Kritik zu Midnight Special

© Warner Bros. Pictures

Eine Familie auf der Flucht mit unbestimmtem Ziel, aber mit Mission: In seinem vierten Film wechselt Independentregisseur Jeff Nichols souverän zwischen ­Science-Fiction, Familiendrama und Paranoia-Thriller

Das Unheil kommt von oben. Es macht sich zunächst als Lichtschweif am Himmel bemerkbar. Aber dann geht es ganz schnell: Plötzlich regnet es glühenden Schrott vom Himmel, als würde das Jüngste Gericht über den verlassenen texanischen Landstrich hereinbrechen. Der Verursacher dieses kleinen »metereologischen« Zwischenfalls steht derweil wie erstarrt zwischen den Einschlägen, bevor er von seinem Vater in einen Lieferwagen gezerrt wird. Von einem biblischen Wunder kann in Jeff Nichols' viertem Film dennoch nicht die Rede sein, auch wenn Roy (Michael Shannon) in seinem achtjährigen Sohn ­Alton eine Art Messias sieht. »Alton ist unsere Priorität«, sagt er zu seinem Partner Lucas (Joel Edgerton), als sie von einer Polizeistreife angehalten werden. Die drei befinden sich auf der Flucht in einem hübsch patinierten Musclecar, das an Monte Hellmans »Two-Lane Blacktop« denken lässt. Und noch etwas haben die beiden Filme gemeinsam: Sie bewegen sich auf ein unbestimmtes Ziel zu.

Das Ziel der Reise ist nicht das Einzige, das Nichols lange in der Schwebe hält – auch auf ein Genre will er sich zunächst nicht festlegen. In der ersten Stunde wechselt der Film ständig seine Register zwischen Roadmovie, Paranoia-Thriller, Familiendrama und Science-Fiction. Selbst die NSA tappt im Dunkeln, obwohl ihrem Überwachungsapparat nichts entkommen dürfte. Adam Driver spielt einen NSA-Analysten als verständigen Nerd: Sein Geheimdienstwissen führt er in einer Ledertasche mit sich, doch was ihn wirklich von den Männern in dunklen Anzügen unterscheidet, sind seine Soft Skills. Er hat einen Draht zu dem Jungen.

»Midnight Special« funktioniert über weite Strecken als wortkarges Familiendrama, das beiläufig unterschiedliche Genrekonstellationen austestet. Selbst die Action­sequenzen sind auf altmodische Weise um einen Klimax heruminszeniert. Die Rolle der Endzeitsekte, die Roy und Alton auf den Fersen ist, bleibt ebenso unklar wie die Herkunft des Jungen, der offensichtlich nicht der Spross seiner Eltern ist. Das gleißende Licht, das gelegentlich aus Altons Augen schießt, verrät ihn.

Nichols hat sich mit seinen bisherigen Filmen eine Nische zwischen Independent- und Starkino geschaffen, vor allem aber steht er seit dem apokalyptischen Familiendrama »Take Shelter« für ein Kino, das strikte Zuordnungen meidet. Auch »Midnight Special« ist am besten, wenn Nichols mit wenigen Informationen arbeitet und Spannung aus dem Zusammenspiel der nächtlichen Landschaft und der erschöpften Gesichter seiner Darsteller zieht. Wenn das Pendel zum Ende hin deutlich in Richtung Science-Fiction ausschlägt und Nichols sich gezwungen sieht, Schauwerte zu liefern, verliert »Midnight Special« schnell von seiner Faszination. Am Ende erweist sich der 70er-Jahre-Look vor allem in technischer Hinsicht als hoffnungslos veraltet.

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