Kritik zu Die Wildente
Der australische Theatermacher Simon Stone adaptiert in freier Weise für sein Spielfilmdebüt Henrik Ibsens Schauspiel »Die Wildente«
Seit Henry verkündet hat, dass ihm nichts anderes bleibe, als sein Sägewerk zu schließen, scheint ein grauer Schleier über der namenlos bleibenden kleinen Stadt in New South Wales zu liegen. Die Häuser und die Wälder ringsum sind in fahles Licht getaucht. Die nasse Kälte, die vom Boden aufsteigt, durchdringt die Landschaft und die Menschen. Lange bevor sich alle tragischen Verstrickungen zwischen Henry und den Menschen um ihn herum offenbart haben, fröstelt einem schon. Selbst die Hochzeit, die der von Geoffrey Rush gespielte Industrielle bald mit seiner früheren Haushälterin, der etwa 30 Jahre jüngeren Anna (Anna Torv), feiern will, weckt kaum Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Sie ruft vielmehr die Geister der Vergangenheit auf den Plan.
Im Theater hat der Australier Simon Stone mit seinen Adaptionen klassischer Stoffe schon ungeheueres Aufsehen erregt. Gerade auf den deutschsprachigen Bühnen ist er im Moment einer der am meisten gefragten Regisseure. Seine Überschreibungen antiker Tragödien und bürgerlicher Schauspiele haben etwas ungemein Filmisches. Zudem klingen seine Dialoge fast wie die aus den berühmten HBO-Serien der vergangenen Jahre. Nicht zufällig wurde beispielsweise seine am Theater Oberhausen entstandene »Orestie« immer wieder mit den »Sopranos« verglichen. Doch bei seinem ersten Kinofilm, einer freien Bearbeitung von Henrik Ibsens Stück »Die Wildente«, schlägt Stone einen anderen Weg ein.
Während man in Simon Stones Theaterinszenierungen kaum zum Durchatmen kommt, Szene jagt Szene, bis sich die Ereignisse und die Pointen regelrecht überschlagen, kann man in Andrew Commis' elegischen Filmbildern geradezu versinken. Die Handlung, die durch die Heimkehr von Christian (Paul Scheider), Henrys verlorenem Sohn, in Gang kommt, tritt zunächst in den Hintergrund. Stattdessen setzt Stone ganz auf Atmosphärisches.
Die verschleierten Bilder decken sich perfekt mit Christians zögerlichem Auftreten, das von einem tief sitzenden Schmerz und einer unbestimmten Furcht geprägt wird. Aus Ibsens Wahrheitsfanatiker wird bei Stone ein depressiver Ex-Trinker, der von Erinnerungen und Ahnungen verfolgt wird. Um seiner Einsamkeit zu entfliehen, sucht Christian den Kontakt zu seinem einstmals besten Freund Oliver (Ewen Leslie), der verhältnismäßig glücklich mit seinem Vater Walter (Sam Neill), seiner Frau Charlotte (Miranda Otto) und seiner Tochter Hedvig (Odessa Young) am Rande der Stadt lebt.
Ob es nun Christians Dämonen sind, oder ob es doch eher unterschwelliger Neid ist, lässt Simon Stone offen. Aber im Bannkreis seines ehemaligen Freundes kann Olivers kleines Glück nicht bestehen. Und so überschlagen sich im letzten Drittel der »Wildente« dann doch noch die Ereignisse. Aus dem eindringlichen Stimmungsbild einer Gesellschaft ohne Zukunft wird ein von Arvo Pärts Choralmusik rauschhaft aufgeladenes Melodrama. Zugleich weicht das Kühl-Existenzielle der Inszenierung, das sich auch im wunderbar zurückgenommenen Spiel eines perfekt harmonisierenden Ensembles spiegelte, einem Gefühlskitsch, der einen überwältigen soll, aber letztlich eher Abwehr provoziert.
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