02/2016
»Team Tarantino« – In dem Ensemblewestern »The Hateful Eight« hat er wieder große Schauspieler für deftige Rollen gefunden. Wie macht Quentin Tarantino das? +++
»Angriff der Webgiganten« – Die Spielfilmproduktion von Netflix und Amazon +++
»Open-Air in Amman« – Die Kinoszene in den arabischen Ländern +++
»Berlinale: Die Macht der Gefühle« – Deutsch-deutsche Filmbegegnung in der Retrospektive +++
Filme des Monats +++ SPOTLIGHT +++ MUSTANG +++ FREUNDE FÜRS LEBEN +++ WHERE TO INVADE NEXT +++ FRANCOFONIA +++ EIN ATEM +++
In diesem Heft
Tipp
Der legendäre Animationsfilm (1991) aus dem Studio Ghibli jetzt als Special Edition auf DVD und BluRay
am 6.2. um 20:15 Uhr, ARD – Der TV-Zweiteiler über den jungen Journalisten David Burger arbeitet sich an großen Vorbildern ab und verliert sich dabei leider in optischen und inhaltlichen Klischees
Alptraumbilder: Der Horrorfilm »Horsehead« verwischt mutig die Grenze zwischen Narration und visionärperformativem Bilderrausch
Der erste Teil der legendären »Heimat«-Trilogie von Edgar Reitz »digitally remastered« – und das Buch dazu
Verschachtelt: »Blackout« von Nicolas Roeg mit Art Garfunkel, Theresa Russell und Harvey Keitel
Kann der deutsche Film kein Genre? Aber hallo!, sagt die Genrenale und präsentiert während ihrer vierten Ausgabe Perlen des teutonischen Mysteryhorror-Episodenfilms, der Science-Fiction-Comedy und des Psychothriller-Noir. Der blutige abgetrennte Bärenkopf gibt als Logo und Seitenhieb auf die Berlinale die Stoßrichtung vor
Jedem Ding sein Festival, müssen sich die Organisatoren des Internationalen Fahrradfilm-Festivals gedacht haben. Am 19. Februar macht es im Wiesbadener Filmtheater Murnau Halt. Das Programm liefert mit Filmen wie »Ride«, »The Man Who Lived on His Bike«, »Goodbye Bike« oder »Fahrradfahren ist notwendig« Drahteseldramaturgie vom Feinsten. Hauptpreis ist »Die Goldene Kurbel« – der weltweit älteste Preis für Fahrradfilme
Das Filmmuseum in Wien nimmt sich eines der bekanntesten österreichischen Hollywood-Emigranten an: Otto Preminger. Neben seinen Klassikern, darunter »Laura«, »Angel Face«, »River of No Return« oder »Anatomie eines Mordes«, laufen auch Filme, die er maßgeblich inspiriert hat, die also partly Preminger sind, wie etwa Jean-Luc Godards »Ausser Atem«
Parallel zur Retrospektive der 66. Berlinale veranstaltet die Deutsche Kinemathek vier Abende, die sich mit den Hintergründen der Reihe auseinandersetzen. Am Samstag (13.) diskutieren epd Film-Autorin Claudia Lenssen, Ralf Schenk, Vorstand der DEFA-Stiftung, Filmkritiker Bert Rebhandl und Fernsehkritikerin Klaudia Wick über die Aufbruchsstimmung im damaligen Kino.
Am Sonntag (14.) interviewt Retrospektive-Sektionsleiter Rainer Rother die Regisseure Volker Schlöndorff und Wolfgang Kohlhaase über ihre persönlichen Erfahrungen im Filmjahr 1966. Tags darauf sprechen Produzentin Regina Ziegler, Dokumentarfilmer Hans-Dieter Grabe, Produzent Günter Rohrbach und Drehbuchautor Georg Stefan Troller über 1966 im Fernsehen. Den Abschluss macht Claudia Lenssen mit »Ein anderer Blick – ein anderes Bild« am Donnerstag, 18. Februar.
Cannes, Venedig und Locarno machten es vor, seit 2015 gibt es sie auch in Berlin: die Woche der Kritik. Zum zweiten Mal findet, organisiert vom Verband der Deutschen Filmkritik (VDFK), während der Berlinale eine »intensive Auseinandersetzung mit Kino, ästhetischen und erzählerischen Formen und deren politischen Rahmenbedingungen« statt. Das Kino in den Hackeschen Höfen stellt an sieben Abenden Filme vor, die anschließend mit internationalen Gästen besprochen werden
Unter der Ägide des Tanztheaters Wuppertal zeigt das internationale Festival »Dance on Screen«: in allen Facetten, in Filmen und Videos vorwiegend aus den letzten Jahren. Dazu gibt es Vorträge und Workshops
Ein Jahr vor dem 30. Jubiläum schreibt sich das Festival für digitale Kultur im Haus der Kulturen der Welt eine besonders performative und partizipatorische Ausrichtung auf die Fahne.
Der großangelegte DEFA-Dokumentarfilm von Joris Ivens, an dem viele Prominente beteiligt waren, ist ein hervorragendes Studienobjekt für Filmhistoriker, Medien- und Politikwissenschaftler
am Do., den 25.2. in Frankfurt am Main – epd Film Autor Ulrich Sonnenschein spricht mit Ilker Catak und Dustin Loose, beide Gewinner eines Student Academy Awards
Eine klassische Wettbewerbsdokumentation, im Milieu angehender Spitzendirigenten angesiedelt: Erfreulich schnörkellos und unemo-tionalisierend, aber leider auch ohne wirkliches Interesse für die handwerkliche Seite des Metiers
Thema
In Dubai laufen internationale Stars über den roten Teppich, in Kairo gibt es Arthouse-Kino. Filmkultur in den arabischen Ländern – ein Reisebericht
Clash der Kulturen: Die Streamingdienste Netflix und Amazon sind in die Spielfilmproduktion eingestiegen. Wenn Terry Gilliam und Nicolas Winding Refn für die drehen – braucht man dann noch Kino?
Schauspieler Ricardo Darín ist in seiner Heimat Argentinien eine Institution, nur ein Teil seiner Filme kommt auch hierzulande ins Kino. Sein neuester ist »Freunde fürs Leben« von dem Spanier Cesc Gay
Wenn über seine Filme gesprochen wird, geht es meist um Genrezitate, politische Inhalte, künstlerisches Risiko. Dabei ist Quentin Tarantino vor allem auch: ein großer klassischer Schauspieler-Regisseur. Wie sich jetzt wieder in dem Ensemble-Western »The Hateful Eight« zeigt
Til Schweiger und Christian Alvart bringen den »Tatort« jetzt ins Kino. Das hat es in der langen Geschichte des Formats schon mal gegeben, zu Zeiten von Götz Georges Schimanski
Unsere "Steile These" des Monats Februar
Meldung
Die Retrospektive der Berlinale nimmt das Jahr 1966 in den Blick – aus west- und ostdeutscher Perspektive. Zum Programm gehören fünf »Verbotsfilme« aus der DDR und verschiedene Highlights des jungen deutschen Films. Alle zeigen: Da war etwas im Umbruch, hüben wie drüben
Bitte nur mit Pause: Quentin Tarantinos Winterwestern »The Hateful Eight« wird in 4 deutschen Kinos im 70mm-Roadshow-Format gezeigt
Auch ohne Han Solo und die anderen stand schon Ende November fest, dass 2015 ein Rekordjahr für die Kinobranche werden würde
Alexander Fehling ist in diesem Monat im Fernsehfilm »Der Fall Barschel« zu sehen
Filmkritik
Leider gelingt es Quentin Tarantino in seinem achten Film »The Hateful Eight« nur selten, dem selbstreferenziellen Spiel mit Zitaten und Genretropen etwas Substanzielles hinzuzufügen. So ist seine Gewaltreflexion über den schwelenden Rassismus in den USA am Ende nur ein Vorwand für stilistische Fingerübungen
Sarah Gavron erzählt mit Carey Mulligan in der Hauptrolle vom Kampf um Frauenrechte im britischen Königreich um 1900. Zwar macht sie dankenswerterweise deutlich, wie viel Gewalt bei diesen Auseinandersetzungen im Spiel war, aber ihr Film »Suffragette« verfährt ansonsten allzusehr nach konventionellen melodramatischen Grundvorgaben
Kammerspiel um ein junges Paar, hervorragend gespielt von Theresa Scholze und Max Riemelt, das aus seinem Leben ausbrechen will. »Lichtgestalten« ist intensiv und innovativ
Ein junger Deutscher verliebt sich während seines Praktikums auf einem Containerschiff in einen französischen Schiffsingenieur. Stefan Butzmühlens melancholische Liebesgeschichte »Lichtes Meer« ist zugleich auch ein beinahe dokumentarischer Abgesang auf die Romantik der Seefahrt
»Freunde fürs Leben« ist ein schöner kleiner, fast altmodischer Film. Regisseur Cesc Gay hat mit seinen beiden großartigen Darstellern Javier Cámara und Ricardo Darín ein genuines Melo geschaffen, inspiriert von den Filmen Vittorio de Sicas und dem Poetischen Realismus aus Frankreich
Ein Doku-Western: vier junge Männer treiben eine Herde von vierzehn Wildpferden von Mexiko bis Kanada. Das Abenteuerliche der fünfmonatigen Reise ergänzt »Ungezähmt« um Statements von Experten, die sich mit der problematischen Existenz von Wildpferden im heutigen Amerika beschäftigen
Christiane Büchner widmet sich in ihrem Dokumentarfilm »Family Business« dem ebenso massenhaften wie verdrängten Phänomen der polnischen Privatpflegekräfte, das durch geduldige und präsize Beoachtung ganz ohne emotionalisierende Zuschreibungen in die Sichtbarkeit geholt wird
Rick Famuyiwa verschmilzt in »Dope« den liebenswerten Flair von John Hughes' Teenagerkomödien mit beißender Sozialkritik am modernen Amerika, in dem Schwarze noch immer weitgehend chancenlos sind
Regisseur Alexis Alexiou zeichnet den Weg des verschuldeten griechischen Clubbesitzers Stelios zum Kriminellen nach und gestaltet seinen Film »Mittwoch 04:45« als eine Parabel auf die Auswegslosigkeit der Griechenlandkrise
Mehr als einen coolen Titel hat der Dokumentarfilm »Grenzbock« über Jäger von Hendrik Löbbert leider nicht zu bieten. Weder zeigt er interessante Bilder, noch stellt er sich einer ernsthaften Diskussion über Sinn und Unsinn der Jagd
Auch der zweite Film um Sebastian und seine schneeweiße Berghündin Belle fesselt mit großartigen Naturbildern. Die Frage nach seiner Herkunft kann in »Sebastian und die Feuerretter« gelöst werden, und der Junge blickt von nun an positiv in die Zukunft
Dafür, dass »Sisters« eigentlich nur eine Teenie-Party-Komödie mit erwachsenen Frauen in den Hauptrollen und zu viel pubertären Prollgags ist, gibt es hier erstaunlich viel zu lachen. Verantwortlich dafür sind Tina Fey und Amy Poehler, denen man trotzdem mal ein besseres Drehbuch gönnen würde
Ein aserbaidschanischer Dorfbewohner möchte eine europäische Kuh kaufen – und stößt auf den Widerstand seiner Mitbürger. Ruhig und einfühlsam beobachtet, vermittelt der Dokumentarfilm »Holy Cow« einen guten Eindruck vom Alltag in der Region, lenkt aber immer wieder durch die Frage ab, wie viel an ihm tatsächlich nur Beobachtung und wie viel Inszenierung ist
Maria Furtwängler mimt in »Das Wetter in geschlossenen Räumen« eine verwöhnte, dem Luxus verfallene Wohltätigkeitslady in Diensten des UN-Flüchtlingswerks. Das kann nicht gut ausgehen
Fünf junge Leute, vier Männer und eine Frau, stolpern durch diesen Film, irgendwie ohne Ziel und Sinn. Wenn »Uns geht es gut« ein Generationenporträt sein sollte: Mit unserer Zukunft sieht es nicht gut aus
Der ambitionierte Gefängnisfilm »Colonia Dignidad« über eine scheinheilige deutsche Sekte in Chile ist mit Emma Watson, Daniel Brühl und Michael Nyqvist gut besetzt, macht aber zu wenig aus seinem brisanten Thema
Ein Kindermädchen soll in einem einsamen Landhaus eine lebensgroße Puppe hüten, als wäre diese ein Kind – oder lebt das Spielzeug wirklich? »The Boy« ist ein halbwegs spannender Horrorfilm, der sich zusehends in albernen Wendungen, den immer gleichen Spannungsmomenten und Klassikerzitaten verliert
»Dirigenten« ist eine klassische Wettbewerbsdokumentation, im Milieu angehender Spitzendirigenten angesiedelt: Erfreulich schnörkellos und unemotionalisierend, aber leider auch ohne wirkliches Interesse für die handwerkliche Seite des Metiers
Nicht alles gelingt in dem ambitionierten Autorenfilm »Ein Atem«, der aber in positiver Erinnerung bleibt, weil er zwischen Komödie und Kunstkino neue Wege erschließt
Die in den USA kontrovers diskutierte Geschichte sowie Will Smith in einer der besten Rollen seiner Karriere sind gute Gründe, sich »Erschütternde Wahrheit« von Peter Landesman anzusehen. Dass dessen melodramatisch angehauchte Inszenierung allerdings arg konventionell ausfällt, steht der Wucht seines Enthüllungsdramas etwas im Weg
Andreas Maus beleuchtet in seinem Dokumentarfilm »Der Kuaför aus der Keupstraße« das Nagelbombenattentat des NSU in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 und sein skandalöses Nachspiel: In Interviews und Inszenierungen von Vernehmungsprotokollen zeichnet er eindringlich nach, wie die Ermittlungsbehörden jeglichen rechtsterroristischen Hintergrund ausschlossen und stattdessen jahrelang die Opfer als Täter verdächtigten
Devid Striesow brilliert in der rabenschwarzen Groteske »Nichts passiert« als harmoniesüchtiger Familienvater im Skiurlaub, der (fast) alles tun würde, um es allen recht zu machen
Ein schockierendes Erlebnis im Urlaub lässt eine junge Frau nicht mehr los und verwandelt ihr Leben in einen Alptraum aus Entfremdung und Paranoia. An klassischen Psychothrillern geschult und mit feinem Gespür für Atmosphäre zeichnet Michael Krummenacher in seinem HFF-Abschlussfilm »Sibylle« eine existenzielle Krise nach
Fast eine Beziehungskomödie: Philippe Garrel, der altgediente Freischärler unter den Autorenfilmern Frankreichs, lässt in »Im Schatten der Frauen« die stilistische Unbefangenheit der frühen Nouvelle Vague wieder aufleben, um die alte Geschichte von Liebe, Betrug und Versöhnung neu zu erzählen
Aleksandr Sokurov nimmt die Geschichte des Pariser Louvre zum Anlass, um über den Zusammenhang von Kunst und Politik, Nation und Macht, Gegenwart und Geschichte zu sinnieren. Herausgekommen ist mit »Francofonia« eine alles andere als gradlinige Lektion in Kunstgeschichte, sondern eine kursorische Reflexion, die voller Neugier immer wieder kuriose Seitenwege einschlägt
»Where to Invade Next« ist eine vergnügliche Invasionstournee des Dokumentaristen Michael Moore, der in vielen europäischen Staaten nach Ideen und Errungenschaften Ausschau hält, von denen die US-Amerikaner etwas lernen könnten
Französisches Flair trifft auf türkische Verhältnisse: In ebenso betörenden wie kraftvollen Bildern fängt Deniz Gamze Ergüven in ihrem Debütfilm »Mustang« den Geist von Freiheit und Rebellion ein, der in einer Generation junger Frauen nistet, die sich gegen das System der Zwangsehe auflehnen
Packendes Drama über die Recherchen eines Bostoner Reporterteams, das Anfang der 2000er Jahre die systematische Vertuschung sexueller Missbrauchsfälle durch katholische Priester aufdeckte. Der exzellent gespielte Film »Spotlight« besticht durch eine Inszenierung, deren Nüchternheit die Ereignisse umso dramatischer wirken lässt. Nicht zuletzt auch eine große Hommage an den klassischen Zeitungsjournalimus
Der episodische Dokumentarfilm erzählt die Geschichte von sieben Kindheiten in der DDR leider zu lose. Die einzelnen Anekdoten verbinden sich nicht zu einem stimmigen Gesamtkonzept