Kritik zu Pornfluencer
Regisseur Joscha Bongard versucht, die Pornografie und ihre digitalen Distributionswege zur Debatte zu stellen, erliegt aber eher der Faszination für seine Protagonist:innen
Pornos und die »Bild«-Zeitung haben eines gemeinsam: Kaum jemand gibt zu, sie zu konsumieren. Dabei ist Pornografie allgegenwärtig. Spätestens seit es Portale wie Youporn oder Pornhub gibt, sind Pornos jederzeit und überall im Netz verfügbar. Regisseur Joscha Bongard gehört zu der ersten Generation, die damit aufgewachsen ist. Bei der Recherche zu seinem Dokumentarfilmdebüt, das ursprünglich sexpositiv sein und den Professionalisierungstrend von Amateurpornos mit echten Paaren in den Fokus rücken sollte, wurde er bei Instagram auf Andrea und Nico aufmerksam. Als »Jamie Young« und »Nico Nice« sind die Twentysomethings erfolgreiche Pornfluencer, die in einer Mietvilla auf Zypern leben. Schon im ersten Monat haben sie mit ihren in Eigenregie gedrehten Sexfilmen 10 000 Euro verdient, bald soll es eine Million pro Jahr sein.
Por-yes oder Por-no, so die Kampfbegriffe der in dieser Frage verfeindeten feministischen Lager, das ist hier nicht die Frage. Was genau Bongard und den Film umtreibt, bleibt vage. Statt Chancen und Risiken nachzuspüren, die autonome Distributionswege im Netz jenseits einer meistens Frauen ausbeutenden Industrie bieten, entblättert er durch geschickte Montage und Szenenauswahl eine zutiefst hierarchische, patriarchale Beziehung.
Nico hat sichtlich mehr Spaß am Sex vor der Kamera und gibt den Ton auch im Alltag an. Das Geschäftsmodell funktioniert aber nur, weil Andrea ihren Körper vermarktet. Ihr möchte man schon zu Anfang zurufen: »Mach dein Ding allein, den Typen brauchst du nicht!«, denn der gar nicht mal so »nice« Nico profitiert schlicht in jeder Hinsicht von ihr. Als er erklärt, wie sogenannte Pick-up Artists sein Leben positiv verändert hätten, schrillen alle Alarmglocken. Mit Verführungskunst hat das nichts zu tun: Pick-up Artists schulen andere Männer darin, mittels psychologischer Tricks möglichst viele Frauen ins Bett zu kriegen. Kritische Fragen dazu stellt der Film nicht, ergötzt sich lieber an Cat-Content, der Andrea verträumt mit Katzenbabys zeigt.
Es bleibt bei zwei ungelenk eingebauten Experten:innen-Interviews, deren Platzierung im Film wie ein Feigenblatt wirkt. Visuell ist »Pornfluencer« durch die Adaption einer Desktop-Oberfläche, bei der im Film wie im Stream vor- und zurückgespult wird und sich neue Tabs öffnen, zumindest innovativ und konsequent. Inhaltlich bleibt offen, ob Bongard der Faszination für seine Protagonist:innen erliegt oder sie bloßstellen will, und, falls dem so ist, zu welchem Zweck?
Spannender wäre es gewesen zu erfahren, wie paritätisch das Paar dieses lukrative Geschäftsmodell finanziell aufteilt, wie vielfältig die Amateurszene tatsächlich ist, oder gleich ein Einblick ins feministische Pornobusiness. Die Suche nach Sex-Positivity wäre dort wohl erfolgreicher verlaufen. Am Ende haben wir nichts Neues über Pornografie oder Sex gelernt, fühlen uns aber wie Voyeure, die verschämt hinter die Kulissen eines sehr schmutzigen Geschäfts gelünkert haben. Und schmutzig meint hier nicht den Sex.
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