arte-Mediathek: »Diener des Volkes«
Die Geschichte ist zu verrückt, um erdacht zu sein. Am 28. März 2019 lief im ukrainischen Sender 1+1 Folge 3 der dritten Staffel der satirischen Politserie »Diener des Volkes«. Es sollte die letzte bleiben. Drei Tage später erzielte ihr Hauptdarsteller in der ukrainischen Präsidentschaftswahl über 30 Prozent der Stimmen. In der Stichwahl am 21. April kam er gar auf 73 Prozent – der Schauspieler Volodymyr Zelenskyy hatte einen neuen Job. Die Pointe der Geschichte: In der Serie hatte er den Geschichtslehrer Vasiliy Goloborodko verkörpert, der vor seiner Klasse gegen die korrupten Verhältnisse wettert, dabei gefilmt und via Web berühmt wird. Zögerlich kandidiert er um das Präsidentenamt. Und gewinnt.
Seit Russlands Einfall in die Ukraine stehen das Land und sein Präsident Zelenskyy im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit. Die Wahrnehmung der Serie hat sich dadurch zwangsläufig verändert. In Deutschland kann sie in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln in der Arte-Mediathek abgerufen werden.
Da attestiert zum Beispiel der Geheimdienst dem neu gewählten Präsidenten Goloborodko: »Feste moralische Prinzipien und starker Wille. Sein Gemüt ist nordisch beharrlich und verwegen.« Als gälte die Charakterisierung jenem Zelenskyy, der mutig im Lande blieb, als russische Truppen vor Kiew standen.
Ein gänzlich unbeschwertes Vergnügen war die Serie nie. Die mit voranschreitender Handlung wachsende Bitterkeit unterscheidet sie von Hollywood-Komödien wie »Man of the Year« oder »Dave«. Die Auftaktfolge beginnt mit einem Schwenk über den nächtlichen Maidan auf die Hinterköpfe dreier Machtmenschen. Einer klagt: »Wir zahlen Millionen, um unsere Kandidaten in die Politik zu hieven und dann das Doppelte, um ihre Gegner zu zerstören.« Die Replik: »So sind nun mal die Regeln.« Diese Drahtzieher begreifen die Wahlen als Spiel. Jeder schickt einen Kandidaten ins Rennen. Möge der Korrupteste gewinnen. Als Vasiliy ins Amt gewählt wird, zollen sie einander Respekt – bis sie bemerken, dass niemand von ihnen den Neuling unterstützt hatte. Wer dann? Der Westen? Russland?
Goloborodko lebt mit Eltern und Nichte in einer schlichten Mietwohnung. Der Hof gleicht einer Müllhalde. Ein junger Großkotz parkt Papa Petrs Taxi zu. Der Hauswart unternimmt nichts – das Früchtchen stammt aus einflussreicher Familie. Vasiliy ist spät dran an diesem Morgen. Der Vater höhnt, Nichte Natascha besetzt das Bad. Dann steht plötzlich der Premier im Flur: »Guten Morgen, Herr Präsident.« Das frisch gekürte Staatsoberhaupt lässt sich zur Bank fahren, um einen Kredit abzuzahlen, aber der wurde rätselhafterweise schon getilgt. Alles um ihn herum ändert sich. Der Rotzlümmel verschwindet, der Hof wird aufgeräumt und gepflastert. Verwandte und Bekannte rufen an und hoffen auf Jobs für ihre Zöglinge. Vater und Mutter planen ihren gesellschaftlichen Aufstieg. Derweil wird Vasiliy auf die Amtseinführung vorbereitet und muss sich einer ganzen Armee von Visagisten, Kosmetikern, Stylisten, Peelingexperten stellen.
Erst ab Folge 3 emanzipiert sich der vom Erfolg überrumpelte Vasiliy. Der redliche Kerl verzichtet auf Privilegien, sammelt Verbündete. Sein Kampf gegen die Korruption beginnt. Die Oligarchen kabalieren nach Kräften, längst sind alle Schichten der Gesellschaft vom Verfall der Moral betroffen. Vasiliys Streben nach Verbesserung ist Sisyphosarbeit. Aber weder denkt er ans Aufgeben, noch lässt er sich einschüchtern.
»Diener des Volkes« ist keine Studio-Sitcom. Dialoge und Bildwechsel sind flott, die Musik tönt mal folkloristisch, mal treibend. Als Vasiliys Minister erwägen, ein Bestechungsangebot anzunehmen, fällt kein Wort. Der Inhalt vermittelt sich allein auf visueller Ebene. Manche Feinheiten dürften durch die Übersetzung verloren gehen. Hilfreich auf jeden Fall, wenn man sich mit der jüngeren Geschichte der Ukraine ein wenig auskennt und zu deuten weiß, wenn ein Papagei auf den Namen »Janukovič« hört.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns