10/2016

»Der große Aufbruch« – 2016 ist das Jahr der Frauen. In diesem Heft: »American Honey« von der Britin Andrea Arnold. Und ein Gruppenporträt deutscher Regisseurinnen

»Starkes Ensemble« – Ade, Schrader, Krebitz, Berrached und jetzt Aslı Özge: Dieses deutsche Kinojahr gehört den Regisseurinnen. Das ist kein Wunder. War einfach an der Zeit. Ein Gruppenporträt

»Slaves to the rhythm« – Seit »Glee« sind Musikserien en vogue. Und sie werden jetzt auch von Arthouse-Regisseuren gemacht. Georg Seeßlen über Punks, Rapper und Stardirigenten

»Da ist noch Platz im Regal« – Wenn sie gut und liebevoll gemacht sind, sind Filmbücher einfach unverzichtbar. Im Bücherherbst – ein Bericht zur Marktlage

Filme des Monats: +++ SAINT AMOUR +++ AUF EINMAL +++ SWISS ARMY MAN +++ SNOWDEN +++ DIE INSEL DER BESONDEREN KINDER +++

In diesem Heft

Tipp

27. bis 30. Oktober, Wiesbaden – Genau 100 Filme, davon 32 in deutscher Erstaufführung, werden im Schloss Biebrich gezeigt. Neben einigen Wettbewerben um internationale Animationsfilme steht eine Werkschau des Trickfilmkünstlers Gil Alkabetz, Dozent an der Filmuniversität Babelsberg, auf dem Programm. Beim Langfilm gibt es unter anderem die Wiederaufführung des japanischen Klassikers »Belladonna of Sadness«
25. bis 30. Oktober, Hof – Fast ein halbes Jahrhundert bestehen die Hofer Filmtage schon. Nachdem Mitbegründer und Festivalchef Heinz Badewitz im März diesen Jahres leider verstarb, hat sich nun ein dreiköpfiges Kuratorium der Filmauswahl angenommen. Der Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft Alfred Holighaus, die Berlinale-Sektionsleiterin Linda Söffker und Thorsten Schaumann von Sky Deutschland machen sich auf, den von Badewitz gesteckten Rahmen mit Leben zu füllen. Das Festival ist eine starke Institution für deutsche Nachwuchsregisseure, hat aber auch ein internationales Programm. Neben 130 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen besitzt das Festival auch einige folkloristische Eigenheiten wie das traditionelle Fußballspiel zwischen Filmschaffenden in gehobenen Positionen und einem Team aus Mitarbeitern und Fans
21. Oktober bis 6. November, Bielefeld – Im Ravensberger Park und der Rudolf-Oetker-Halle wird es wieder melodiös. Unter dem Motto »Männer fallen« bietet die 27. Ausgabe des ostwestfälischen Festivals Screenings der besonderen Art an. Eröffnet wird mit Victor Flemings »Mantrap«, begleitet von Axel Goldbecks Cinematographischem Orchester. Auch das Staatsorchester Braunschweig gibt sich die Ehre und untermalt Chaplins »The Tramp« und »The Kid«
6. bis 23. Oktober, Berlin – Das Festival wird zehn und huldigt mit seinem Programm ESSAYDOX dem filmischen Essay. Zweieinhalb Wochen lang werden 22 bislang weitgehend ungesehene Beiträge präsentiert, die das ganze Spektrum des Essayfilms abdecken sollen. Fast alle Filmemacher werden auch persönlich zu Gast sein. Außerdem startet der erste Festivaltag mit einem internationalen Symposium zum Thema
7. bis 14. Oktober, Köln – Die Cologne Conference hat ihren Titel geändert. Als »Film Festival Cologne« trägt man nun auch dem hochrelevanten Publikumsaspekt der Veranstaltung Rechnung. Die inhaltliche Ausrichtung, also die Konzentration auf internationale Fernseh-Highlights, bleibt aber bestehen. Neben den Screenings dient das Festival auch weiterhin als Branchentreff
6. bis 9. Oktober, Berlin – Ein Programm rund um das aktuelle italienische Kino liefert das Italienische Filmfestival Berlin. Ziel ist, den im Kinobetrieb unterrepräsentierten italienischen Film in Deutschland besser zu vermitteln. Im Zentrum: der erfolgreiche Regisseur Paolo Virzì, dessen neuer Film »Ovosodo« das Festival eröffnet und dessen Werk die diesjährige Retrospektive gewidmet ist
29. September bis 8. Oktober, Hamburg – Bereits in der 24. Ausgabe lädt das Festival in die Hansestadt ein. Thematisch kokettiert es in diesem Jahr stark mit dem Genrekino, sei es über Alien-Fantasien oder Anleihen beim feministischen Exploitationfilm. Ein weiteres Augenmerk liegt auf dem Animationsfilm, der etwa durch die Zusammenarbeit eines niederländischen Regisseurs mit dem Kultstudio Ghibli vertreten wird
31. Oktober bis 6. November, Leipzig – Beim ältesten Dokumentarfilmfestival der Welt stehen internationale Kurz- und Langfilm-Wettbewerbe, Animations- und Dokumentarfilme auf dem Programm. Mittlerweile ist Dok Leipzig auch ein Treffpunkt für Kreative – eine Gelegenheit, zu netzwerken und konkrete Filmprojekte zu planen
21. bis 24. Oktober, Köln – Beim Montagefestival Filmplus steht der sonst oft zu wenig beachtete Filmschnitt, eigentlich doch die Königsdisziplin des Kinos, unter besonderer Beobachtung. In drei Wettbewerben werden neuere deutschsprachige Dokumentarfilme, Spielfilme und Kurzfilme gesichtet, darunter »Die Lügen der Sieger« oder »Fritz Lang«. Gastland ist in diesem Jahr Frankreich, das den Schnittmeister Guy Lecorne mit dem Film »Die Entführung des Michel Houellebecq« an den Rhein entsendet
»Welcome to Norway« ist eine nah an der Wirklichkeit operierende Komödie, die durch ihren überwiegend lakonischen Humor zu gefallen weiß
Zu Gast in der Reihe "Was tut sich – im deutschen Film?": am 4. Oktober spricht Anne Zohra Berrached mit epd Film-Autor Ulrich Sonnenschein über ihren Film »24 Wochen«

Thema

Slaves to the rhythm – Seit »Glee« sind Musikserien en vogue. Und sie werden jetzt auch von Arthouse-Regisseuren gemacht. Georg Seeßlen über Punks, Rapper und Stardirigenten
Gerade auf der Frankfurter Buchmesse wird viel von Crossmedialität gesprochen. Dabei gibt es das perfekte Cross-Medium schon lange: das FILM-BUCH. Christoph Dompke hat sich auf dem Markt umgesehen, mit Verlegern gesprochen und festgestellt: Es gibt immer wieder gute Titel. Im Zweifel auch mal als eBook
Fleißig war Bryan Cranston schon immer. Aber erst in »Breaking Bad« wurde sein Talent so richtig sichtbar. Inzwischen kann der integre Charakterschauspieler sich die Rollen in großen Filmen aussuchen
Wenn am 13. Oktober die Virtual-Reality-Brillen für die Playstation ausgeliefert werden, könnte das Geschäft mit den immersiven Spielen Fahrt aufnehmen. Ist das ein neues Medium? Und was bringt es dem Film?
Unsere "steile These" des Monats Oktober
Berlin, Cannes, die Oscars, Arthouse und Erzählkino: Es sind Regisseurinnen, die dem deutschen Kino aktuell die stärksten Impulse geben. Ein Gruppenporträt von Claudia Lenssen

Meldung

Dani Levy, 58, Schauspieler, Regisseur, Autor, ist Spezialist für satirisch-komische Filme wie »I was on Mars« und den preisgekrönten »Alles auf Zucker!«. Im Oktober startet »Die Welt der Wunderlichs«
73. Filmfestival Venedig: Von Schwarz-Weiß über 3D bis zu Virtual Reality – das Kino zeigte sich dieses Jahr am Lido in nie dagwesener Vielfalt der Formen, Farben und Genres. Ob das ein Anzeichen von Freiheit oder von Beliebigkeit ist, muss sich erst noch herausstellen

Filmkritik

Das Spielfilmdebüt des Theatermachers Simon Stone, eine sehr freie Überschreibung von Henrik Ibsens Schauspiel »Die Wildente«, überrascht zunächst durch seine enorme atmosphärische Dichte, doch leider kippt das hervorragend besetzte Drama zuletzt doch ins Plakative
Statt sich auf die Charaktere und ihre widerstreitenden Gefühle zu fokussieren, weicht der Senioren-Liebesfilm »Hinter den Wolken« über eine Witwe auf betuliche Nebengeschichten aus
Zunächst ein leiser Thriller über Ohnmacht, Misstrauen und die soziale Enge einer Kleinstadt, nimmt Asli Özges Film »Auf Einmal« einige überraschende Wendungen und mündet in ein bravouröses, bitterböses Finale
Zwei Nerds steigen während des Irakkriegs ins Waffenschiebergeschäft ein. »War Dogs« ist eine elegant inszenierte, auf schier unglaublichen Tatsachen basierende Komödie, die das Rad nicht neu erfindet, aber bestens unterhält
Das Coming Out eines schwulen Teenagers wurde im Kino schon häufig erzählt, doch selten so einfallsreich und bezaubernd wie im Regiedebüt »Closet Monster« des Kanadiers Stephen Dunn
In Wilhelm Hauffs berühmten Märchen steckt auch eine wüste Kolportagegeschichte, eine Horrorvision von einer Gier, die Menschen in Monster verwandelt. Diesen Gedanken greift Johannes Naber in seiner prominent besetzten Verfilmung »Das kalte Herz« auf, allerdings nur sehr halbherzig
Wer diese Familie hat, braucht sonst nichts mehr zu fürchten. Dani Levy hat mit »Die Welt der Wunderlichs« eine turbulente, klamaukige Familienkomödie gedreht
In einer Nekropole von Manila lokalisiert Ralston Jover seine Geschichte von einem Hundedompteur, der verzweifelt um seine Familie kämpft Der skizzenhaft entwickelten Story von »Da Dog Show« fehlt allerdings die Verortung in einem sozialen und politischen Kontext
Zwei Auftragskiller werden von ihrem Boss auf den jeweils anderen angesetzt. Immer mehr Familienangehörige und Unbeteiligte werden in die Fehde involviert und nichts läuft so, wie geplant. »Schneider vs. Bax« ist eine surrealistische Killer-Komödie, die auf einzigartige Weise zwischen obskurem Humor, reinem Slapstick und unvermittelter Drastik pendelt
Nach der globalen Ökologie (»Die Erde von oben«, »Home«) nimmt der Fotograf und Filmemacher Yann Arthus-Bertrand in »Human« die globale Situation von uns Erdbewohnern in den Blick und stellt sich dabei ganz bewusst auf Seiten der Emotion gegen die Erkenntnis
»Saint Amour« ist ein maskulines französisches Feelgoodmovie voller böser poetischer Widerhaken vom stets zwischen Skurrilität und Melancholie schwankenden Regie-Duo Delépine und Kervern
Brad Furmans Thriller »The Infiltrator« über einen Undercover-Agenten im Drogenkrieg besticht durch seinen nüchternen Ton und Cranstons beeindruckendes Porträt eines innerlich zerrissenen Mannes, der sich trotz der Umstände seine Integrität bewahren will
»Blair Witch« ist gleichzeitig Fortsetzung und Remake des legendären »The Blair Witch Project« und funktioniert in beiderlei Hinsicht nur bedingt. Aller Schreckmomente zum Trotz klebt der Film zu sehr an der Dramaturgie und Story des Originals
»Mit dem Herz durch die Wand« ist eine charmante romantische Komödie um zwei Nachbarn, die sich nie gesehen haben, sich durch eine – äußerst hellhörige Wand – aber ineinander verlieben
Auch der dritte Teil der »Antboy«-Reihe, gespickt mit Zitaten aus den Spider- und Batman-Filmen, ist für Kinder ziemlich spannend inszeniert
Kai Wessels Verfilmung des Tatsachenromans »Nebel im August« über ein Kinderschicksal im Euthansieprogramm der Nationalsozialisten wird zum ergreifenden Coming of Age unter extremen Bedingungen
Corneliu Porumboius »Der Schatz« ist eine vergnügliche Gesellschaftsparabel da­rüber, wie leicht man zwischen Wunsch und Wirklichkeit in die Irre gehen kann
Die Lebensgeschichte des tschechischen Regisseurs Milos Forman, größtenteils von ihm selbst an Originalschauplätzen erzählt. So interessant, dass die biedere Inszenierung nicht stört
Obwohl die Nachzüglerkomödie »Bridget Jones' Baby« zwölf Jahre nach der letzten Fortsetzung weitgehend Bekanntes aufwärmt, ist Bridgets Odyssee durch amouröse und berufliche Untiefen erstaunlich leichtfüßig und witzig inszeniert
Der Dokumentarfilm über den möglicherweise unschuldig wegen Doppelmordes in den USA inhaftierten Jens Söring fasziniert als Chronik eines mysteriösen Verbrechens und einer fatalen Liebe. Dabei nimmt »Das Versprechen« jedoch etwas zu stark die Position des seine Unschuld beteuernden Protagonisten ein
Andrea Arnolds Hollywood-Debüt »American Honey« ist ein Roadmovie über die Kinder eines neuen Amerikas. Ein Gruppe Jugendlicher reist ziellos durch die USA, auf der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft
Jonathan kümmert sich auf dem Bauernhof aufopfernd um seinen krebskranken Vater. Der mürrische Mann hütet ein Geheimnis... Rührseliges Melodram mit schablonenhafter Figurenzeichnung, das allerdings mit hervorragender Bildgestaltung überzeugt
Existentialistisches Roadmovie, melancholische Komödie, moderner Ritterfilm, überbordende Satire auf prekäre Arbeitsverhältnisse – »Weiße Ritter«, der neue Film aus der Kölner Kino-Manufaktur von Markus Mischkowski und Kai Steinkühler
In ihrem Doppelporträt »Meine Zeit mit Cézanne« zeigt Danièle Thompson, wie Émile Zola und Paul Cézanne zeitlebens aneinander vorbei reden
»Welcome to Norway« ist eine nah an der Wirklichkeit operierende Komödie, die durch ihren überwiegend lakonischen Humor zu gefallen weiß
Jan Gassmann gelingt die intime Nahaufnahme von Paaren in vier Städten am Rande Europas. Der schweizerische Dokumentarist filmt sie in »Europe, She Loves« nicht als Soziologe, sondern als achtsamer Porträtist
Mit seiner bildgewaltigen Fantasy-Adaption »Die Insel der besonderen Kinder« entführt Tim Burton den Zuschauer in eine stilvolle britische Parallelwelt, in der Kinder so richtig grausam sind
In der Fortsetzung von »Findet Nemo« macht sich die vergessliche Fischdame Dorie auf, ihre Eltern zu finden. Gelungen in seiner Mischung aus Komik und Drama, gelingt es dem neuen Pixar-Film einmal mehr, den Zuschauer emotional anzusprechen
Vincent Garenq gelingt es nicht immer das dreißig Jahre währende deutsch-französische Justizdrama »Im Namen meiner Tochter« um den Tod von Kalinka Bamberski in eine schlüssige und spannende Erzählform zu kanalisieren
»Gleißendes Glück« ist eine weitere Literaturverfilmung von Sven Taddicken, die die Verflechtungen einer unglücklichen Ehe erkundet und sich der Frage nach dem Glück als solchem stellt
Hank, ein an der Welt schiffbrüchig Gewordener, findet eine Leiche, Manny, die sich als vielfältig einsetzbar erweist. »Swiss Army Man« ist ein versponnener Filmtraum, völlig frei, vollkommen ungewöhnlich, und von Paul Dano und Daniel Radcliffe wunderbar zärtlich gespielt
Aron Lehmann gelingt mit »Die letzte Sau« ein anarchisches Öko-Roadmovie mit einem glänzend aufgelegten Golo Euler als grünem Don Quijote
Oft sind es die schönsten Filme, die aus ganz Konkretem größere Zusammenhänge entfalten. In dieser Recherche auf den Spuren eines DDR-Handmixers misslingt das leider gründlich. Vor allem wohl, weil man das Objekt in »Kommen Rührgeräte in den Himmel« fast religiös überhöht, statt sich einfach seiner Analyse anzuvertrauen
Erstaunlicher Erstlingsfilm der tunesischen Regisseurin Leyla Bouzid, der von einer jungen Frau aus gutem Hause erzählt, die in die »Arebellion« gerät
Remake des Westernklassikers aus dem Jahr 1960 durch Antoine Fuqua: Sieben Gunmen verteidigen ein Städtchen. »Die glorreichen Sieben« ist leider ziemlich mechanisch geraten
Dass die Geschichte von »Snowden« bekannt ist, heißt nicht, dass sie an Spannung und Dramatik verloren hat. Der aufrechte linke Aufklärer Stone erzählt sie lebendig und ohne die seine Filme sonst oft beschwerende Schlagseite in Richtung Grob-Propaganda
»Frantz«, François Ozons Neuinterpretation eines weniger bekannten Lubitsch-Melos, ist ein artifizieller Schwarzweißfilm über eine Liebe zwischen zwei Männern, die nicht nur durch den Krieg unmöglich wird
Ein Mann und zwei Frauen, verstrickt in einem Melodram um Liebe und Tod an der rauen Küste Australiens: Derek Cianfrances Verfilmung von Margot L. Stedmans gleichnamigem Bestsellerroman »The Light between Oceans« lebt von grandiosen Schauspielern und leidet an der manipulativen Konstruktion der Geschichte
Brutaler Angriff auf das allgemeine Unterhaltungsverständnis. »Entertainment« tut alles um genau das nicht zu sein, ein banaler Unterhaltungsfilm. Dafür nimmt er den Zuschauer in Geiselhaft. Alles was an diesem Film über einen erfolglosen Comedian unerträglich ist, trägt zu seiner Qualität bei

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