Kritik zu Lotte

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Das Debüt von Julius Schultheiß, ein No-Budget-Film, hatte in der Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino Premiere und folgt einer Drifterin durch die Straßen Berlins

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Wenn sie so mit ihrem Koffer durch die nächtlichen Straßen Berlins zieht, dann wirkt sie wie eine moderne Verwandte von Anita G. in Alexander Kluges »Abschied von gestern«. Die war auch, in den sechziger Jahren, durch die Großstädte des Wirtschaftswunderdeutschlands gezogen, mit ihrer ganzen Habe in den Koffern, ohne richtige Bleibe, ohne feste Verbindungen. Aber Anita G befindet sich auf der Flucht, kam aus der DDR, hat gestohlen. Und bei Lotte ist dieser Zustand, wie wir annehmen müssen, freiwillig.

Mit dieser Lotte ist Julius Schultheiß eine Figur gelungen, die man nicht oft sieht im deutschen Kino. Eine junge Frau, die rülpst und trinkt, die kokst und ziemlich rüpelig wirkt. Die Bindungen scheut wie der Teufel das Weihwasser und bei der man sich auch fragt, wer sich überhaupt an sie binden will. Nach einem Streit mit ihrem Freund packt sie sofort ihren Koffer und ertelefoniert sich die nächste Schlafgelegenheit, bei einer Freundin aus Jugendzeiten. Und so wirkt sie auch ein bisschen: als wollte sie mit Ende 30 der eigenen Jugend und der Utopie eines ungebundenen Lebens hinterherlaufen.

Aber es gibt auch die andere, geerdete Lotte. Sie ist Krankenschwester – wenn sie auch ständig zu spät kommt – und hilft auch in der Nachbarschaft, wenn es dort einen Verletzten gibt. Zum Beispiel in der Kneipe. Dort trifft sie ihren Exfreund Marcel wieder und versorgt seine Wunde. Sie wird ihn bald noch einmal wiedersehen, als er in ihrem Krankenhaus seine Tochter besucht, die einen Unfall mit ihrem Mofa hatte. Es ist auch ihre Tochter, wie sich herausstellt, die Lotte zurückgelassen hatte. Aber mit ausführlichen Erklärungen über das Wie und Warum hält sich der Film zum Glück wenig auf. Nur einmal, als er am Schluss mit etwas Küchentischpsychologie Lottes schwierige Mutterbeziehung thematisiert. 

Tochter Greta stellt ihrer Mutter nach, die mittlerweile in einer Fahrradwerkstatt wohnt, und zieht zu ihr. Diese Mutter-Tochter-Annäherung ist das eigentliche Zentrum des Films, teilweise ein brachiales Initiationsprogramm in den Clubs und Straßen von Berlin und doch atmosphärisch und subtil erzählt. Einmal kocht Greta ein Abendessen, mit Kerzen auf dem Couchtisch. Aber Lotte schnappt sich einfach ihren Teller, holt erst mal ein Bier aus dem Kühlschrank (für sich) und futtert dann alles im Stehen weg. Immerhin schmeckt es ihr. 

»Lotte« ist ein echter Independent-Film, vom Regisseur und durch Crowdfunding finanziert, gedreht für etwas mehr als 10 000 Euro on location in Berlin. Die großartige Karin Hanczewski, die die Lotte verkörpert und ansonsten im Dresden-»Tatort« ermittelt, hat ihre Gage zurückgestellt. Was ja normalerweise heißt: umsonst gearbeitet. Es gelingt ihr das Porträt einer Frau mit einer unterschwelligen Aggressivität, die damit aber auch etwas verteidigt: die Freiheit, die sie nicht bereit ist aufzugeben. Außer vielleicht für ihre Tochter.

Meinung zum Thema

Kommentare

Vier Sternchen hätte ich dem Film auch gegegben. Ein weiterer Beweis dafür, dass auch ohne großes Budget sehenswerte Filme entstehen können. Ich wünsche dem Filmteam auf jeden Fall viele Zuschauer, damit sie nicht auf den Filmkosten sitzen bleiben. Allzuviele Gelegenheiten, den Film im Kino zu sehen, wird es ja möglicherweise nicht geben...

Zum Glück hält sich der Film nicht mit langen Erklärungen aus der "Küchentischpsychologie" auf (nur einmal, ganz kurz am Ende). Etwas überrascht war ich schon, dass Lotte zu keinem Zeitpunkt angezweifelt hat, dass Greta tatsächlich ihre Tochter ist. Wann hat sie sie erkannt: Sofort, bei der ersten Begegnung? Oder doch erst, als sie sie zusammen mit ihrem Vater Marcel sieht? Aber egal, wann hat man schon mal die Gelegenheit, einen durchgängig unterhaltsamen Film über eine so liebenswerte Nervensäge zu sehen? Karin Hanczewski als Lotte: Großartig, dem Urteil von Hr. Worschech kann ich nur zustimmen!

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