Hinter den Schlagzeilen
Kristen Stewart in »Certain Women« von Kelly Reichardts
165 Filme aus 53 Ländern zeigte das 25. Hamburger Filmfest, darunter auch Werke, die schon auf den Festivals von Locarno und Venedig für Aufsehen gesorgt hatten. Aber das Schwergewicht lag auf den Filmen, die noch keinen Verleih haben
Der rote Teppich für den Eröffnungsfilm, so beschrieb es Festivalleiter Albert Wiederspiel in einem Interview, sei »eine Lokomotive, die wir brauchen, der zieht Aufmerksamkeit auf sich, der lockt Medien. Davon profitieren die anderen 165 Filme.« Mit einem Budget, das erheblich unter dem von München, dem anderen großen deutschen lokal orientierten Filmfestival, liegt, geht es in der Hansestadt weniger um internationale Stars und Glamour, sondern um die Filme, darunter zahlreiche Titel, die in Cannes, Locarno und Venedig Premiere hatten, aber noch ohne deutschen Verleih sind – auf seine Auswahl kann Hamburg zu Recht stolz sein. Für den Glamour sorgen hier übrigens die lokalen Produktionen, zu deren Premiere die Filmschaffenden gerne kommen.
Den amerikanischen Kongressabgeordneten Anthony Weiner dürften die meisten nur aus den Schlagzeilen kennen, die er machte, als er 2011 ein freizügiges Foto versehentlich an all seine Twitter-Follower (immerhin 56 000) schickte, statt nur an jene Frau, mit der er Online-Sex hatte. Als er 2013 für das Amt des New Yorker Bürgermeisters kandidierte, wobei der Film »Weiner« ihn beobachtet, tauchten kurz vor dem Finish weitere Sexbilder auf. Trotzdem kommt er nicht nur als charismatischer, sondern in seinen politischen Auffassungen als unterstützenswerter Politiker rüber. Trockener, aber ähnlich aufschlussreich war ein zweiter Film über den Menschen hinter den Schlagzeilen. In »The Confession« tritt Moazzam Begg vor die Kamera. Der in Birmingham geborene Sohn eines pakistanischen Bankers berichtet, wie er sich zuerst in Bosnien, dann in Afghanistan selbst ein Bild von der Verfolgung der Muslime machen wollte, sich dabei radikalisierte und schließlich als Gefangener in Guantanamo landete.
Das große Hollywoodkino war in Hamburg nicht vertreten, wohl aber bemerkenswerte Indie-Filme. Kelly Reichardt erzählt in »Certain Women« drei Episoden um Frauen zwischen Selbstbehauptung und Einsamkeit im ländlichen Montana – die Basis bilden Kurzgeschichten einer lokalen Autorin. Die anhaltende Qualität des iranischen Kinos zeigte Behnam Behzadi mit »Inversion«: Inmitten eskalierender Auseinandersetzungen zwischen Geschwistern darüber, wer sich um die lungenkranke Mutter kümmern und künftig mit ihr außerhalb der smoggeplagten Hauptstadt Teheran leben soll, geht es auch um die wiederholten Begegnungen der Protagonistin mit einem Mann, der um sie wirbt – durchaus erotische Momente, ungewohnt im iranischen Kino. Von dem Druck, unter dem sein Protagonist steht, handelte auch der neue Film des Rumänen Christian Mungiu: In »Graduation« (Bacalaureat) setzt ein Arzt alles daran, seiner Tochter ein Auslandsstudium zu ermöglichen. Ein unvorhergesehenes Ereignis vor dem Examen gefährdet seine Pläne und lässt ihn immer tiefer in einem Sumpf von Korruption versinken. Dass der Zuschauer sein Handeln nachvollziehen und billigen kann, macht den Film so bemerkenswert.
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