailreichtum und Siebziger-Jahre-Flair punktet.
Ein Biopic über Elvis Presley bekommt es gemeinhin mit der Aufgabe zu tun, Mann und Mythos auseinander zu dividieren und getrennt voneinander zu verhandeln. Man kann auf dergleichen Mühseligkeiten allerdings auch pfeifen und das Leben des Menschen aus Fleisch und Blut im Lichte des King erstrahlen lassen. Eben dies ist hier der Fall, schwungvolle zweieinhalb Stunden lang und mit brennendem Herzen.
1978 wird der dreizehnjährige Finn in einer amerikanischen Kleinstadt das fünfte Opfer eines Entführers. Doch die Stimmen der vor ihm entführten Jungs geben im Mut, es mit dem Serienmörder aufzunehmen. Thriller mit übernatürlichen Momenten, der alles Exploitative vermeidet, Gewalt als Teil des Alltags zeigt und dabei mit bemerkenswerten Darstellerleistungen aufwartet.
Der fünfte »Toy Story«-Animationsfilm ist keine Fortsetzung, sondern eine Auskoppelung aus dem Spielzeug-Universum und zeigt Astronaut Buzz Lightyear in seinem Ur-Habitat – reicht jedoch mit seinen etwas aufdringlichen Botschaften und Sci-Fi-Action in stereotyper Ästhetik nicht an die gewohnte Originalität der Serie heran.
Aneinanderreihung von Sketchen, in denen die Geschichte der Menschheit als eine von Fehlleistungen, überspitzt und grotesk, vor allem aber total unkomisch in Szene gesetzt wird. Noch tiefer gelegte Flachwitze feiern fröhliche Urständ, wo die Keule des Zynismus für tabula rasa hätte sorgen sollen.
In sechs Kapiteln entwirft Simon Brückner mit soziologischer Neutralität eine Introspektive der zwischen (vermeintlich) Moderaten und Extremen zerrissenen AfD. Ein kontroverser Film, der Kraft seiner Bilder die Partei vorführt. Aber: Will man die ganzen AfD-Nasen wirklich im Kino sehen?
Durchwachsenes Finale des Dino-Franchises, bei dem die Magie der Urzeitechsen einem Overkill an Figuren, Actionsequenzen und Schauplätzen zum Opfer fällt. Solider Actionfilm und gut gemachter Blockbuster, immerhin ohne Superhelden.

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