22. Nippon Connection Filmfestival
Anna Yamada in »Unlock Your Heart«
Nach zwei Jahren Online-Programm konnte das Japan-Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt live durchstarten. Und erweckte aus dem Stand einen Eindruck befriedigender Fülle
Pandemie, Klimakrise, Rechtsradikalismus, Krieg – unsere Welt steuert auf den Abgrund zu, und der Film im Westen befindet sich schon lange im Apokalypse-Modus. Japan hat zweifellos auch eine Menge Probleme. Aber wer in diesem Jahr das japanische Filmfestival in Frankfurt besuchte, das nach zwei Online-Programmen unter spürbarer Erleichterung wieder live stattfand, konnte den Eindruck gewinnen, dass diese Konflikte sich auf einem niedrigeren, noch beherrschbaren Level abspielen. Und dass die Menschen bemüht sind, ihren durchaus mühevollen Alltag auf eine einigermaßen würdige, zivilisierte Art zu bewältigen.
Die hörgeschädigte Boxerin im halbdokumentarischen, mit einer verführerischen »Haptik« auf 16 mm gedrehten Eröffnungsfilm »Small, Slow but Steady« von Sho Miyake entscheidet nach dem Niedergang ihres familiären Clubs, dass sie sich nicht länger zusammenschlagen lassen wird – Selbstfürsorge. In dem atmosphärischen, von erhabenen Landschaftsaufnahmen getragenen Historienfilm They Say Nothing Stays the Same (Joe Odagiri, Kamera: Christopher Doyle) kümmert sich ein alter Fährmann um seine Passagiere und ein rätselhaft »angespültes« Mädchen, obwohl er selbst von der Hand in den Mund lebt und nach dem Bau einer nahen Brücke sein Auskommen verlieren wird. Im komplex erzählten Drama A Balance (Yujiro Harumoto) versucht eine junge Fernsehjournalistin verzweifelt, eine Reportage über den Doppelsuizid eines Lehrers und seiner Schülerin mit ihren moralischen Prinzipien in Einklang zu bringen.
Und dann waren da natürlich die Protagonist*innen im Schwerpunkt »Stories of Youth« (an den auch die Retro mit Klassikern von Nagisa Oshima und Mikio Naruse angedockt war): nicht nur Filme über den Stress und die Kontrolle im japanischen Schulbetrieb oder den ernüchternden Übergang ins Erwachsenenleben der salarymen, der Angestellten, sondern auch um die Frage nach der LGBTQ-Toleranz. Der in einem stilvollen Realismus inszenierte »Let Me Hear It Barefoot« der Regisseurin Riho Kudo kreist um zwei junge Männer, die nicht recht wissen, wie sie ihre Zuneigung und ihr Begehrenausleben sollen. Als regelrechter Selbstermächtigung-Lehrfilm für die Schule könnte dagegen »What She Likes...« von Shogo Kusano gezeigt werden. Hier hat ein Oberschüler eine sexuell befriedigende Affäre mit einem verheirateten Mann – möchte aber unter den Peers nicht auffallen und legt sich eine Freundin zu, ein Mädchen, das eher verschämt auf Yaoi, für weibliches Publikum konzipierte schwule Mangas, steht. Am Ende gibt es ein triumphales Doppel-Outing. Einer der schönsten Filme war der in der »Visions«-Sektion mit dem Jurypreis ausgezeichnete »Unlock Your Heart«. Die 27-jährige Rin Shuto entfaltet hier mit einem akribischen Blick fürs Detail – Kleider, Accessoires, Innenausstattung – das Psychogramm eines Mädchens (Anna Yamada), das als Schulzicke gilt und zunächst wenig Empathie weckt, im Verlauf einer schwierigen Dreiecksgeschichte aber etwas an den Tag legt, was ihren angepassten, still leidenden Mitschülern abgeht: Autonomie, Energie, Resilienz.
Auffallend war in diesem Jahr wieder die Geduld, mit der japanische Filmemacher zu Werke gehen – selbst ein funkelnder Mainstreamer wie die Komödie »Sensei, Would You Sit Beside Me?« um eine Zeichnerin, die ihr Liebesleben per Romantik-Manga reorganisiert, lebt von einer Technik der Verzögerung. Didaktisch oder in sich gekehrt war das Festival aber nicht. Auch Genreregisseure wie Takashi Miike und Shinichiro »One Cut of the Dead« Ueda hatten geliefert; die Animesparte präsentierte sich prominent und charmant mit Mamoru Hosodas neuem Film Belle – kurz darauf im Kino – und der High-Tech-Familienkomödie »Sing a Bit of Harmony«. Dass das Publikum – mit rund 15 000 verkauften Tickets knüpfte Nippon fast an die vorpandemische Lage an – nicht nur die Kunst, sondern auch ein Lebensgefühl sucht, lässt sich am Zuspruch für das umfangreiche, offenbar immer noch wachsende »Culture«-Programm ablesen, mit Tanz- und Musikveranstaltungen, Workshops, Diskussionen, die auch wissenschaftlichen Ansprüchen standhalten, und Jörg Buttgereits beliebtem Heimkino, dieses Mal mit Marcus Stiglegger.
Die Japaner gehörten übrigens zu den Ersten, die gemerkt haben, dass Corona vor allem durch Aerosole in geschlossenen Räumen übertragen wird. Die vom Festival verhängte Maskenpflicht in Kinos und Foyers wurde vom Publikum zivilisiert und entspannt hingenommen. So kann man’s also auch machen. Passt ins Bild.
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