Interview: Alex Garland über »Men«
Foto: PixarAnimate3 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:15-alex-garland.w330.h330.jpg), „15-alex-garland.w330.h330“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode
Mr. Garland, man könnte meinen, »Men« sei eine Reaktion auf Debatten, die in den vergangenen paar Jahren on- und offline über das Verhältnis von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft geführt wurden. Doch tatsächlich haben Sie an dem Drehbuch bereits seit 15 Jahren gearbeitet, nicht wahr?
Nicht nur, aber natürlich auch, neben den unterschiedlichsten Themenfeldern, von gendergerechter Sprache bis hin zu toxischer Maskulinität. Fast alle diese Diskurse sind doch aber nicht neu. Ich persönlich hatte diese Themen auch schon vor #MeToo auf dem Radar und würde meinen, dass es Debatten über das Verhalten von Männern in vielen Fällen schon seit Jahrzehnten gibt. Was eigentlich auch jeder wusste. Nur dass eben vor #MeToo noch nie ein so grelles Scheinwerferlicht auf die Sache gerichtet wurde, das es unmöglich machte, sie zu ignorieren. Es gab auch schon immer wieder Filme darüber, denken Sie an »9 to 5 – Warum eigentlich bringen wir den Chef nicht um?«
Die Intensität der Auseinandersetzung ist im Vergleich dazu in Ihrem Film aber doch eine ganz andere. Und vielleicht könnte man sagen: Die Dimension, in der sich heutzutage heterosexuelle Männer mit dem Thema Maskulinität auseinandersetzen, ist neu?
Auch da bin ich mir nicht sicher. Womöglich taten das viele auch schon früher, nur im stillen Kämmerlein und ohne am Patriarchat zu rütteln. So wie sicherlich viele Menschen, die sonntags in die Kirche gehen, trotzdem die Existenz Gottes hinterfragen. Ich will Ihnen gar nicht widersprechen, aber die Sache ist sehr nuanciert. Und ich für meinen Teil habe mich schon seit meiner Jugend mit dem Thema auseinandergesetzt, weil ich immer wieder in Situationen war, in denen die Frage im Raum stand, ob ich, verglichen mit anderen, männlich genug sei. Und genau wie sicherlich viele andere Männer auch haben mich all die Verhaltensmuster, die im Zuge von #MeToo-Enthüllungen öffentlich wurden, leider kein bisschen überrascht.
So oder so: Hochaktuell sind die Diskurse nach wie vor.
In der Tat ist es nicht so, dass sich das Thema erledigt hätte. Im Gegenteil schockiert es mich, der – wie gesagt – sich all dieser Dinge sehr bewusst ist, bis heute, was meine Teenagertochter allein in öffentlichen Verkehrsmitteln zur und von der Schule an Sprüchen und Verhalten von Männern erlebt. Und dieses Gefühl des Grauens, diesen Horror, den ich empfinde, wenn ich solche Geschichten höre, kann ich mitunter dann auch im Bezug auf mich selbst spüren. Denn natürlich steht die Frage im Raum: Was habe ich mit diesen Männern, die mir ein ungutes Gefühl bereiten, womöglich gemeinsam? »Men« ist deswegen für mich auch kein Horrorfilm an sich, aber ein Film über das Gefühl von Horror.
Könnte man, ohne zu viel zu verraten, auch sagen, dass der Film zu dem Schluss kommt, dass eine auf Patriachat und toxischer Männlichkeit basierende Gesellschaft zwangsläufig mehr toxische Männer gebiert?
Vermutlich hat jeder Zuschauer und jede Zuschauerin eine andere Idee davon, was der Film ihm oder ihr sagen soll, und das ist auch genau das, was ich im Sinn hatte. Aber tatsächlich ist ein Schlüsselmoment für mich der gleich am Anfang des Films, als der Hausbesitzer Geoffrey davon berichtet, wie sein Vater zu ihm als siebenjährigem Kind sagte, er habe alle Merkmale eines gescheiterten Soldaten. So etwas einem Kind zu sagen, ist natürlich verheerend. Aber es spricht eben Bände sowohl darüber, welche Männlichkeitsbilder in unserer Gesellschaft dominieren, als auch über das, was wir allein verbal Kindern schon ganz früh über solche Stereotype vermitteln. Mir wurde schon als kleinem Jungen beigebracht, wie man im Zweifelsfall richtig zuschlägt, weil man das als echter Kerl können müsse. Auch das ist natürlich etwas, das enorm prägt.
Innerhalb kürzester Zeit sind wir bei höchst komplexen Fragestellungen angekommen. Trotzdem sagen Sie, »Men« sei alles andere als ein intellektueller Film.
Ja, dabei bleibe ich auch. Natürlich können die Themen des Films intellektuelle Gespräche nach sich ziehen, und man kann, wenn im Nachhinein alles im Kopf angekommen ist, die Sache sehr facettenreich diskutieren. Aber der Film selbst ist meiner Meinung nach nicht verkopft. Meinem Eindruck nach reagiert darauf im Kinosaal niemand intellektuell, sondern instinktiv und aus dem Bauch heraus. Ob mit Wut, Verstörung, Erleichterung oder Verständnis, sei dahingestellt. Aber definitiv nicht im Kopf, sondern in der Magengrube.
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