Kritik zu Arrival
Wenn Aliens auf der Erde landen, dauert es meist nicht lange, bis die Schießerei losgeht. Nicht so in Denis Villeneuves Science-Fiction-Drama: Hier findet die Begegnung der dritten Art vor allem auf der Ebene des Intellekts statt
Eigenartige Mixturen sind die Filme von Denis Villeneuve, einerseits kühl und distanziert in ihrer Intellektualität, andererseits sinnlich und emotional in ihrer Bilderwucht und erzählerischen Zuspitzung. Sie bedienen zwar das Genrekino, transzendieren es aber zugleich, indem sie einfache Formeln und simple Strukturen hinter sich lassen. Das die Grenzen der Moral auslotende Entführungsdrama »Prisoners«, der philosophische Mysterythriller »Enemy«, das grimmige Cop-Movie »Sicario«: Immer stellen die Arbeiten des Kanadiers provokante Fragen, immer haftet ihnen etwas Nachdenklich-Düsteres an, und immer finden sie radikale dramaturgische Wendungen, die das Geschehen an unerwartete und unbequeme Orte führen.
Es kann also nicht überraschen, wenn Villeneuves erster Ausflug in die Science-Fiction alles andere als ein üblicher Blockbuster ist. »Arrival« handelt zwar von einer Alien-Ankunft auf der Erde und bietet durchaus den apokalyptischen Thrill und die visuelle Opulenz, die mit so einem Spektakel verbunden sind. Im Grunde aber ist der Film eine leise Meditation über Verlust und Trauer, Kommunikation und Zeit, Vertrauen und Hoffnung. Viele Fragen werden gestellt, nicht alle davon zufriedenstellend beantwortet, aber insgesamt ist Villeneuve ein faszinierendes Gedankenexperiment gelungen, näher an Nolan als an Emmerich, näher an »Contact« als am »Krieg der Welten«.
Im Zentrum steht die Linguistin Louise Banks, die viele Sprachen spricht und deshalb vom US-Militär engagiert wird, nachdem eins von zwölf außerirdischen Raumschiffen über Montana gelandet ist. Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Ian Donnelly (Jeremy Renner) steigt sie in das knapp über dem Boden schwebende muschelförmige Gefährt und versucht, mit den Aliens, die wie eine Kreuzung aus überdimensionierten Kraken und menschlichen Händen aussehen, zu kommunizieren. Amy Adams spielt diese Frau mit so großer Intensität und Beharrlichkeit, dass man jederzeit das Schicksal der Welt in ihre Hände legen würde. Wie Sandra Bullock in »Gravity« hat sie früh ihre Tochter verloren; die ersten Szenen zeigen das kurze Mutterglück in einer anrührenden Montage, die den besinnlichen und verhaltenen Ton vorgibt, von dem der ganze Film getragen wird.
Es ist eine schwierige, langwierige Mission, auf die Louise sich da einlässt. Erschwert wird sie von der Unruhe in der Bevölkerung und der wachsenden Angriffslust der Regierungen Chinas und Russlands, die für zunehmenden Zeitdruck sorgen. Trotzdem lässt Villeneuve die Begegnung der dritten Art angenehm unspektakulär ablaufen. Kein Alien-Ekel, keine physische Bedrohung, »nur« das Zusammentreffen mit einer fremden Kultur, deren Motive zunächst unergründlich scheinen. Nach und nach gelingt es Louise, die Zeichensprache der Besucher zu entziffern; sie orientiert sich dabei an der sogenannten Sapir-Whorf-Hypothese, die besagt, dass Sprache das Denken formt. »Arrival« nimmt diesen linguistischen Ansatz überaus ernst: Wenn unsere Gedanken an unsere Sprache gekoppelt sind (oder, umgekehrt, unsere Sprache unser Denken limitiert), was geschieht dann, wenn eine neue Sprache uns völlig neue Möglichkeiten eröffnet?
Im letzten Drittel hält der Film einige erstaunliche Twists parat, über die noch viel gesprochen und geschrieben werden wird. Bis dahin ist längst klar, dass Villeneuve nichts weniger als einen einzigartigen Science-Fiction-Film geschaffen hat. Alles fügt sich (fast) perfekt zusammen: die phänomenalen Bilder von Kameramann Bradford Young und die eindringlichen Klangwelten von Jóhann Jóhansson, das vielschichtige Drehbuch von Eric Heisserer (nach einer Shortstory von Ted Chiang) und die meisterhafte Inszenierung von Villeneuve, dem man nun sogar zutrauen mag, dass auch seine nächste Zukunftsvision ein großer Wurf werden könnte. Die heißt immerhin »Blade Runner 2049« und ist für Herbst 2017 angekündigt.
Kommentare
Punktabzüge
Bei dem Satz "...sie orientiert sich dabei an der sogenannten Sapir-Whorf-Hypothese, die besagt, dass Sprache das Denken formt." musste ich ja zuerst an Orwell's '1984' und 'Neusprech' denken, aber das ist eine andere Geschichte... Die in 'Arrival' mit der Alien-Sprache verküpften Möglichkeiten gingen mir persönlich zu weit; für mich wird die Geschichte dadurch unplausibel (vielleicht liegt's ja auch nur an einem Mangel an Phantasie meinerseits?). Außerdem habe ich mich manchmal an Nolan's "Interstellar" erinnert gefühlt (der mir so überhaupt nicht zugesagt hat). Beides zusammen ergibt für mein Urteil 2 Punkte Abzug, also 3 von 5 Sternen. ;-)
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