Nachruf: Ray Liotta

8.12.1954–26.5.2022
Ray Liotta in »Marriage Story« (2019). © Netflix / Filmwelt

Ray Liotta in »Marriage Story« (2019). © Netflix / Filmwelt

Unberechenbar und explosiv

Sein stechend bedrohlicher Blick war gefürchtet, seit er ihn zum ersten Mal vor der Kinokamera blitzen ließ, zusammen mit diesem Lachen, in dem überbordende Ausgelassenheit jederzeit in tödliche Gefahr und unberechenbaren Irrsinn umschlagen kann. Mit einem maliziös auf der Tanzfläche über die Schulter geworfenen »Hi, baby, surprise!« verwandelte er die Stimmung von Jonathan Demmes »Something Wild« schlagartig von flirrend romantischer Sommerkomödie in einen finsteren Eifersuchtsthriller. Die brütende Gefährlichkeit, die er da in wenigen Gesten in die Leinwand brannte, wurde er danach nicht mehr los. An sie denkt man immer als Erstes bei dem Namen Ray Liotta, obwohl er viele andere Tonlagen mit seiner getriebenen Widersprüchlichkeit intoniert hat. Ganz gegen sein Leinwand-Image habe er sich in Wirklichkeit nie geprügelt, erzählte er in Interviews oft und dass seine Freunde nur lachen über all die schillernden Psychopathen, die er mit brodelnder und aufbrausender Gewalttätigkeit ausstattet, vor allem Gangster, korrupte Cops und Agenten in allen Facetten, aber auch den mad scientist in »Unforgettable« oder den kampflustigen Scheidungsanwalt in »Marriage Story«.

Schauspieler zu werden, das war für den 1954 in Newark, New Jersey, geborenen Raymond Allen Liotta keine Bestimmung, eigentlich dachte er, dass er mal auf dem Bau arbeiten würde. Dass er dann doch studierte, habe daran gelegen, dass damals die einzige Vorausetzung fürs College in Miami gewesen sei, einen Puls zu haben, kolportierte er gern. Den Theaterkurs belegte er nur, weil er auf Mathe oder Geschichte erst recht keine Lust hatte. Nach dem Abschluss des Studiums spielte er drei Jahre lang einen liebenswerten, nachdenklichen Twenty­something mit blondem Wuschelkopf in der Sitcom »Another World«. Mit 25 dankte er dort ab, weil es ihn zum Kino im Stil des New Hollywood und nach L.A. zog. Er besuchte Schauspielkurse, übernahm kleine Rollen in Fernsehserien, bis Melanie Griffith ihn bei Jonathan Demme ins Spiel brachte und er einen Eindruck machte, den man nicht mehr vergaß. Auch Scorsese beeindruckte die explosive Energie des Newcomers, auch wenn er zunächst daran zweifelte, ob er auch die Widersprüche im Auftreten des jungen Mobsters Henry Hill in »Goodfellas« meistern könnte, der in nahezu jeder Szene zu sehen ist, dabei aber eher Beobachter als Treiber der Ereignisse ist. Doch im Kern dieser Performance lag auch das Geheimnis von Ray Liotta, diese Spur von Unbehagen und Unbehaustheit, die in all seinen Figuren schlummerte, so raumgreifend, fordernd, aggressiv sie auch auftraten. Ein Teil der Wut, die er nach außen schleuderte, richtete sich immer gegen ihn selbst.

Am schönsten hat das der Autor Dennis Lehane formuliert, mit dem Ray Liotta gerade noch in der Fernsehserie »Black Bird« über einen realen Frauenserienmörder zusammengearbeitet hatte, in der er den Vater eines verurteilten Drogenkriminellen spielte: »Im Herzen seiner Performances gab es eine Dualität, die in seine DNA eingeschrieben war. Wenn seine Figuren bedrohlich und gefährlich waren, konnte er den liebenswerten Jungen nie ganz verbergen. Und wenn seine Figur charmant oder sogar liebevoll war, spürte man immer noch etwas Explosives, das in seinem Inneren rumorte.«

Nach »Goodfellas« hätte Ray Liotta eigentlich ein Star werden müssen, aber dafür war er wohl zu unberechenbar und gefährlich. Auf die Schublade mit den zahllosen  psychopathischen Gangstern, die ihm danach angeboten wurden, hatte er bald keine Lust mehr, nutzte jede Chance, komisch, romantisch oder gebrochen zu spielen, als Geist des legendären Baseballspielers Shoeless Joe Jackson in »Field of Dreams«, als Witwer, der sich in »Corinna, Corinna« in das von Whoopi Goldberg gespielte Kindermädchen verliebt, und als Sterbender in einer Folge der Serie Emergency Room, in der er die Tragik eines ganzen Lebens auf eine knappe Stunde verdichtete. Er verkörperte Frank Sinatra in der Fernsehserie The Rat Pack, ließ sich von Hannibal Lecter das am Tisch sautierte eigene Gehirn servieren und nahm sein Tough-Guy-Image in Auftritten bei den Simpsons und den Muppets auf die Schippe. Er würde schon gern mal das Mädchen küssen, ohne es zu würgen, meinte er gelegentlich, und: »Warum bin ich nicht bei »The Irishman« dabei, Marty?« Das wäre noch viel möglich gewesen. 
 

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