Kritik zu Lichtgestalten
In seinem zweiten Spielfilm nach dem hochgelobten Familienporträt »Vier Fenster« inszenierte Christian Moris Müller ein intensives Kammerspiel um den Ausbruch eines jungen Paares aus seinem Leben
Früher hätte man da auf eine Midlife-Crisis getippt, aber so jung, wie Katharina und Steffen sind, verbietet sich das eigentlich. Die beiden haben eine coole Wohnung über zwei Stockwerke, die sie mit Freunden hergerichtet haben, und Jobs, die sie auslasten und genug Geld einbringen. Ein irgendwie perfektes Leben, ein eigentlich glückliches Paar. Doch irgendwie scheinen sie sich wie in einem goldenen Käfig eingesperrt zu fühlen. In ihnen ist der Wunsch gewachsen, alles aufzugeben, noch einmal von vorne anzufangen, ein neues Leben zu beginnen, eine neue Identität aufzubauen.
Dieser Film handelt von einem Zwischenzustand, der Entschluss steht fest, und sie fangen an, ihn umzusetzen, keiner weiß, wohin es sie treiben wird, zuallerletzt sie. Lustvoll zersägen sie ihr Mobiliar (und ihre Lieblingsplatten), löschen ihre digitalen Profile, bringen ihr Vermögen unter die Leute, stecken Geldbündel in Handtaschen und Tempo-Päckchen. »Lichtgestalten« nennen sie sich einmal, Menschen, die verschwinden können, wie wenn man eine Taschenlampe ausknipst, soll das bedeuten.
Aber es tauchen auch Zweifel auf. Sie besprechen ihren Entschluss mit ihren Freunden, einem schwulen Paar. »Wenn ihr mit eurem Leben glücklich werdet«, sagt einer ihrer Freunde, »dann stellt ihr irgendwie auch mein Leben infrage. Wenn ihr scheitert, dann nehmt ihr mir auch die Hoffnung.« Und am Ende kommen die beiden darauf, dass ein Neuanfag auch etwas mit der Beziehung zwischen ihnen beiden zu tun hat. »Wir müssen aufhören, aneinander festzuhalten – das ist die Freiheit«, sagt Steffen einmal.
»Lichtgestalten« ist ein Kammerspiel, selten verlässt die Kamera die Wohnung der beiden. Noch dazu hebt der Film die Distanz auf zwischen den beiden und uns, wenn sie sich mit ihrer Kamera selbst filmen, Grußbotschaften aufsagen, diskutieren oder einfach nur Momente einfangen. Das ist aber nicht realisiert wie eine Mockumentary oder mit der Wackelkamera eines Horrorfilms à la »Rec«. Sondern wohlkomponiert. Einmal werfen sie metallene Gegenstände auf den Spiegel, in dem sie selbst sich sehen: Sie wollen nicht mehr sie selbst sein, sie wollen ihr Ebenbild zerstören. Aber immer wieder verlässt die Kamera auch die Position, wo die beiden sie hingestellt haben, erkundet die Wohnung, fängt die wogenden roten Vorhänge ein und die Stille, als sie leer ist. Sehr suggestiv wirkt das, unterlegt mit einem Hauch von Gewitter oder Meeresrauschen. Und manchmal gibt es Bilder mit den beiden großartigen Darstellern Theresa Scholze und Max Riemelt im Stile helldunkler Stillleben. Ästhetisch ist »Lichtgestalten« sicherlich der mutigste, experimentellste und visionärste deutsche Spielfilm des letzten Jahres. Oftmals aber hat man auch das Gefühl, alles dreht sich im Kreis. Aber das soll ja so sein.
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