Jens Balkenborg

Filmkritiken von Jens Balkenborg

Nila wurde während einer temporären Ehe gezeugt. Weil der Vater sie nicht anerkennt, existiert sie rechtlich nicht und darf nicht zur Schule. Niloufar Taghizadehs Dokumentarfilm zeigt den Kampf einer Mutter gegen den unmenschlichen patriarchalen Apparat im Iran. Ein augenöffnender Film, der aller psychischer Brutalität zum Trotz nicht in der Dunkelheit versinkt.
Der Film spinnt ein episodisch erzähltes Netz zwischen drei Frauen auf drei Kontinenten, entpuppt sich aber als weltumspannende Soap-Opera mit Hang zur aufgesetzten großen Geste und Kalenderspruch-Botschaften.
Ein junges Paar checkt in einem leeren Hos­tel ein, doch sie scheinen dort doch nicht die einzigen Gäste zu sein. Malte Wirtz Film ist der Versuch, ohne Mittel einen kammerspielartigen Paranoia-Gruselfilm zu inszenieren. Das Experiment scheitert leider.
Der Arzt Bruno hat wegen Drogenkonsums seine Approbation verloren und versorgt Kriminelle und gesellschaftliche Randgestalten. Als er einen leukämiekranken Mafioso behandelt, mit dem sein Schwager eine Rechnung offen hat, eskaliert die Situation. Daniel Rakete Siegel und Denis Moschitto setzen mit ihrem düsteren, zwischen Ruhe und Gewalt changierenden Film ein Ausrufezeichen im deutschen Genrefilm.
Edwin, Moderator einer Wissenschaftssendung für Kinder, rutscht in eine Midlife-Crisis, als ein jüngerer Doppelgänger seine Show übernehmen soll. Aus den Resten einer abgestürzten Raumkapsel will er eine Rakete bauen. Colin West macht in seinem sympathischen Independent-Film eine spleenige Welt auf, irgendwo zwischen »Donnie Darko«-Vibes und Steven Spielberg.
Die Beziehung eines Schauspielers und eines Schriftstellers kriselt. In Tableaus entwirft Fabian Stumm in seinem Debüt das Porträt des schwulen Künstlerpaars im Krisenmodus. Ein unterhaltsamer, sehr menschlicher Film in dem sich Leben und Kunst berühren und durchdringen.
Jeanne Herry erzählt über eine begleitete Gesprächsgruppe aus verurteilten Tätern und Opfern und einen konkreten Fall von der Restorative Justice. 2014 in Frankreich eingeführt, bietet sie die Möglichkeit, in sicheren Einrichtungen ins Gespräch zu kommen. Eine dialogische Tour de Force mit universeller Botschaft: Den Sprechenden kann geholfen werden.
Die Familie der siebenjährigen Sol wuselt geschäftig durch ein großes Haus, um eine letzte Geburtstagsparty für ihren krebskranken Vater vorzubereiten. Meisterhaft verflechtet Lila Avilés viele Figuren, schamanische Rituale und einen sinnlichen Naturalismus zu einem zarten Drama über den Tod, das das Leben feiert.
Philipp Jedicke taucht ein in die Wiener Underground-Musikszene. Eine subjektiv anarchische Ode an die Subkultur und zugleich eine filmische Bühne, auf der sich die Charakternasen austoben dürfen.
Marta, die in Madrid mit Leo lebt, kommt ihrem Ex beim Sommerurlaub in der Heimat wieder näher. Der spanische Regisseur Diego Llorente erzählt sozialrealistisch und zugleich poetisch von einer Frau, die zwischen zwei Lebenswelten und Männern hin- und hergerissen ist.

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Yorgos Lanthimos hat es wieder getan: Er hat einen so lustigen wie verstörend-schönen Film gemacht, in dem er an den Fassaden unseres Zusammenlebens kratzt. »Poor Things« ist der künstlerisch ambitionierteste und bisher preisverdächtigste Film im Wettbewerb. 
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Wes Anderson hat in einem Interview über seinen Kurzfilm »The wonderful Story of Henry Sugar« gesagt, dass es sich dabei nicht wirklich um einen Film handele. Das ist eine witzige Polemik mit Wahrheitsgehalt, denn seine bald bei Netflix erscheinende Roald-Dahl-Adaption, die zweite nach »Fantastic Mr. Fox«, ist die konzentrierte Überhöhung seines Stils: verschachtelt in verschiedene Erzählebenen, meta durch und durch und dabei mehr ein filmisches Theaterstück im Tableaux-Modus denn ein narrativer Film.
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»Melk« hieß mein Einstieg, ein kleiner Debütfilm, der durch das Feingefühl für sein Thema überzeugt. Präsentiert wurde der Film in der eigenständigen Reihe Giornate degli autori, dem venezianischen Äquivalent zur Quinzaine des Réalisateurs in Cannes.
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Für seine erfrischend schrägen Drehbücher wird Martin McDonagh regelmäßig mit Preisen überhäuft: »Brügge sehen . . . und sterben?«, »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«. Das ist kein Wunder, denn der Mann hatte bereits eine erfolgreiche Theaterkarriere am Laufen, bevor er Filmemacher wurde.
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Andrea Arnold zeichnet in ihrem Dokumentarfilm »Cow« das beschauliche, aber nicht ereignisarme Leben der Kuh Luma nach.
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Mit der Miniserie »The Underground Railroad« gelingt Barry Jenkins eine wunderbare filmische Umsetzung des mehrfach preisgekrönten Romans von Colson Whitehead