Tatort total
© Warner Bros.
Til Schweiger und Christian Alvart bringen den »Tatort« jetzt ins Kino. Das hat es in der langen Geschichte des Formats schon mal gegeben, zu Zeiten von Götz Georges Schimanski
Als 1970 die erste »Tatort«-Folge »Taxi nach Leipzig« im Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, trat mit Walter Richter als Kommissar Trimmel nicht gerade der Prototyp eines wendigen, draufgängerischen Ermittlers ins Bild. Im faden Trench, mit Schiebermütze und Kleinwagen war der Mann eher ein Durchschnittsspießer, der durch hellsichtige Kombinationsgabe brillierte und von der Waffe keinen Gebrauch machte. Auch Zollfahnder Kressin (Sieghardt Rupp), Gustl Bayrhammer als Kommissar Veigl, Klaus Schwarzkopf als Finke oder Hansjörg Felmy als Haferkamp waren typische Vertreter der Mittelschicht, die in den siebziger Jahren auch an die Fernsehunterhaltung gebunden werden sollten. Neben Theater, Kino und Oper machte das Fernsehen jetzt die hauptsächliche Abendgestaltung des Mittelstands aus. Insofern waren auch die Fälle vorrangig in wohlhabenderen Kreisen angesiedelt, es galt, Verbrechen aufzuklären, die in ihrer individuellen Einzigartigkeit ebenso unverwechselbar wie beispielhaft waren. Nur ganz selten gab es mehr als einen Toten. Dafür hatten die Ermittler auch damals schon ein Privatleben. Der glücklich geschiedene Kommissar Haferkamp scheiterte in fast jeder Folge daran, einen vielversprechenden Abend mit seiner Exfrau (Karin Eickelbaum) zu verbringen, nur um seinen Fall erfolgreich lösen zu können. Geschieden oder getrennt sind sie übrigens fast alle, so viel Wirklichkeit musste schon sein. Und das Konzept, den »Tatort« quer durch die Republik auf verschiedene Städte zu verteilen und Österreich und die Schweiz gleich mit ins Boot zu holen, erwies sich als genial. Was anfangs finanzielle Gründe hatte – so ließen sich die Kosten auf verschiedene Sendeanstalten verteilen –, sorgte für eine repräsentative Vielfalt unter dem gleichen Dach. Lokales Kolorit und Identifikationspotenzial inklusive. Vielleicht ist das der Hauptgrund dafür, dass das Format bis heute Bestand hat.
Als ersten Paradigmenwechsel könnte man 1981 die Einführung der Figur des Kommissars Horst Schimanski (Götz George) sehen. Schimanski war cool, frech und selbstbewusst proletarisch; er kam aus dem Arbeitermilieu und löste auch seine Fälle dort. Schimanski hatte keine Angst, die Waffe, vor allem aber die Fäuste zu gebrauchen, und lag irgendwann nackt auf dem Spielfeld des MSV Duisburg. (Sein Gegenspieler damals, in der Folge »Zweierlei Blut«, war übrigens Dietmar Bär, später selbst Kommissar Freddy Schenk in Köln.)
Wenn Haferkamp den gehobenen Essener Bürgern auch mal ein proletarisches Viertel gezeigt hatte, wurde Schimanski zum Inbegriff des Ruhrgebiets. Lange war er unter allen »Tatort«-Kommissaren die Nummer eins in puncto Beliebtheit, und er ist bis heute eine der Ikonen der Serie. Kein Wunder also, dass der WDR versuchte, diesen Erfolg auf das Kino auszudehnen. Mit »Zahn um Zahn« brachte Regisseur Hajo Gies, der bei 12 der 29 Schimanski-»Tatorte« Regie geführt hatte, 1985 den ersten Kinofilm der ARD auf die Leinwand. Der Film war zumindest so erfolgreich, dass auch hier zwei der mitwirkenden Darsteller, Charles Brauer und Martin Lüttge, später selbst Rollen als »Tatort«-Kommissare erhielten. Man sieht, die »Tatort«-Familie sorgt für ihre Angehörigen.
Der Versuch jedoch, diesen Erfolg zu wiederholen, scheiterte. Die zweite Folge »Zabou« scheiterte an einem Drehbuch, das bloß aus Aufhängern für Actionsequenzen zu bestehen schien – Aufwand und Wirkung standen in keinem Verhältnis. Das Experiment Kino-»Tatort« wurde also wieder auf Eis gelegt, dafür erhielt der inzwischen pensionierte Schimanski eine eigene Serie, die in unregelmäßiger Folge den »Tatort«-Termin besetzte.
Es lag sicher nicht am seriellen Prinzip, dass der »Tatort« im Kino letztlich kein Erfolg war, sondern eher an der spezifischen Erwartung der Fernsehzuschauer. Je komplexer die Handlung wurde, und es gab einige »Tatort«-Folgen, die sich eher schwer erschlossen, desto geringer der Zuspruch. »Tatort« ist ein Format, das sich direkt und unvermittelt, aber nicht unterkomplex mit der deutschen Gegenwart auseinandersetzt. Es gibt Verlässlichkeiten, die dem Zuschauer wichtig sind. Die Ermittler machen kaum eine Entwicklung durch, sie sind die Konstante im variantenreichen Stil jeder einzelnen Folge. Das Autorenteam und die Regisseure wechseln, dafür bleibt das Umfeld überschaubar. Gesellschaftliche Probleme, wirklichkeitsnahe Fälle und immer wieder gewagte Behauptungen, was die Praxis der Verbrechensbekämpfung angeht, gehören fraglos zum Konzept. Der »Tatort« ist real, hart und nachvollziehbar und in jüngster Zeit, mit dem Duo Thiel/Boerne (Axel Prahl und Jan Josef Liefers) aus Münster oder Ulrich Tukur in Hessen auch humorvoll.
Mit der Folge »Wer bin ich?« vom Dezember 2015 hat der hr vorläufig eine Grenze der Fernsehunterhaltung erreicht, die so schnell nicht überschritten werden wird. Schon in der ersten Szene dieses Meta-»Tatorts«, in der Ulrich Tukur in den Spiegel grinst und neben ihm der Titel eingeblendet wird, ist die Verwirrung perfekt. Wer grinst hier, in dem »Tatort«, der die Dreharbeiten des »Tatort« zum Schauplatz macht, eigentlich, Ulrich Tukur oder die Figur Felix Murot? Grinst er sich oder uns an? Und wieso gibt es hier überhaupt etwas zu lachen? Selbst wenn sich diese Folge an einigen Stellen zu harmlos ausnimmt, ihr bei all dem Gerenne durch Hotelflure die Spannung fehlt und sie es dann doch nicht wagt, das Format »Tatort« komplett zu dekonstruieren, bleibt der Versuch lobenswert. Denn hier wird die Grenze des Fernsehformats verdeutlicht, indem man sie eben nicht überschreitet.
Anders sieht das in den bislang vier »Tatort«-Folgen aus, die Til Schweiger alias Kommissar Nick Tschiller seit 2013 mit Regisseur Christian Alvart gedreht hat. Bereits in der ersten Folge, die maßgeblich dazu da war, eine neue Figur einzuführen, und den treffenden Titel »Willkommen in Hamburg« trug, wurde in den ersten Minuten, noch bevor Tschiller offiziell seinen Dienst antrat, mehr Blut vergossen als in den ersten 10 »Tatorten« der Fernsehgeschichte zusammen. Tschiller ist dabei eher cool als gechillt, aber da ist der Name kaum noch eine ironische Anspielung wert. Der hessische Polizist jedenfalls ist in Hamburg angekommen und versucht nun nichts weniger, als das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Er tritt großspurig auf und bewegt sich in einem rauen, dunklen Set, das auch auf die große Leinwand passt. Der Fernsehkrimi tritt hier hinter Genremerkmale des politischen Kinothrillers zurück. In dem weiten Feld zwischen Kurden, Russen und korrupten deutschen Politikern findet Tschiller schnell seinen Erzfeind: den von Erdal Yildiz eindrucksvoll gespielten kurdischen Gangsterboss Firat Astan.
Zwei Kinostars die sich nun anschicken, das zweite Leinwandexperiment der »Tatort«-Geschichte zu wagen. Im Juli 2015 begannen die Dreharbeiten für »Tschiller: Off Duty«. Gedreht wurde international, wie es sich für einen deutschen Kinothriller gehört, in Hamburg, Berlin, Moskau und Istanbul. Dabei geht der Film inhaltlich auf die im Januar 2016 ausgestrahlte Doppelfolge »Der große Schmerz« und »Fegefeuer« zurück. Hier wird also das serielle Prinzip verdoppelt. Alle Tschiller-»Tatorte« wenden sich gegen denselben Feind, der Kampf wird an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Mitteln ausgetragen und gipfelt doch in dem einen Satz: »Mit uns beiden ist es erst zu Ende, wenn einer von uns tot ist.« Dabei war in der letzten Folge bereits zu sehen, wie beide darauf verzichten, den anderen zu erschießen, ja Firat überwindet sich sogar, Tschiller das Leben zu retten – schließlich wäre ohne den Antagonisten die Reihe am Ende. Mit Til Schweiger hat der »Tatort« die Schwelle zu den amerikanischen Serien überschritten, die nicht mehr in Folgen, sondern in Staffeln fortschreiten und sich Zeit nehmen für die Entwicklung ihres Personals. Zugleich aber haben Schweiger und Alvart ihre »Tatorte« derart forciert, dass sie kaum noch ins Format passen. Es wird geballert fast wie im Hongkong-Kino, Menschen sterben auf die drastischste Weise, und auch engste Familienmitglieder der Ermittler werden nicht verschont. Das kann man nicht über Jahre durchhalten. Diese Art »Tatort« wird sich schon bald selbst erledigt haben. Dann hat Til Schweiger wieder Zeit für richtiges Kino, und der »Tatort«-Fan kann sich der Mattscheibe zuwenden.
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