Beinah ein Star
Jennifer Connelly mit Tom Cruise in »Top Gun Maverick« (2022). © Paramount Pictures / Skydance / Jerry Bruckheimer Films
Warum verdienen sie nicht so viel wie Scarlett Johansson, kriegen das Mädchen nicht, mühen sich in Nebenrollen, verschwinden vom Radar? Elf persönliche Liebeserklärungen an unterschätzte Darsteller*innen
Jennifer Connelly
Stark, mutig und zuverlässig stehen ihre Figuren geplagten Männern zur Seite: dem grünen Riesenzornbinkel »Hulk« im Film von Ang Lee, dem an seiner gottgegebenen Mission schier verzweifelnden Archenkapitän »Noah«; dem schizophren-paranoiden Mathematikgenie John Nash in »A Dangerous Mind« (für diese Rolle wurde sie sowohl mit einem Oscar als auch einem Golden Globe als Beste Nebendarstellerin ausgezeichnet). In ihrem Leinwanddebüt hat die Vierzehnjährige als zierliche Balletttänzerin den Jungen Noodles für immer verzaubert – und »Once upon a Time in America« ist nicht das einzige filmgeschichtlich bedeutende Werk geblieben in Jennifer Connellys zwar kontinuierlich, aber eben auch eher unspektakulär verlaufender Karriere.
Allzu selten stand und steht die 1970 geborene Schöne mit den dunklen Haaren und den grünen Augen unter kräftigen Brauen glamourumstrahlt am Hollywood'schen Sternenhimmel. Wohl, weil meist die Erdenschwere ihr Metier ist: die Stoffe, die sie wählt, sind düster, die Charaktere, denen sie Gestalt gibt, sind schwierig; ein Blick von ihr reicht, um die heiße Luft aus dem Märchenprinzen zu lassen. Sie ist sich selbst Heldin genug. Alexandra Seitz
Nikolaj Coster-Waldau
Er ist der nach Mads Mikkelsen bekannteste dänische Schauspieler, als Leading Man aber merkwürdig abwesend. Aufgefallen ist Nikolaj Coster-Waldau erstmals 1994 als sexy Held des dänischen Thrillers »Nightwatch«, wurde jedoch im US-Remake durch Ewan McGregor ersetzt. Zu kernig, um auf ihn zu verzichten, trat er dann unter ferner liefen in Big-Budget-Filmen wie »Black Hawk Down« auf. Der Ruhm ereilte ihn über Nacht durch eine etwas peinliche Serie mit, wie er sagt, »Drachen und Magie«: Als janusköpfiger Jamie Lannister verkörperte er den schillerndsten und zähesten »Game of Thrones«-Schurken. Daneben ist Coster-Waldau seit langem die erste Wahl in skandinavischen Arthouse-Dramen wie »Suicide Tourist«. In Hollywood aber wird sein Talent nach wie vor in Tiefergelegtem wie etwa der Rachekomödie »Die Schadenfreundinnen« verschwendet, in der er, als Märchenprinz, der zu »wow!« ist, um wahr zu sein, von betrogenen Frauen mit Gusto gedemütigt wird. Vielleicht ist der Däne, den man sich ebenso gut als Loki wie als Thor vorstellen könnte, der lebende Beweis dafür, dass maskuline Attraktivität in Charakterrollen kontraproduktiv wirkt, und vice versa. Birgit Roschy
Bill Pullman
Liebenswert und sympathisch, auch mit bald siebzig Jahren und ergrauten Haaren noch immer jungenhaft und allemal ein bisschen zu sympathisch, um die finsteren Bösen zu spielen – das ist Bill Pullman. Was nicht heißt, dass menschliche Abgründe ihm fremd sind, wie er gerade als Ermittler zeigt, in der Fernsehserie »The Sinner«. Die romantische männliche Hauptrolle fand Bill Pullman nie sonderlich reizvoll, lieber spielte er den lustigen, ein wenig dussligen oder ernsten Typ daneben. Einziger Nachteil: Man bekommt das Mädchen nicht. Ende der 80er, mit Anfang dreißig startete er gleich mit einer großen Rolle in der »Star Wars«-Persiflage »Spaceballs«, wo er als Lone Star seine Version von Harrison Fords Han Solo gab. In den 90ern spielte er dann jeden netten Typen in Filmen wie »Singles«, »While You Were Sleeping«, »Sleepless in Seattle«, »A League of Their Own«, bis er 1996 den großen Durchbruch als amerikanischer Präsident hatte, der Amerika in »Independence Day« durch einen Alien-Angriff führt. Das hätte der Punkt sein können, an dem er zum Star wird. Doch das interessierte ihn wohl nicht, lieber war ihm eine möglichst große Vielfalt, am besten schon innerhalb der Rolle. Das Komische mit dem Tragischen verband er nicht nur vor der Filmkamera, gelegentlich im Fernsehen und auch immer wieder auf der Theaterbühne – Pullman machte einfach zuverlässig und unter dem Radar sein großes, sympathisches Ding. Anke Sterneborg
Crispin Glover
Erinnert sich noch jemand an Crispin Glover? Dieser Teufelskerl hat es wirklich geliebt, merkwürdig zu sein!« So liest sich der meistgeklickte Kommentar auf einem Online-Filmportal im Eintrag zu dem obskuren Ratten-Horrorfilm »Willard« von 2003, Crispin Glovers einziger großer Titelrolle. Um dem anonymen Frager zu antworten: Ja, ich erinnere mich! Glover war mir wie den meisten zunächst als bebrillter Nerd George McFly bekannt, der Vater des Zeitreisenden Marty in »Zurück in die Zukunft«. Das ist aber nur die populärste Rolle, in der Glover einen verkannten, und ja, merkwürdigen Außenseiter verkörperte. Neben dem düster-grotesken »Willard« fällt in die Rubrik auch das 80er-Indie-Drama »Das Messer am Ufer«, eine ironische Coming-of-Age-Fabel im kalifornischen Niemandsland, in der Glover mit irrer Intensität einen vernachlässigten Teenager spielt. David Lynch, Tim Burton und Jim Jarmusch haben Glover in Nebenrollen besetzt, passt sein uramerikanisches und zugleich verschrobenes Auftreten doch bestens in ihre jeweiligen Filmwelten. Zum großen Durchbruch hat es leider dennoch nie gereicht. Tim Lindemann
Béatice Dalle
Als junge Punkrockerin kam Béatrice Dalle einst nach Paris – und bis heute hat sich nicht viel an ihrem Outlawstatus geändert: So wurde sie zur Kultfigur, auch wenn sie einer soliden Karriere selbst im Weg stand. Dabei begann es so vielversprechend für die Ausreißerin aus Brest, die als Fotomodell entdeckt und von Jean-Jacques Beineix in dem Überraschungserfolg »Betty Blue« (1987) als obsessive Femme fatale etabliert wurde. Mit ihrer schwarzen Mähne, der auffälligen Zahnlücke, der blassen Haut und den dunklen Augen galt sie bald als alles verschlingendes Sexsymbol, sei es in »Sabba – Die Hexe« (1988) oder »The Blackout« (1997). Statt eine internationale Karriere anzustreben, blieb sie in Frankreich und spielte für Jim Jarmusch, Claire Denis, Abel Ferrara, Michael Haneke und Gaspar Noé. Selten wurde ihre wölfische Seite deutlicher als in »Inside« (2007) und »Trouble Every Day« (2001), die sie zur unberechenbaren, tödlichen Bedrohung überhöhten. Stets gibt sie alles für ihre Rollen, geht als Autodidaktin in der buchstäblichen Verkörperung auf. Dalle mag ein marginaler Star des Autorenkinos geblieben sein, doch es bleiben uns viele ikonische Bilder von ihr, die niemand ersetzen kann. Für die meisten ist sie noch immer Betty Blue . . . Marcus Stiglegger
Ben Whishaw
Oft spielt er Männer, die nie alt werden, die Unsicheren, Arroganten, Komplizierten. Wie in Jane Campions »Bright Star« als Dichter John Keats. Seinem Spiel ist anzusehen, das ihm das Leben zu heikel vorkommt, um es in eindeutig umrissenen Figuren abzubilden. Ben Whishaw ist Spezialist für das Ungemütliche, für das Nicht-So-Einfache. Für Problemtypen, die einem aber nicht auf den Nerv gehen, im Gegenteil. Vor allem in Filmen mit kleinen Budgets darf er sich durch Hauptrollen brennen. In den Bond-Blockbustern hat er als Quartermaster (Q) nicht viel zu tun. Trotzdem erscheint er auch dort als vollständig ausgedachte Figur, mit Haltung, Stil, Gefühlen. Q ist ein Nerd, dessen komische Pullover seine Verachtung des Normativen andeuten. Denn in seinem Fach ist er allen überlegen. Whishaw spielt das scheinbar anstrengungslos. Er ist ein Meister der Andeutungen. Seine Figuren sind auf fast subversive Art attraktiv. Immer deutet er ihre Schattenseiten an, bei Fernsehauftritten wie in »A Very British Scandal«, »The Hour« oder erst jüngst als Krankenhausarzt in der großartigen BBC-Serie »This is Going to Hurt«. Da wird er aus Erschöpfung und Frustration zum Mann jenseits des Nervenzusammenbruchs. Man weiß nicht, ob man ihn noch verstehen oder schon hassen soll. Das eignet ihn kaum für ein Megawatt-Startum. Selbst einen kompletten Sympathieträger lädt er noch mit Komplexität auf: Die Stimme, die er Paddington Bear leiht, ist warm und liebenswürdig, zugleich aber oft unsicher und immer ein bisschen melancholisch. Zu verletzlich fast für einen Kinderbären. Aber gerade darum auch wieder genau richtig. Das besondere Timbre seiner Stimme brachte Wishaw zur Freude der britischen Nation in einem »Paddington«-Sketch zum Platin-Jubiläum der Queen zum Einsatz: Da ist der Bär bei der Königin (die sich selbst spielt) zum Tee eingeladen. In aller Unschuld löst Paddington Chaos aus. Und wird trotzdem von der Queen und ihrem Volk geliebt: Auch das kann Ben Whishaw, beseelt wie kein Anderer. Selbst wenn er dabei unsichtbar bleibt. Marion Löhndorf
Jennifer Tilly
Die Zeit, in der Jennifer Tilly so etwas wie ein Hollywoodstar war, war kurz, aber glorreich. Nachdem sie die ersten Karriere-Jahre im Schatten ihrer jüngeren Schwester Meg verbrachte, gelang der Tochter eines chinesisch-stämmigen Amerikaners und einer Kanadierin der Durchbruch 1994 mit der Oscar-nominierten Nebenrolle als talentlose Möchtegern-Schauspielerin und Mafioso-Geliebte in Woody Allens »Bullets Over Broadway«. Kurz darauf machte sie gemeinsam mit Gina Gershon den Neo-Noir-Thriller »Bound« der Wachowskis zum Kultfilm auch abseits des Queer Cinemas. Doch nach »Der Dummschwätzer« mit Jim Carrey war die Hochphase auch schon wieder vorüber. Die Highlights der letzten 20 Jahre lassen sich an einer Hand abzählen und umfassen »Modern Family«-Gastauftritte ebenso wie jüngst die erstaunlich gelungene Horror-Serie »Chucky«, in der Tilly wie schon in früheren Mörderpuppen-Filmen eine Version ihrer selbst spielt. Deutlich mehr auf seine Kosten kommt man als Fan inzwischen, wenn man die Profi-Poker-Szene der USA verfolgt. Denn mit Kartenspielen verdient die Frau mit der unverwechselbaren Stimme längst mehr Geld als mit der Schauspielerei. Patrick Heidmann
Takeshi Kaneshiro
Der Mann hat mich eine Menge Geld gekostet: reuelos verschleudert für zweifelhafte DVDs aus Hongkong. Takeshi Kaneshiro startete seine Karriere als idealschönes Pop-Idol, und eine Weile sah es so aus, als könne der 1973 in Taipeh geborene Schauspieler mit dem Sprachtalent (Taiwanisch, Japanisch, Hochchinesisch, Kantonesisch, Englisch) und dem Schmelz einer griechischen Jünglingsstatue ein wahrer »transnationaler« Star werden: der »Johnny Depp Asiens« hieß es irgendwo. Rollen bei Spitzenregisseuren wie Wong Kar-Wai (»Chungking Express«, »Fallen Angels«) und Zhang Yimou (»House of Flying Daggers«) waren allerdings spärlich gesät. Kaneshiro hat lange die Ebene durchmessen: in Shaw-Krimis, Musicals, Komödien und Liebesfilmen, die er, so weit man das Werk überblicken kann, mit einer sanften Metrosexualität anreicherte. Sein »signature piece« ist für mich die Vorstellung in John Woos »Red Cliff«, wo er neben Tony Leungs Warlord den klugen, daoistisch-tiefenentspannten Strategen Zhuge Liang spielt. Ein Übergang ins Charakterfach, den auch Peter Chans »Wuxia« signalisierte. Nach einem weiteren epischen Woo-Projekt ist Takeshi Kaneshiro, der nebenbei einer der beliebtesten Cover-Boys asiatischer Hochglanz-Magazine war, praktisch von der Bildfläche verschwunden, seit Jahren hat uns kein Film mehr erreicht. Sollte es sich hier um das Garbo-Syndrom handeln – so in der Art: behaltet mich schön in Erinnerung –, dann kann ich nur sagen: altmodisch gedacht. Die Zen-Nummer aus »Red Cliff« kann auch mit 60 sexy wirken. Komm zurück, Takeshi! Sabine Horst
Veróica Forqué
Das erste Mal stand sie 1984 vor der Kamera des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar; Anfang der 90er gab er Forqué eine Hauptrolle. In der überdrehten Mediensatire »Kika« spielt sie eine Visagistin, in der die Eigenschaften aller bisherigen Almodóvar-Frauen vereint waren. Im Presseheft beschreibt der Regisseur sie als »ein naives Mädchen, wie Marilyn in ihren besten Momenten, die sich der Gefahren, die sie umgeben, nicht bewusst ist, positiv und ohne Vorurteile, sensibel und modern (wie Holly Golightly in »Frühstück bei Tiffany«, seit ewig eine Heroine nach meinem Geschmack), eine Person mit geradezu surrealem Optimismus«. Einen weiteren Auftritt bei Almodóvar hatte die 1955 geborene Tochter einer Schauspielerin und eines Regisseurs nicht. Das ist schade. Denn mehr als Carmen Maura, Marisa Paredes, Victoria Abril oder Penélope Cruz verkörpert sie die typische Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Womöglich hat Almodóvar sie genau deswegen nicht mehr besetzt. Stets an der Grenze zum Clownesken, übererfüllte sie seine Vision von Weiblichkeit. In über 60 Film- und Fernsehproduktionen, meist spanischen, wirkte sie mit. Zuletzt hatte sie eine kleine Rolle in der auf Netflix gestreamten romantischen Komödie »1000 km weit weg von Weihnachten«. Wirklich groß raus kam sie nicht. Man hätte ihr den Durchbruch gegönnt, bei Almodóvar oder sonst wem. Am 13. Dezember 2021 fand man sie tot in ihrer Wohnung auf. Offenbar war es ein Suizid. Das ist unendlich traurig. Manfred Riepe
Marianne Jean-Baptiste
Ihr Part in Mike Leighs »Lügen und Geheimnisse« machte sie 1996 schlagartig bekannt und brachte ihr unter anderem eine Oscar-Nominierung als beste Darstellerin in einer Nebenrolle ein. Hortense ist berufstätig, lebt allein und will nach dem Tod ihrer Adoptivmutter ihre wirkliche Mutter ausfindig machen. Die ungebremste Emotionalität von Brenda Blethyn kontrastierte Marianne Jean-Baptiste mit Sachlichkeit, bei aller Offenheit für Irritationen (sie war schwarz, ihre Mutter weiß). Diese Sachlichkeit, verbunden mit einer natürlichen Souveränität, ist ihr Merkmal geblieben – immer wieder wird sie als Autoritätsperson besetzt, oft auch in Uniform, bei der Polizei, beim Militär, als Richterin. Aber wie gern würden wir andere Facetten kennenlernen! Warum sind nur all die starken Frauen des New British Cinema (Emily Lloyd, Cathy Tyson, Saskia Reeves) heutzutage fast nur noch in Fernsehserien zu sehen? Frank Arnold
Raúl Castillo
In »Looking«, einer der – ganz subjektiv – wichtigsten Serien der zehner Jahre über eine Gruppe queerer Männer in San Francisco, konnte sich der Videospiel-Designer Patrick (Jonathan Groff) lange nicht zwischen seinem britischen Boss Kevin (Russell Tovey) und seinem mexikanischen Ex-Lover Richie (Raúl Castillo) entscheiden. Über zwei Staffeln und einen finalen Spielfilm (2016) teilten sich die Fans in zwei Lager, Team Kevin oder Team Richie. Dabei war der grüblerische, impulsive Richie immer interessanter. So wie »Looking« Vorreiter für Repräsentation mitten im Leben stehender schwuler Männer war, verstand es Castillo, 1977 in Texas geborener Sohn mexikanischer Einwanderer, diesen Richie als Latino jenseits gängiger Stereotype darzustellen. Seine Rolle im preisgekrönten Indiedrama »We the Animals« hätte dann der Durchbruch zur Kinokarriere sein können, blieb aber bisher nur ein Versprechen, trotz ein paar Nebenrollen in »Knives Out« und B-Movies. Von den Klischee-Rollen für Latinos hält er sich zum Glück weiter fern, keine Drogendealer, keine Gangster in Actionblockbustern. Auf Apple TV+ ist er gerade in der Romantikkomödie »Cha Cha Real Smooth« zu sehen, mit einem undankbaren Mini-Auftritt als Dakota Johnsons betrogener Ehemann, der nicht mal für eine Namensnennung im Trailer gereicht hat. Höchste Zeit, dass Raúl Castillo selbst im Mittelpunkt steht! Vielleicht muss er das in die eigene Hand nehmen: Denn schreiben kann er, das hat er jahrelang mit Stücken in der New Yorker Offtheaterszene bewiesen. Thomas Abeltshauser
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