Kritik zu Mein Totemtier und ich
Sander Burger erzählt in seinem kindgerechten Film von komplexen Themen wie Identität, Asyl und Ausgrenzung: Der 11-jährigen Ama, die illegal mit den aus dem Senegal geflohenen Eltern in Rotterdam lebt, droht eines Tages die Abschiebung
Über Kinderfilme zu schreiben, ist immer verbunden mit einer empathischen Aneignung. Schließlich versucht ein Erwachsener ein Stück weit, einen Film aus Kinderaugen zu sehen und zu beurteilen. Kein leichtes Unterfangen, doch bei dem riesigen, süß brummenden und quiekenden Stachelschwein, das mit der 11-jährigen Heldin Ama (Amani-Jean Philippe) durch das Rotterdam von »Mein Totemtier und ich« tapst, lässt sich konstatieren: Das muss einfach für Jung und auch für Alt funktionieren!
Mit magischem Realismus verhandelt der an der Elfenbeinküste geborene niederländische Regisseur Sander Burger kindergerecht und zugleich komplex Themen wie Identität, Herkunft und Ausgrenzung. Ama ist mit ihren Eltern aus dem Senegal in die Niederlande geflohen, ihre Grundregel lautet: »Niemals zur Polizei gehen, egal, was passiert!« Auch wenn sich Ama wie eine Niederländerin fühlt, ist sie es vor dem Gesetz nicht, weil der Asylantrag der Eltern abgelehnt wurde.
Das Mädchen will Profischwimmerin werden und übt fleißig mit ihrem besten Freund Thijs (Ole van Hoogdalem), wenn die beiden nicht gerade um die Wette rülpsen. Eigentlich läuft es gut für sie, auch in der Schule, bis die Polizei vor der Tür der maroden Wohnung der Familie steht, weil ein Rohrbruch gemeldet wurde. Die Beamten nehmen die Mutter und den kleinen Bruder mit, Ama kann fliehen, und auch der Vater ist auf freiem Fuß.
Wie mit der Situation umgehen, dass ihre Familie in 36 Stunden abgeschoben werden soll? Unterstützung findet Ama bei Thijs und dem besagten Stachelschwein, das ihr auf Schritt und Tritt bei ihrer urbanen Tour de Force auf der Suche nach dem Papa folgt und hilft. Der Vierbeiner wirkt wie eine Reminiszenz an die großen animatronischen Hollywoodgestalten, denn wie ein E.T. ist auch das überdimensionale Stachelschwein eine mechanische Puppe.
Mit dem Tier, das zunächst nur Ama sehen kann, bringt Regisseur Burger senegalesische Kultur in seinen Film. Dort wird jedem Menschen ein Totemtier zugewiesen, welches Kraft und Mut gibt. Zugleich eröffnet das Tier im Film einen metaphorischen Raum, weil sich in ihm auch das gesellschaftliche Außenseitertum des Mädchens manifestiert. »Mein Totemtier und ich« ist ein fantasievoller Film über die Kraft von Mitmenschlichkeit und Empathie. Beides muss Thijs' Mutter Paula (Lies Visschedijk), eine strenge Polizeibeamtin, die Ama sucht, noch lernen. »Du musst sie streicheln«, sagt ihr Kollege, als sie den Kaffeeautomaten im Präsidium malträtiert – eine von vielen spielerischen Szenen, in denen der Film seine Botschaft verarbeitet.
Sander Burger erzählt selbst- und formbewusst von einem Mädchen, dessen Welt in Schieflage gerät – verstärkt noch durch die ins Schräge kippenden Bilder von Kameramann Sal Kroonenberg. Doch steckt in der mitfühlenden und optimistischen DNA des Films, was jemand einmal Ama gegenüber ausspricht: »Du bist ein Mensch, so wie alle anderen auch.«
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns