Kritik zu Chinese zum Mitnehmen

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Kritiker schätzen seit einigen Jahren die strenge Lakonie argentinischer Filme. Sebastián Borenszteins Komödie hier weiß ihr Publikum auf andere Weise zu suchen: mit dem Charme der Vorhersehbarkeit

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Einer der populärsten Dialoge des französischen Kinos unter der deutschen Besatzung ist im Film Marie-Martine von 1942 zu hören. Darin spielt Saturnin Fabre einen exzentrischen Misanthropen, der seine Lebensphilosophie einmal mit den legendär gewordenen Worten formuliert: »Alles ekelt mich an, also lebe ich allein. Aber allein zu leben, ekelt mich ebenfalls an.« Fabre war ein Meister der Verdrossenheit. Sein Rollentyp, der des griesgrämigen Eigenbrötlers, gehört zu den Dauerbrennern des Kinos. Er ist eine beliebte Kippfigur: Seine Tragikomödie besteht darin, zum Mitmenschen geläutert zu werden.

Auch Ricardo Darin beherrscht dieses Rollenfach. Der Eisenwarenhändler Roberto, den er in Chinese zum Mitnehmen spielt, ist ein Pedant, der sich regelmäßig beim Hersteller beschwert, wenn in einer Schraubenlieferung auch nur eine einzige fehlt. Das Leben hält er sich nach Kräften vom Hals, anspruchsvolle Kunden wirft er barsch aus dem Geschäft. Nur die Besuche eines Kioskbesitzers duldet er, der ihm als Freundschaftsgeste ausgediente Zeitungen und Zeitschriften bringt. Seine Feierabende bringt er damit zu, aus ihnen kuriose Meldungen aus den vermischten Nachrichten auszuscheiden und in ein Album zu kleben. Nur der Glasmenagerie seiner verstorbenen Mutter widmet er noch die gleiche Sorgfalt.

Eines Tages trifft Roberto den jungen Chinesen Jun (Ignacio Huang), der sich in Buenos Aires auf der Suche nach Verwandten verirrt hat. Widerwillig nimmt er den Verlorengegangenen, der kein Wort Spanisch spricht, für eine Nacht bei sich auf. Das barmherzige Drehbuch sieht nun vor, dass Roberto die ihm unliebsam zugewachsene Verantwortung nicht so leicht abschütteln kann. Die beiden unterschiedlichen Männer scheinen vorerst zu einer einsilbigen Wohngemeinschaft verdammt, die Roberto mit der Zeit dennoch ans Herz wächst.

Diese Geschichte hat man im Kino schon Dutzende Male gesehen. Dieses weitere Mal schadet indes nicht. Autor und Regisseur Sebastián Borensztein unternimmt zauberhaft altbackene Anstrengungen, seinen Helden von sich selbst zu erlösen. Seine verlässlichste Bündnispartnerin ist dabei die couragierte Mari (Muriel Santa Ana), die Schwester des Zeitungshändlers. Sie lässt sich auch von Robertos schroffen Zurückweisungen nicht entmutigen in ihrem Plan, ihn zu Liebe und Lebensfreude zu bekehren. Eine Liebesszene, von der der Film hübsch in der Schwebe lässt, ob sie Erinnerung ist oder Robertos Sehnsucht entspringt, deutet an, dass sie am Ende ein vergleichsweise leichtes Spiel haben wird. Zwei Dinge sagt sie, würde sie an einem Menschen sofort erkennen: Rechtschaffenheit und Leid. An Erstem hegt man nie Zweifel; Zweites offenbart Roberto, als er seinem chinesischen Gast mit Hilfe eines Dolmetschers erklärt, weshalb er das Album angelegt hat: Der Falklandkrieg hat ihn davon überzeugt, dass das Leben sinnlos und absurd ist. Jun ist übrigens Held, besser gesagt: Opfer der gewiss kuriosesten Begebenheiten in Robertos Sammlung. Über sie sei nur so viel verraten: Wer sich noch an Luna Papa mit Moritz Bleibtreu erinnert, weiß, dass sie sich in der Sowjetunion einst tatsächlich ereignet hat.

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