Kritik zu Lichtes Meer
Ein junger Mann aus Mecklenburg heuert auf einem Containerschiff an und versucht so, sich den Traum von der weiten Welt zu erfüllen
Das Meer ist für den etwa 20-jährigen Marek die Erfüllung all seiner Sehnsüchte. Er, der sein bisheriges Leben in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Bauernhof seiner Eltern verbracht hat, träumt von der Ferne. Und so steht Marek schließlich im Containerhafen von Dunkerque und blickt auf den Quell seiner Hoffnungen hinaus. Doch bevor er sich von einem dieser riesigen Frachtschiffe hinaus in die Welt tragen lassen kann, muss er erst einmal warten.
Sieben oder auch mehr Tage an Land, bevor das Schiff überhaupt die Anker lichtet, sind nichts Ungewöhnliches. Das erfährt der von Martin Sznur gespielte Marek beim Frühstück im Hotel. Der ein paar Jahre ältere Jean (Jules Sagot), der mit 16 das erste Mal zur See gefahren ist, weiht ihn in die alles andere als lichten Realitäten des Matrosenlebens ein und befeuert doch die Sehnsucht des Deutschen. Marek verliebt sich in ihn.
Stefan Butzmühlen spielt in »Lichtes Meer«, seinem zweiten Spielfilm, immer wieder mit der Romantik der Seefahrt. Auf dem Soundtrack begleiten elegische Songs, die das Glück und die Einsamkeit auf See beschwören, Mareks Reise. Und auch wenn nie Freddy Quinns Stimme erklingt, denkt man doch immer wieder an ihn. Die perfekt kadrierten Bilder des Films erzählen dagegen eine ganz andere Geschichte. Wenn Butzmühlen und sein Kameramann Jonas Schmager in langen Einstellungen auf die Metallcontainer blicken, die einer nach dem anderen von Kränen auf das Schiff gehoben werden, oder wenn ihr Blick durch die schier endlosen Gänge des Schiffs schweift, wird diese melancholische Coming-of-Age-Geschichte, in der sich Marek nach und nach von seinen jugendlichen Träumen und Sehnsüchten löst, immer mal wieder auch zu einem Dokumentarfilm über die moderne Containerschifffahrt.
Auf dem Schiff, auf dem Marek sein Praktikum absolviert, muss sich anders als in Pierre Lotis Roman »Pêcheur d'Islande«, den er während der Überfahrt liest, niemand mehr ans Ruder fesseln, um einen Sturm zu überstehen. Mit seiner Länge von 197 und seiner Breite von 30 Metern ist es ganz auf die zig Container zugeschnitten, die es von Frankreich nach Martinique bringt. Gelegentlich wirkt es fast schon wie eine über die Wellen dahintreibende lange Lagerhalle. In seinem Bauch und auch auf seiner Brücke erscheinen einem Marek und die anderen winzig. Wahrscheinlich war es im Angesicht der Endlosigkeit der See immer schon so. Aber dieses Containerschiff raubt der Überwältigung durch das Meer ihren Zauber. Hier ist alles Technik und reine Zweckmäßigkeit. Das Erhabene der Natur geht verloren.
Aber ganz wollen Stefan Butzmühlen und sein Kodrehbuchautor Jan Künemund sich dann doch nicht einer jede Illusion zerstörenden Wirklichkeit hingeben. Also kontrastieren sie das komplett abenteuerfreie Leben auf dem Schiff mit einer bitter-süßen Liebesgeschichte. Marek lebt seinen von Loti und Melville, von Seemannsliedern und Puccinis »Madama Butterfly« genährten Traum von der Fremde. Die Liebe und das Meer werden eins im Herzen des Betrachters, und keine Enttäuschung kann die Sehnsucht nach beiden ganz ersticken.
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