03/2016
»Dem Leben zuschauen« – Genau, realistisch, glaubwürdig: Vincent Lindon über seinen
preisgekrönten Part in dem Sozialdrama »Der Wert des Menschen« +++
»Linke in Hollywood« – Dalton Trumbo und die Schwarze Liste +++
»Monster-Movies« – In China werden täglich neue Kinos eröffnet – Filmwirtschaft in Fernost +++
»Was wäre, wenn mir das passiert?« – Der französische Schauspieler Vincent Lindon im Interview +++
Filme des Monats: +++ RAUM +++ GRÜSSE AUS FUKUSHIMA +++ DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK +++ SON OF SAUL +++
In diesem Heft
Tipp
Vier Kilo prachtvolle Bilder und kluge Texte: Taschens Auswahl der »besten TV-Serien der letzten 25 Jahre«
Kein Zuhause, nirgends – Richard Gere als Obdachloser in einem Film, der in den Bann zieht
»Das Traumschiff«, die »Lindenstraße« und die »Schwarzwaldklinik« – das war mal der Inbegriff bundesrepublikanischer Serienkultur. Doch da hat sich in den letzten Jahren in den Anstalten einiges verändert. Über die "neuen Deutschen": »Weissensee« | »Deutschland 83« | »Die Stadt und die Macht«
Unbekannte Meisterwerke – Peter Naus Miniaturenband »Unter dem Regenmond«
Seherlebnisse – Die Filme des deutschen Regisseurs Andreas Voigt: »Alfred«, »Leipzig im Herbst«, »Letztes Jahr Titanic«, »Glaube Liebe Hoffnung« und »Große Weite Welt«
In insgesamt 13 Kategorien können die Teilnehmerfilme Preise abräumen. So konkurrieren beispielsweise im Wettbewerb um den Deadline-Award die besten Horror-, Mystery-, Fantasyfilme oder Thriller um 1000 Euro Preisgeld
Das erste kirchliche Filmfestival in Deutschland zeigt auch in diesem Jahr wieder Spiel- und Dokumentarfilme, die sich mit Menschlichkeit, Mitleiden, Ethik, Gerechtigkeit und Solidarität auseinandersetzen. Das Festival möchte zwischen Filmemachern und Publikum Begegnungen ermöglichen und Gespräche anregen
Das Runde muss aufs Eckige, könnte das Motto des – weltweit einzigen – Internationalen Fußballfilmfestivals 11mm heißen. Der Wettbewerb »shortkicks« zeichnet die besten Kurzfilme über die große Leidenschaft fürs Kicken aus
Er ist sowohl Seismograph der gesellschaftlichen Wirklichkeit als auch das Feierabendbier für die Augen. Nicht jeder liebt ihn, aber vorbei kommt man auch nicht an ihm: dem deutschen Fernsehkrimi. Auf dem Fernsehkrimifestival wird die Crème de la Crème der teutonischen TV-Mörderhatz vorgeführt und ausgezeichnet
Als Plattform und Kulturvermittler sieht sich das Filmfestival Türkei Deutschland, eine der bedeutendsten interkulturellen Veranstaltungen in Deutschland. In diesem Jahr laufen Beiträge aus der Türkei, Deutschland, der Schweiz und Frankreich im Wettbewerb
Ganz am Puls der Zeit beschäftigt sich das Lichter Filmfest in seiner neunten Ausgabe mit Grenzen. Regionale und internationale Produktionen nähern sich dem Thema, von »Jonathan« bis »Schrotten!«, von »Enklava« bis »The Other Side«
Französisches Flair trifft auf türkische Verhältnisse: In ebenso betörenden wie kraftvollen Bildern fängt Denize Gamze Ergüven in ihrem Debütfilm den Geist von Freiheit und Rebellion ein, der in einer Generation junger Frauen nistet, die sich gegen das System der Zwangsehe auflehnen
Thema
In China gehen die Menschen inzwischen fast so oft ins Kino wie bei uns, gerne in hausgemachte Monstermovies. Und die Industrie wächst weiter – eine Tatsache, mit der auch Hollywood rechnen muss
Es gilt als das düsterste Kapitel in der Geschichte der Traumfabrik: das Arbeitsverbot, mit dem ab 1947 zahlreiche Drehbuchautoren wegen ihrer linken Überzeugungen belegt wurden. Die Biografie des wohl prominentesten von ihnen, Dalton Trumbo, wurde nun mit Bryan Cranston verfilmt
Unsere "Steile These" des Monats
Den Golden Globe hat sie eingeheimst, mit dem Oscar wurde sie für die "Beste Hauptdarstellerin" ausgezeichnet: Nach vielen Jahren in der zweiten Reihe steht Brie Larson dank »Raum« plötzlich im Rampenlicht
Meldung
Mit Gerhard Midding sprach Vincent Lindon über Stéphane Brizés engagiertes Sozialdrama »Der Wert des Menschen«, in dem Lindon einen Mann spielt, der seinen Job verliert – aber nicht seine Würde
Für »Hierankl« und »Winterreise« (beide mit Josef Bierbichler) wurde er mehrfach ausgezeichnet. Jetzt startet sein neuer Film »Das Tagebuch der Anne Frank«
Zu Gast in der Reihe Was tut sich in Deutschen Film?: Am 24. März spricht Theresa von Eltz mit epd Film-Redakteur Rudolf Worschech über »4 Könige«
Das dem deutschsprachigen Nachwuchsfilm gewidmete Filmfestival Max Ophüls Preis präsentierte in diesem Jahr einen hervorragenden Wettbewerb
Filmkritik
»El Clan« ist ein verstörender Thriller über die Folgen der argentinischen Militärdiktatur – basierend auf einer wahren Begebenheit
Ein unaufgeregter Beitrag zu einer aufgeregten Debatte: Im ehemaligen Ausflugshotel Café Waldluft im idyllischen Berchtesgadener Land ist eine Asylbewerberunterkunft untergebracht. Matthias Koßmehl beobachtet den Alltag an diesem Ort und zeigt im Kleinen, was im Großen möglich ist
»Birnenkuchen mit Lavendel« ist ein sinnliches Märchen über die Rettung eines provenzalischen Birnen- und Lavendelhofs. Mit seiner eigenwilligen Sicht auf die Welt und seinem unverblümt direkten Verhalten wird der unter Asperger leidende Pierre (Benjamin Lavernhe) zum charmanten Schutzengel für die schöne Witwe Louise
»Babai« ist eine Migrantengeschichte, in den 90ern angesiedelt, doch dank narrativer Reduktion und perfektem Stilgefühl hochaktuell: Ein kleiner Junge wird von seinem Vater im Kosovo zurückgelassen und setzt alles daran, ihm nach Deutschland zu folgen
Michael Bay ist bekanntlich kein Mann lästiger Differenzierungen. »13 Hours«, seine Version des Anschlags auf die amerikanische Botschaft in Libyen, ist als geradliniges Heldenporträt der Männer angelegt, die als paramilitärische Privatdienstleister bei der Evakuierung ihr Leben riskierten
»Power to Change« ist ein Film, den jeder Energiepolitiker, jeder Lobbyist, jeder Privatmann, der sich eine Solaranlage leisten kann, gesehen haben sollte. Denn hier wird erklärt, was es mit der sogenannten Energiewende auf sich hat
Nicht mit dir, nicht ohne dich: In Maïwenns anregendem Beziehungsdrama »Mein Ein, Mein Alles« wird mit Verve und Intelligenz das Scheitern einer amour fou durchdekliniert
Eine alleinerziehende Mutter merkt nicht, dass ihr erwachsener Sohn ihr mögliches neues Liebesglück aktiv hintertreibt. »Lolo« ist eine allzu brave Komödie der intellektuellen Drama-Queen Julie Delpy, die hier auch Regie führt
Die Uckermark, Rückzugsraum bedrohter Pflanzen und Tiere und zugleich Europas modernste agrarindustrielle Region: In faszinierenden Bildern schreibt der Dokumentarist Volker Koepp in »Landstück« Geschichte und Geschichten seiner Heimat fort
Bill Murray als abgehalfterter Musikmanager, der in Afghanistan eine junge Paschtunin entdeckt. Barry Levinsons Kulturclash-Komödie »Rock the Kasbah« spart kein Klischee aus und verlässt sich ansonsten auf ihren Hauptdarsteller
An der Oberfläche ist »Im Strahl der Sonne« das Porträt eines nordkoreanischen Mädchens und ihrer musterhaften Familie – doch der Dokumentarfilmer Vitaly Mansky macht aus der Not der totalen Kontrolle des Regimes über die Dreharbeiten eine Tugend und entlarvt die Propaganda durch heimlich gefilmtes Material
Für seinen Film über die Bedingungen im KZ Auschwitz wählt László Nemes einen ganz eigenen Stil: Er bleibt durchgehend nah an seinem Protagonisten, einem Gefangenen, der zu einem jüdischen Sonderkommando zählt, und lässt die äußeren Ereignisse weitestgehend im unscharfen Hintergrund spielen. So entsteht ein beklemmender, wuchtiger, zermürbender Film, der das Unfassbare beinah physisch erfahrbar macht
Ein ehemaliger Boxer erfährt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Thomas Stuber ist mit »Herbert«, seinem Porträt eines Mannes, dem alles entgleitet, eine enorm beeindruckende Krankheits- und Milieustudie gelungen, die zudem Erinnerungen an die Filme Rainer Werner Fassbinders weckt
»Zoomania« is ein Animationsfilm über eine Großstadt, in der alle Tierarten friedlich zusammenleben. Die schöne Ausgangsidee von einer toleranten Welt wird nach einem starken Beginn leider nicht zu einer tragfähigen Geschichte ausgebaut: Das immergleiche Prinzip vom Widerlegen von Vorurteilen wirkt didaktisch, die Krimigeschichte überkonstruiert
Performance-Künstlerin Laurie Anderson verwebt in »Heart of a Dog« Erinnerungen und Gedanken über die Liebe, den Tod und das Leben zu einem poetischen Multimedia-Filmgedicht, das ihrem vor drei Jahren verstorbenen Lebensgefährten Lou Reed gewidmet ist
Mit dem glänzend gespielten und formal überzeugenden Kammerspiel »Grüße aus Fukushima« über Hysterie und Radioaktivität erfindet Doris Dörrie sich neu
Dieses Biopic wirft einen nostalgischen Blick auf Hollywoods dunkelste Periode: Jay Roach (»Austin Powers«) erzählt in »Trumbo« vom Schrecken der schwarzen Liste, ohne sich politisch und erzählerisch allzu sehr aus der Deckung zu wagen
Ein älterer Familienvater wird arbeitslos: Stephane Brizés Drama »Der Wert des Menschen« demonstriert die merkantilistischen Mechanismen, denen zwischenmenschliche Beziehungen im Rahmen moderner Arbeitswelten unterworfen werden, und zeigt, dass diese nicht nur das ethische Gerüst der Gesellschaft unterminieren, sondern tatsächlich Leben gefährden
Regisseur Hüseyin Karabey, in Istanbul geboren, widmet der langen Passion des kurdischen Volkes in der Türkei mit »Folge meiner Stimme« einen kunstvollen und berührenden Film, der sich neben den Arbeiten von Yilmaz Güney und Bahman Ghobadi nicht verstecken muss
»Tomorrow Is Always Too Long« ist eine poetische Liebeserklärung an Glasgow aus dokumentarischen und fiktiven Szenen, wobei die Zuordnung nicht immer eindeutig ist
Die gut gespielte, werkgetreue Verfilmung des Anne-Frank-Tagebuchs setzt auf emotionale Überwältigung, lotet den Stoff dabei aber nicht neu aus
Schöne junge Männer kämpfen in artifiziell inszenierten 50er Jahren mit Naturgewalten: dem Meer, der Elektrizität, der Liebe. Dabei wirken sie wie junge Leute von heute. »The Finest Hours« ist ein Heldenlied auf die US-Küstenwache, dem leider Sentiment und Sinnlichkeit abgehen
Sterbehilfedrama von Bille August: Eine dänische Familie kommt ein letztes Mal zusammen, um sich von der unheilbar kranken Mutter zu verabschieden. »Silent Heart« ist ein sehr ernsthafter, bewusst deprimierender Film, der das Thema erstaunlich unemotional abhandelt
Krimikomödie mit Überraschungseffekten: In seinem Kinodebüt »Sex & Crime« geht Paul Florian Müller über die verordnete Kompatibilität von Gewaltdarstellung hinweg und zeigt, wie sex and crime auch aussehen können. Liebevoll gemachter Film, der vielfach an seine Grenzen stößt
Nach einer fehlgeschlagenen Börsenspekulation sehen sich vier Freunde einem Gangsterboss ausgeliefert. Nicht nur durch die Mitwirkung von John Travolta an die frühen Filme Quentin Tarantinos erinnernd, gelingt »Criminal Activities« die Balance zwischen Brutalität und Sophistication eher selten
Xavier Kollers Kinderbuchverfilmung »Schellen-Ursli« reiht sich ein in die Alpenfilme, die im Moment im Kino für großartiges Naturfeeling sorgen. In allen Geschichten korrespondieren die unbescholtenen Kinder, die dort die Helden spielen, mit unserer Sehnsucht nach einer unberührten Natur
»Mumblecore«-Regisseur Andrew Bujalski bleibt trotz großer Besetzung mit »richtigen« Schauspielern (Guy Pearce, Cobie Smulders, Kevin Corrigan) seinem etwas verpeilten Stil treu. »Results« ist eine Romantic Comedy für Menschen, die sich nie eine Romantic Comedy ansehen würden
Eine junge Frau und ihr kleiner Sohn werden seit Jahren in einem fensterlosen Raum gefangen gehalten; schließlich wagen sie einen Fluchtversuch. »Raum« ist ein exzellent inszeniertes, herausragend gespieltes Drama, das bei aller Intensität nie reißerisch wirkt
Jeff Nichols' Film »Midnight Special« um eine Familie auf der Flucht spielt mit Motiven des Familiendramas, des Roadmovies, des Paranoia-Thrillers und der Science-Fiction – und verweigert sich souverän den Gesten des Starkinos
Der »Baller-Tatort« mit Til Schweiger expandiert ins Kino – und bietet humorige Action im Stil von »Lethal Weapon«. Das Konzept von »Tschiller: Off Duty« funktioniert zumindest besser als im Fernsehen
Mehr Hommage ans alte Hollywood als Satire aufs Studiosystem ist der neue Coen-Film »Hail, Caesar!« in erster Linie eine Nummernrevue mit allerdings sehr hübschem »Re-enactment« ausgestorbener Genres
Das Model Zoolander versucht ein Comeback in Rom und gerät in die Verschwörung eines alten Widersachers. Die gutgelaunte, aber etwas angestrengte Fortsetzung der Komödie über den Modezirkus besticht weniger durch gute Gags als durch ihre Dichte an VIP-Cameos
»Deadpool« ist eine tricktechnisch durchschnittliche, brutale Comicverfilmung mit einem prätentiös kontroversen Helden, der seine Metzeleien durch seinen forcierten Dauerkommentar als besonders »cool« erscheinen lassen will
Ein lüsterner Großvater überredet seinen angepassten Enkel zu einem Ausflug in den studentischen Springbreak. »Dirty Grandpa« ist eine bestürzend unlustige Jungskomödie voller Zoten und verbalem Unflat, in der besonders Robert De Niros Mitwirkung ratlos macht