11/2016

In diesem Heft

Tipp

In der Filmreihe »Filmspotting« der Deutschen Kinemathek steht Ende November »Bruno der Schwarze, es blies ein Jäger wohl in sein Horn« auf dem Programm. Der Dokumentarfilm und DFFB-Abschlussfilm von des Regisseurs Lutz Eisholz von 1970 blickt auf das Leben des Straßenmusikanten Bruno Schleinstein zurück, der in der NS-Zeit und danach in verschiedenen Heimen aufwuchs. Vier Jahre später spielte eben jener Schleinstein den Kaspar Hauser für Werner Herzog
In Berlin kann man sich Ende November einmal um die Welt schauen. Dabei ist es möglich, durch Europa zu touren mit Filmen wie Ulrich Seidls neuestem Werk »Safari«, dem finnischen Beitrag »Der schönste Tag im Leben des Olli Mäki« oder neuen Arbeiten von Olivier Assayas und Cristi Puiu. Oder man besucht mit Asghar Farhadis »Die Mieterin« den Iran
Es gab so viele Einreichungen wie nie beim 33. Kasseler Dokfest. Und das Programm sieht auch faszinierend vielseitig aus, mit 256 kurzen und langen Werken. Zahlreiche Gäste aus allen Teilen der Welt, von Lateinamerika bis Russland, von Japan bis USA, stellen ihre Filme vor. Neben 90 Erstaufführungen sind auch aktuelle Kinofilme wie »Rudolf Thome – Überall Blumen« oder Philip Scheffners »Havarie« (demnächst) zu finden. In vier Wettbewerben werden Preise verliehen
Bereits Anfang Oktober konnte das neunte KUKI einen Anmelderekord vermelden. Im Zentrum stehen klar die Wettbewerbsprogramme für Kinder und Jugendliche. Filme aus 27 Ländern wurden ausgewählt, und die Themen reichen von geflüchteten afghanischen Kindern im Iran bis hin zu einer Dokumentation über eine durch Instagram berühmt gewordene holländische Fotografin. Interagieren kann das junge Publikum des Festivals in zahlreichen Workshops
30-jähriges Jubiläum feiert in diesem Jahr das Filmfestival in Braunschweig. Mit einem Fokus auf jungem europäischem Kino sowie auf »Musik und Film« ist das Festival gut aufgestellt. Stargast in diesem Jahr ist Brendan Gleeson. Unter anderem werden vier Preise verliehen, darunter die Europa, die schon Mads Mikkelsen und Barbara Sukowa entgegennehmen durften
Das Kommunale Kino Esslingen öffnet sich auch dieses Jahr wieder eine ganze Woche lang dem internationalen queeren Film. Eröffnet wird die 28. Ausgabe des Festivals etwa vom israelischen Film »Barash«, in dem sich zwei Schülerinnen näherkommen. Tags darauf läuft der kanadische Festival-Erfolg »Closet Monster«, der in unserem letzten Heft fünf Sterne bekam – aber vielleicht nie in Ihrem Kino gelandet ist
Das Filmkollektiv Frankfurt präsentiert in seinem letzten Beitrag für 2016 ein Programm zum Experimental- und Avantgardefilm in Italien von 1960 bis heute. Über 50 Kurz- und Langfilme werden an drei Tagen dem Publikum zugänglich gemacht. Zu Gast sind die Regisseure Antonio »Tonino« De Bernardi und Mario Masini, während Schauspielerin Joana Preiss am 5.11. einen stummen Film De Bernardis vertont
Schon im letzten Jahr war die schwierige Situation Frankreichs und der Welt Thema bei den Französischen Filmtagen. Dabei stehen auch jetzt nicht nur französische Werke im Fokus, auch das Filmschaffen aus frankophonen Regionen wie Marokko findet hier Widerklang. Podiumsdiskussionen, zahlreiche Gäste und ein breites Themenspektrum sollen den Diskurs anregen
Seit 38 Jahren leitet Adrian Kutter das Festival in der oberschwäbischen Stadt, das von Anbeginn dem deutschen Film gewidmet war. Es ist ein Publikumsfestival, das für manchen Film auch einen Test für den späteren Kinoeinsatz bedeutet. Wichtiges Merkmal des Filmfests sind die direkten Gespräche und Diskussionen im Anschluss an die Vorführungen. Ob Spielfilm, Dokumentation oder experimenteller Kurz- beziehungsweise Debütfilm – in sieben Kategorien werden die Filme ausgezeichnet. Bestdotiert ist der mit 8000 Euro versehene Goldene Biber
Das Leben als ruhiger Fluss: Mit seiner verschrobenen Ode an die Monotonie des Alltags und Adam Driver in der Hauptrolle läuft Jim Jarmusch mal wieder zu Höchstform auf
Zu Gast in der Reihe "Was tut sich – im deutschen Film?": am 2. November spricht Klaus Lemke mit Urs Spoerri über seinen neuen Film »Unterwäschelügen«

Thema

Faszinierendes Schwarzweiß bei Käutner, seltsame Experimente im Genrefilm und Einblicke in den Untergrund der Wirtschaftswundergesellschaft: Das ist der deutsche Film der Fünfziger. Wiederzuentdecken in einer Retrospektive, die jetzt durch die Republik reist
Das deutsche Nachkriegskino in der Rezeption und Analyse: Wilhelm Roth über den Katalog zur Retro
Bei dem kanadischen Auteur Denis Villeneuve gehen auch Hollywoodfilme immer etwas anders aus als gedacht. Wie jetzt die Geschichte mit den Aliens in »Arrival«
In einem Jim-Jarmusch-Film einen Bus zu fahren, sei etwas Besonderes für ihn gewesen, sagt der Schauspieler Adam Driver. In »Paterson« zeigt der Hipster und »Star Wars«-Schurke neue Facetten
Unsere "steile These" des Monats November

Meldung

165 Filme aus 53 Ländern zeigte das 25. Hamburger Filmfest, darunter auch Werke, die schon auf den Festivals von Locarno und Venedig für Aufsehen gesorgt hatten. Aber das Schwergewicht lag auf den Filmen, die noch keinen Verleih haben

Filmkritik

Das Sequel »Jack Reacher: Kein Weg zurück« bietet letztlich das gleiche wie vor vier Jahren der erste Teil: solide, kurzweilige Action-Unterhaltung
Unentschlossen bewegt sich Regisseur Mike Flanagan mit »Before I Wake« zwischen Psycho-Thriller und Horror, aber am Ende ist seine erste größere Indie-Produktion mit namhaften Stars vor allem kruder Mystery-Kitsch
Der Science-Fiction-Film »Arrival« des Kanadiers Denis Villeneuve (»Sicario«) ist ein ruhiger, nachdenklicher, kluger Film mit Tiefgang
»War on Everyone« ist ein Buddy-Cop-Movie der extra-ironischen Art: Alexander Skarsgard und Michael Peña geben sich vergebens Mühe in einem Film, der schlauer sein will als seine eigenen Figuren
Mit »Aloys«, seinem Porträt eines Privatdetektivs, der das Beobachten zu seiner einzigen Lebensaufgabe erhoben hat, legt Tobias Nölle ein bemerkenswertes Spielfilmdebüt vor
David Clay Diaz gelingt mit »Agonie« ein stilsicheres Debüt mit überragenden Darstellern und einer überaus prägnanten Montage
Woody Allen gelingt mit »Café Society« wieder eine deutliche Steigerung. Verantwortlich dafür ist vor allem sein Ensemble um Jesse Eisenberg und Kristen Stewart sowie die erstklassige Kameraarbeit von Vittorio Storaro
Philip Roths Geschichte über das trügerische Bild, das man sich vom Glück anderer macht, wird in Ewan McGregors Regiedebüt »Amerikanisches Idyll« zum berührenden Martyrium eines Vaters, dessen Tochter ihm entgleitet
Peter Berg inszeniert die Chronik der Ereignisse, die zur US-Ölpest 2010 führten, als überaus packenden Katastrophenfilm, bei dem die menschliche Seite nie aus dem Blick gerät – »Deepwater Horizon« ist meisterhaftes, zeitgemäßes Genrekino
Jochen Hick zeichnet in »Der Ost-Komplex« ein sympathetisches Porträt des schwulen CDU-Politikers Mario Röllig, der sich mit großem Engagement für die Erinnerung an die Verfolgung von Regimegegnern in der DDR einsetzt
Als Mutter-Sohn-Psychogramm ist Natalie Portmans Regiedebüt »Eine Geschichte von Liebe und Finsternis« nach einem Roman von Amos Oz zwar recht anrührend, doch es gelingt ihr nicht, die Bezüge dieser Geschichte wirklich spannend zu veranschaulichen
Fesselnde Szenen aus der spanischen Exklave Melilla, einem der heißen Grenzpunkte zwischen Afrika und Europa. »Les Sauteurs« wurde in großen Teilen von einem der Flüchtenden selbst gefilmt
Aus einer ziemlich ereignislosen Woche im Leben eines Kleinstadt-Busfahrers macht Indie-Ikone Jim Jarmush mit »Paterson« eine berührende Ode an die Monotonie des Alltags. Das Immergleiche steckt voller poetischer Momente, die mit leisem Humor und entspannter Schlichtheit zelebriert werden
Ein 16-jähriger Junge aus der Stadt muss sich in der isländischen Provinz zurechtfinden. »Sparrows« ist Coming of Age und existenzielles Drama. Beeindruckend
Zwei Brüder brechen 1968 heimlich aus der rumänischen Provinz auf, damit ihr Vater in der DDR operiert werden kann. Die Tragikomödie »Die Reise mit Vater« vergegenwärtigt das Zeitklima zwischen Repression und Freiheitsdrang zuweilen etwas holzschnittartig
Keine großen Dramen, sondern nur die kleinen, wahrhaftigen Nuancen eines traurigen, komischen und sogar ein bisschen romantischen Coming of Age unter erschwerten Bedingungen für einen schwarzen Jungen im weißen Heidelberg: »Morris aus Amerika«
In Kooperation mit deutschen, polnischen und israelischen Institutionen dokumentieren die Berliner Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies die Überlebensgeschichten Breslauer Juden
Ein Todesfall aus heiterem Himmel: Von Sommer zu Sommer und in Berlin, Paris, New York erzählt »Dieses Sommergefühl« eine einfache Geschichte, die unspektakulär, aber profund von den Dingen des Lebens handelt
Porträt der Kunstgattung Schriftstellerei in der ikonischen Person des unbequemen Dichters und Denkers Peter Handke. Selbiger lässt sich von den seiner Meinung nach mitunter dummen Fragen der Filmemacherin nicht aus dem Konzept bringen
Ein sehr finnischer Film über den Mann im Allgemeinen und den nackten in der Sauna im Besonderen. »Was Männer sonst nicht zeigen« gewährt Einblick in Saunakultur und Männerseele, kommt aber nicht wirklich zu spannenden Ergebnissen
Ästhetisch reicht die Dokumentation über Robert Mapplethorpe nicht an dessen Werke heran. Aber die Filmemacher zeichnen das differenzierte Bild eines Künstlers, dessen Arbeiten bis heute prägende Wirkung haben
Mit dem Ende der Liebe hören die Gefühle nicht auf: Joachim Lafosse inszeniert in »Die Ökonomie der Liebe« die Elegie einer Trennung und weigert sich konsequent, Partei für nur eine Figur zu ergreifen
Stephen Frears tragikomisches Porträt der legendär schlechten Sängerin Florence Foster Jenkins ist ein wunderbarer »Showcase« für Meryl Streep und Co-Star Hugh Grant, der interessante Fragen nach der Wertigkeit von Kunst ausblendet
Um die Tanzpionierin Loïe Fuller neu zu entdecken, würde man sich eine faktentreue Aufarbeitung dieses außergewöhnlichen Künstlerlebens wünschen und nicht eine eher geschmäcklerisch inszenierte biografische Fantasterei wie bei »Die Tänzerin«
Die aufwendig ausgestattete, starbesetzte Fallada-Verfilmung »Jeder stirbt für sich allein« enttäuscht so ziemlich
Wie wurde Florence Foster Jenkins, die »wie ein besoffener Kuckuck« sang, zum Star? Anhand von Experten-Statements, Archivfunden und Spielszenen mit Joyce DiDonato als Jenkins spürt der Film der Faszination jener Virtuosin der schrägen Töne nach
In der Hoffnung, nach dem Militärdienst die amerikanische Staatsbürgerschaft erlangen zu können, reist ein junger Mexikaner illegal in die USA ein. Rafi Pitts inszeniert seinen Fall in »Soy Nero« als reduziertes Kammerspiel
Loachs jüngster Film »Ich, Daniel Blake« zeigt einen arbeitslosen Tischler im Räderwerk staatlicher Mangelverwaltung. Schnörkellos erzählt bis zum unversöhnlichen Ende, produziert er beim Zuschauer Anteilnahme und Wut
Dieter Berners Künstlerporträt »Egon Schiele: Tod und Mädchen« lebt von intensiv ausgespielten Beziehungsdramen. Egon Schieles Leben und seine Inspirationsquellen kann der Film rekonstruieren, sein Genie lässt sich nicht darstellen
Die Coming-of-Age-Komödie »Radio Heimat« nach Motiven von Frank Goosen entpuppt sich als liebevoll detailgenauer Ausstattungsfilm, der allerdings kaum über den Charakter eines Fotoalbums hinausreicht
Von einigen Einschränkungen abgesehen, gelingt Jakob M. Erwa mit seiner stilsicheren Steinhöfel-Adaption »Die Mitte der Welt« ein großer Wurf
Ein Klischee-Ostfriese bringt einer Gruppe ausländischer Pappkameraden auf Integrationskurs Platt- statt Hochdeutsch bei. »Ostfriesisch für Anfänger« ist der extrem unlustiger Versuch, aus dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen komische Funken zu schlagen
Julius Schultheiß gelang in seinem No-Budget-Film »Lotte« das Porträt einer Frau, die ungebunden und ungezwungen durch das Leben stolpert und sich dann doch ihrer Verantwortung stellen muss
In »Nirgendwo«, dem Debütfilm von Matthias Starte, geht es um Liebe, Enttäuschung und die vielbeschworene Eigenverantwortung fürs Leben
Dokumentaristin Eren Önsöz begleitet in »Haymatloz« fünf Menschen, Nachkommen von deutschen Exilanten in der Türkei, an die Orte ihrer Kindheit in Ankara oder Istanbul
Spannende, gut gespielte Verfilmung des Krimi-Bestsellers, die jedoch zunehmend unter der holzschnittartigen Zeichnung der männlichen Figuren leidet
»Doctor Strange« ist ein überaus amüsanter Ableger des Marvel-Universums, der sich mit psychedelischer Optik und grandioser Besetzung aus dem Superhelden-Einerlei hervortut
Die österreichische Dokumentaristin Ruth Beckermann nähert sich in »Die Geträumten« mit einer hybriden, hochgradig emotionalisierten Inszenierung der schwierigen Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan
Gavin O'Connors Thriller über ein autistisches Finanzgenie, das für die Buchhaltung der größten Verbrechersyndikate verantwortlich ist, baut auf einer interessanten Prämisse auf, verliert seine Geschichte jedoch zunehmend aus dem Blick. Am Ende bleibt »The Accountant« trotz großartiger Besetzung nur ein konventioneller Gangsterfilm, dessen elegante Inszenierung nicht über dramaturgische Schwächen hinwegtäuscht
Die dritte Verfilmung eines Romans von Dan Brown mit dem bewährten Team Ron Howard als Regisseur und Tom Hanks ist global angelegt: Die halbe Menschheit steht vor ihrer Auslöschung. Aber natürlich ist die Auflösung des Rätsels in der europäischen Kulturgeschichte versteckt, bei Botticelli und Dante. Wie seine Vorgänger kommt auch »Inferno« ziemlich atemlos daher, punktet aber durch einige Wendungen und windige Figuren

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