Kritik zu Dirigenten – Jede Bewegung zählt
Mit oder ohne Stab: Götz Schauder folgt fünf Kontrahenten des großen Internationalen Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti
Zwei junge Männer vergnügen sich auf der Straße damit, sich gegenseitig mit den Armen etwas vorzufuchteln. Noch während der eine einen wuchtigen Vierzack in die Luft haut, sagt der andere: »Beethovens Fünfte«. Und nach einer besonders zappeligen beidarmigen Hampelei des anderen kommt von der Gegenseite ein verbales »Sacre«. Wir sind mitten in einer kleinen Rätselrunde – und die beiden Männer ambitionierte Nachwuchsdirigenten, die gerade die erste Stufe eines Auswahlwettbewerbs absolviert haben.
Dort konkurrieren sie mit vierundzwanzig anderen jungen Dirigenten (darunter wenige Frauen) um den alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti, der derzeit als wichtigster Dirigentenpreis der Welt gilt. Der Film begleitet den Durchgang des Jahres 2008 und rückt dabei fünf Kontrahenten in den Blickpunkt: Neben zwei Zentraleuropäern sind das Shizuo Z Kuwahara aus Tokio, der schon das zweite Mal dabei ist. Die in New York erfolgreich ein Orchester leitende Mexikanerin Alondra de la Parra. Und als jüngster Teilnehmer der Usbeke Aziz Shokhakimov, der sich mit seinen neunzehn Jahren auch höchst emphatisch als Vertreter seiner ganzen Nation versteht.
Der Film folgt dem Geschehen chronologisch von der ersten Auswahlrunde bis zum öffentlichen Finale in der Alten Oper Frankfurt eine knappe Woche später. Dabei gibt es neben kurzen atmosphärischen Einblicken und Statements der Aspiranten auch hier kurze Einblicke in die Diskussionen der Jury, die bis auf eine Alibi-Dame von meist alten Herren geprägt ist. Im Vordergrund stehen aber – auch zeitmäßig – die Dirigate der Kandidaten selbst mit Interpretationen einzelner Werkfragmente von Haydn bis Strawinsky.
Dabei lassen sich gut Dirigierstile studieren, vom eher steifen Deutschen bis zu dem Japaner, der ganz ohne Stab mit seinen bloßen Händen eine fluide orchesterflüsternde Variante des Berufs vorgibt. Kein unwichtiges Unterfangen, ist das Dirigieren doch wohl der einzige musikalische Beruf, der ganz vom Mitwirken und der Gunst anderer abhängt. Höchstens eine Minute gebe einem das Orchester dafür, meint der kluge Schotte James Lowe.
Zum besseren Verständnis musikalischer Prozesse für nicht Vorgebildete gibt der Film wenig Hilfe. Mehr erfährt man über die Psychologie der Konkurrenz und die Dynamik unterschiedlicher Persönlichkeiten in einer Welt, die gemeinhin als Kampfplatz von Alpha-Selbstdarstellern gilt, in Wirklichkeit vor allem aber viel, viel Fleißarbeit bedeutet. Man muss schon sehr pflichtbewusst oder besessen sein, um jeden Tag der Woche von morgens bis Mitternacht zu proben, wie Alondra de la Parra es beschreibt. Doch auch unter derart Besessenen ist das Spektrum der Charaktere breit und reicht von weiser Einsicht in Fortunas Launen bis zu dem gekränkten jungmännlichen Größenwahn, mit dem der junge Usbeke pädagogische Überlegungen der Juroren kontert. Eine gute Karriere dürfte übrigens jeder der Konkurrenten sicher vor sich haben.
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