Kritik zu Der Sommer mit Anaïs
Die französische Schauspielerin Charline Bourgeois-Tacquet entwirft in ihrem ersten Spielfilm als Regisseurin eine sommerliche Liebesromanze rund um den ungestümen Charme einer von Anaïs Demoustier gespielten Langzeitstudentin
In François Ozons »8 Frauen« gibt es diese unglaubliche Szene, in der Catherine Deneuve und Fanny Ardant sich leidenschaftlich auf dem Teppich aalen. Ein Moment, in dem das Kino einem den Kopf verdreht. Dieses Vibrieren zwischen Erotik und doppelbödigem Witz gibt es auch in »Der Sommer mit Anaïs«. Die französische Komödie erzählt von der gleichnamigen Studentin, die zwar schon 30 ist, um sich herum jedoch mit teenagerartiger Unbekümmertheit ein Dauerchaos zelebriert, als gäbe es kein Morgen.
Ihren vitalen Charme setzt Anaïs (Anaïs Demoustier) wie eine Allzweckwaffe ein. Die Vermieterin hat praktisch keine Chance, die ausstehende Zahlung einzufordern. Eben noch liegt sie in den Armen ihres Freundes – den sie beiläufig wissen lässt, dass sie das Kind, das sie von ihm erwartet, abtreiben wird. Liegt Anaïs dann – Schnitt – mit einem älteren Mann im Bett, so bringt diese geradezu unverschämte Ellipse die Sprunghaftigkeit dieser märchenhaft überzeichneten Frauenfigur perfekt auf den Punkt.
Charline Bourgeois-Tacquet spielte eine Handvoll kleinerer Rollen, bevor sie eigene Kurzfilme realisierte. Mit ihrem Debüt variiert sie die typischen Sujets des französischen Kinos, von den geschmackvoll fotografierten Schauplätzen bis hin zur mehrfach um die Ecke gedachten Liebesgeschichte. Hals über Kopf lässt Anaïs sich auf den deutlich älteren Verleger Daniel (Denis Podalydès) ein. Doch die Affäre erweist sich als Katalysator für etwas ganz anders. Denn als sie in seiner Wohnung das stilisierte Foto seiner Frau erblickt, macht der Film einen emotionalen U-Turn.
Um die Schriftstellerin Emilie (Valeria Bruni Tedeschi) kennenzulernen, nimmt Anaïs pro forma einen Unijob an, bei dem sie ein Kolloquium im pittoresken Chateau de Kerduel in der Bretagne organisieren muss. Dabei kommt es zwischen der ungestümen Studentin und der neugierig abwartenden Autorin zu einer prickelnden Annäherung, die man so nicht erwartet hätte. Das liegt zum einen an der überbordenden Energie Anaïs Demoustiers, der man in jeder Szene gern zusieht. Aber auch an Valeria Bruni Tedeschi, die mit unterspieltem Witz das Klischee einer französischen Intellektuellen bis zur Kenntlichkeit entstellt.
Das traumhafte Wechselspiel zwischen überbordenden Dialogen, amüsanten Detailbeobachtungen, pointiert ausgewählter Musikuntermalung und einem von den ersten Sekunden an fesselnden Bewegungsfluss macht Bourgeois-Tacquets Film zu einem Erlebnis. Seit »Lola rennt« hat man keine Frau mehr gesehen, die so atemlos (und zugleich so traumtänzerisch elegant) durch die Szenerie eilt.
Im wohl schönsten Moment wiegen die beiden Frauen zu Kim Carnes' 80er-Hit »Bette Davis Eyes« sanft die Hüften. Eine Szene, die einen in den Orbit katapultiert, aus dem man gar nicht zurückkehren will. Ineinander gespiegelt wird diese tagtraumartige Liebesgeschichte mit der Krebserkrankung von Anaïs' Mutter. Das erdet diesen unbeschwerten Film doch noch mit einer düsteren Tönung.
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