Kritik zu Family Business

© Real Fiction

2015
Original-Titel: 
Family Business
Filmstart in Deutschland: 
28.01.2016
L: 
89 Min
FSK: 
12

Christiane Büchner (»Perestroika – Umbau einer Wohnung«, 2008) widmet sich in ihrem jüngsten Dokumentarfilm einem ebenso massenhaften wie verdrängten Phänomen: den Polinnen, die als Privatpflegekräfte in Deutschland arbeiten

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Der Tisch ist eine hundert Kilogramm schwere Extraanfertigung aus massiver Eiche. Nur die passenden Stühle fehlen noch dazu. Und auch dort, wo einmal die schicke Einbauküche hin soll, bleckt noch die rohe Wand. Trotzdem führen Jowita Sobolak und ihr Ehemann Andrzej das Filmteam mit sichtbarem Stolz durch den großzügig geplanten Einfamilienneubau im polnischen Lubin. Anders als in Deutschland baut man solch eine Familienvilla in Polen gerne ohne Kredit. Und damit das Budget dann auch noch für die Küche und das Kinderzimmer reicht, hat sich Jowita Sobolak wie viele andere Polinnen als Altenpflegerin nach Deutschland vermitteln lassen. So wächst der zukünftige Wohlstand der Familie. Aber erst einmal bleiben Andrzej und die pubertierende Tochter allein zu Haus.

Siebenhundert Kilometer westwärts in Bochum wohnt die 88-jährige Anne Pacht in einem anderen, etwas engerem Einfamilienhaus. Die beiden selbst nicht mehr ganz jungen Töchter sind mit der Pflege ihrer Mutter überfordert, die zwar noch nicht pflegebedürftig ist, aber auch nicht mehr allein für sich sorgen kann. Hier ist Jowitas erster Einsatzort, zwei Monate soll sie bleiben, danach, wie es das deutsche Recht fordert, für zwei Monate durch eine andere Hilfskraft abgelöst werden. Doch auch schon diese Wochen erscheinen Jowita in der fremden Umgebung sehr, sehr lang. Und der distinguierten Dame aus der Kriegsgeneration ist die handfeste Polin, die sich ganz selbstverständlich Wurst und Käse (»üppig!«) aufs Butterbrot legt, nicht besonders sympathisch.

Die Dokumentarfilmerin Christiane Büchner, deren bisherige Filme klug und differenziert gesellschaftliche Phänomene wie eine Herberge verdienter Moskauer Altgenossen (»Das Haus der Regierung«, 2002) oder die Privatisierung ehemaliger Kommunalwohnungen in Russland (»Perestroika – Umbau einer Wohnung«, 2008) verhandeln, verknüpft auch in ihrem neuen Film individuelle Lebensgeschichten mit strukturellen ökonomischen Grundlagen. Und sie beweist dabei feines Gespür für Situationen ebenso wie Geduld. So entsteht eine vielschichtige beobachtende Studie ganz ohne Sentimentalitäten oder Schuldzuschreibungen.

Schließlich ist jede und jeder von uns zumindest potenziell betroffen: Geschätzt bis zu 200 000 osteuropäische Frauen arbeiten derzeit als Betreuerinnen in deutschen Privathaushalten, die deutsche Altenversorgung wäre ohne sie längst kollabiert. Und auch die Wohlstandswünsche vieler Polen wären ohne diese Arbeitsmigration nicht realisierbar.

Jowita wurde über eine Agentur vermittelt, die sie vor der Abreise auch in Schulungen auf ihre zukünftigen Aufgaben und Pflichten vorbereitete. So kommt Christiane Büchners Film erfreulicherweise ganz ohne den bei solchen Themen verbreiteten Aufdeckungssensationalismus aus. Ohne Betroffenheitsgedudel sowieso: Nur ein paar Posaunenstücke setzen – um so gewichtigere – musikalische Akzente.

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