Nahaufnahme von Ricardo Darín
Ricardo Darín in »Freunde fürs Leben« (2015) © Ascot Elite
Ricardo Darín ist in seiner Heimat Argentinien eine Institution, nur ein Teil seiner Filme kommt auch hierzulande ins Kino. Sein neuester ist »Freunde fürs Leben« von dem Spanier Cesc Gay
»Das Land geht den Bach runter«, empört sich der vermeintliche Polizist Marcos in »Die neun Königinnen« vergnügt, als er feststellt, dass der Schokoriegel in seiner Hand aus Griechenland importiert wurde. Das Lächeln auf seinen Zügen verrät prächtige Selbstironie, denn er hat ihn gerade in einer Tankstelle geklaut. Auch der Restaurantbesitzer Rafa spürt in »Der Sohn der Braut« die Wirtschaftskrise. Seine Lieferanten warten auf ihr Geld, eine Kette drängt ihn zum Verkauf. Kein Wunder, dass er beim Tiramisu an Mascarpone sparen und nach Mexiko auswandern will. Der pensionierte Justizbeamte Benjamin in »In ihren Augen« rollt einen alten Fall auf, der ihn zurückversetzt in die noch unbewältigte Zeit der Diktatur. Den Eisenwarenhändler Roberto in »Chinese zum Mitnehmen« wiederum hat der Falklandkrieg von der Sinnlosigkeit des Lebens überzeugt. Der Sprengmeister Simón schließlich setzt sich in »Wild Tales« gegen bürokratische Willkür so rabiat zur Wehr, dass er Familie und Freiheit verliert – um dann jedoch als Volksheld gefeiert zu werden. In Ricardo Daríns großen Rollen scheint nicht weniger auf dem Spiel zu stehen als das Wohl und Wehe seiner Heimat Argentinien.
Als Trickbetrüger in »Die neun Königinnen« wurde er 2000 außerhalb seiner Heimat bekannt, in seiner Rolle als »Sohn der Braut« wirkte er kurz darauf bereits vertraut; als nostalgischer Ermittler in dem oscargekrönten »In ihren Augen« wurde er für das europäische Publikum endgültig zu einem verlässlichen Gefühlswert. Sein Starruhm ist so solide, dass er seine Präsenz auch an Nebenrollen ausleihen kann. Mit seinem Partner in »Freunde fürs Leben«, Javier Cámara, trat er schon gemeinsam im Episodenfilm »Ein Freitag in Barcelona« auf.
Es mag bedauerlich sein, dass er internationale Aufmerksamkeit erst errang, als er schon über vierzig war – seine Karriere verläuft mithin parallel zur enormen Ausstrahlung, die das argentinische Kino ab der Jahrtausendwende weltweit gewinnt. Aber es hat seine Vorzüge, dass wir ihn in jenem Zwischenstadium kennenlernten, wo seine Charaktere das Altern gern noch aufschieben würden. Als Darsteller hatte er zu dieser Zeit längst einen betörenden Grad an Reife gewonnen. Von 1999 an wurde der 1957 als Sohn eines Schauspielerpaares geborene Darín praktisch jedes Jahr für den heimischen Filmpreis »Condor« nominiert (zuletzt mit der explosiven Episode aus »Wild Tales«) und hat ihn mehrfach gewonnen. Sein Schauspieldebüt gab er mit zehn Jahren an der Seite seiner Eltern. Vielleicht dürfen wir uns den jungen Ricardo so vorstellen, wie Rafa zu Beginn von »Der Sohn der Braut« in einer Rückblende auftritt: als abenteuerlustigen Rangen, als Zorro, den Rächer mit der Steinschleuder.
Aber erstmals begegnet sind wir ihm, als er den Überforderungen und Irrtümern der Lebensmitte komödiantischen Ausdruck verleiht. Mitunter zeichnen sich schon Ringe unter seinen schönen schmalen Augen ab, deren Schnitt an die erhabene Verschlagenheit von Lee van Cleef gemahnt, in deren erwartungsvollem Funkeln aber auch ein großes romantisches Versprechen liegen kann. Seine Figuren müssen nicht sympathisch sein, um uns nahezukommen. Als Rafa legt er einen ganzen Katalog der schlechten Eigenschaften an: Er ist ein ruppiger Boss, unzuverlässiger Sohn, zorniger Exmann und zerstreuter Vater; seine Freundin hätte weiß Gott einen aufmerksameren Partner verdient. Für einen solch ausgemachten Egoisten halten Drehbücher einen Denkzettel bereit. Hier ist es ein Herzinfarkt, der ihn aus seiner hastigen, unverbindlichen Lebensweise erlöst. Es geniert Darin nicht, die konventionellen Mechanismen zu spielen, die mit derlei Läuterungen üblicherweise im Kino einhergehen. Er nimmt sich die Zeit, Raffas Wandlung in gestischer Achtsamkeit (man achte nur auf seine anfängliche Weigerung, eine Brille zu tragen) nachzuvollziehen. Sein Griesgram in »Chinese zum Mitnehmen« durchläuft eine ähnliche Wandlung. Selbst in Rollen, in denen er als Repräsentant für ein bürgerliches Publikum fungiert, bringt Ricardo Darín mehr als das ein: seine Gabe zu instinktiver Familiarität. Er ist der Freund, Bruder, Sohn oder Vater, der unser Vertrauen schon mal enttäuscht hat, es aber nach wie vor besitzt.Gerhard Midding
»Freunde fürs Leben« startet am 25.2.
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