Kritik zu Suffragette
Sarah Gavron zeigt die britische Frauenrechtebewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Phase von Illegalität und Gewaltbereitschaft
Es gibt einen Moment in diesem Film, der ein bisschen herausfällt aus dem, was man in einem Drama über den historischen Kampf der Suffragetten so erwartet. Da geht Brendan Gleeson in seiner Rolle als Polizeiinspektor mit einem Kollegen einen Stapel Fotos von Frauen durch und klassifiziert sie mit großem Ernst als »gefährlich« oder »nicht gefährlich«. Die Fotos an sich sind selbstverständlich harmlos, sie zeigen Frauen in Straßenkleidung, wie sie anno 1912 in London üblich war, und das heißt: alles andere als geeignet dazu, loszuschlagen, loszulaufen oder in anderer Weise die Fassung zu verlieren. Gleeson und seine Mannen aber sprechen von ihren brav gekleideten Verdächtigen, wie man es heute wohl von potenziellen Attentätern tut: als immanenten Gefahrenquellen, die die Grundfesten des Staates und der Ordnung zerstören könnten, wenn man ihre Tätigkeit nicht schnellstens im Keim erstickt. Dieses Als-Bedrohung-wahrgenommen-Werden verleiht der in »Suffragette« dargestellten Frauenbewegung eine Spannung und ein Gewicht, mit denen klar wird, wie interessant der Film hätte werden können, wenn er aus dieser fürs heutige Auge so fremden Perspektive erzählt wäre. Die Frauenbewegung einmal nicht als bloßer Gleichstellungskampf, sondern tatsächlich als Angriff auf ein herrschendes System.
Aber für solche Verfremdungseffekte hatte die Biopic- und True-Story-Industrie leider noch nie viel übrig. Weshalb die Britin Abi Morgan, die in Filmen und Serien wie »Shame«, »Die eiserne Lady« und »The Hour« gezeigt hat, dass sie es besser kann, hier das übliche Verfahren anwendet: Man nehme ein paar Realpersonen – Meryl Streep verkörpert für vier Minuten Suffragettenlegende Emmeline Pankhurst –, ein paar Realereignisse wie die in Ausschreitungen und Verhaftungen endenden Frauendemonstrationen von 1912 und verwickle darin eine fiktive, aber beispielhafte Figur. Auftritt Maud (Carey Mulligan), eine junge Wäschereiangestellte, die im Job (Niedriglohn, sexuelle Belästigung durch den Chef) und zu Hause (ein besitzergreifender Ehemann) das Los der Unterdrückung erfährt. Maud lässt sich aus Sympathie für eine Kollegin in die Suffragettenzirkel hineinziehen, wo Frauen wie die Apothekerin Edith (Helena Bonham Carter) aktiv sind. Wobei jede der Damen, denen Maud begegnet, bestimmte Aspekte der diversen Frauenleiden vertritt, während jeder Mann auf seine Weise die Unterdrückung verkörpert, vom sexuell übergriffigen Chef über den in seinem Stolz gekränkten Ehemann bis hin zur väterlichen Herablassung des liberalen Politikers David Lloyd George. Der dramatische Bogen folgt ganz dem Muster: Erst muss alles schlimmer werden, bevor es besser wird.
Wirklich interessant wird »Suffragette« erst im letzten Akt, als die Frauen schließlich das glauben tun zu müssen, dessen sie von Anfang an verdächtigt wurden: ein Attentat begehen. Bei aller Ermüdung durch die nie mehr als konventionelle Erzählweise muss man dem Film am Ende zugestehen, dass er dankenswerterweise zeigt, mit wie viel Gewalt auf beiden Seiten auch der Kampf um die Frauenrechte verbunden war.
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