Kritik zu Mein Ein, Mein Alles
Nach ihrem gefeierten Sozialdrama »Poliezei« präsentiert Regisseurin Maïwenn ein hochemotionales, für acht Césars nominiertes Beziehungsdrama, für das Emmanuelle Bercot bereits in Cannes 2015 mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurde
Scheiternde Liebesgeschichten sind in ihrer Vorhersehbarkeit oft öde. Und wenn ein Paar so unterschiedlich ist wie die unsichere Anwältin Tony und der extrovertierte Restaurantbesitzer Georgio, scheint das böse Ende vorprogrammiert. Doch Regisseurin Maïwenn verwandelt das Klischee von den Gegensätzen, die sich anziehen, in ein aufregendes Schauspiel.
Es beginnt mit einem Blick auf Tony, die im Skiurlaub im Begriff ist, eine sehr steile Abfahrt zu nehmen. In der Folge wird sie mit einer schweren Knieverletzung monatelang in eine Rehaklinik eingewiesen. Die Frage der Physiotherapeutin, die andeutet, dass Tonys Fall kein Zufall war, löst eine Flut von Erinnerungen an ihre zehnjährige Beziehung zu Georgio, dem Vater ihres Sohnes, aus. In der Gegenbewegung zu diesen Flashbacks lernt Tony allmählich wieder laufen. Und sie freundet sich mit jungen Mitpatienten an, deren Unbefangenheit sie die eigene Leichtigkeit des Seins wieder entdecken lässt.
Die psychoanalytisch grundierte Rahmenhandlung, in der physische Schmerzen von psychischen künden, scheint etwas billig. Maïwenn jedoch verleiht diesem Geflecht aus Vergangenheit und Gegenwart durch eine virtuose Komposition emotionaler Schnappschüsse eine nahezu musikalische, von Leitmotiven durchzogene Struktur. Wie in ihrem fiebrigen Sozialdrama »Poliezei« werden die Szenen angeschnitten, wird vor dem dramatischen Höhepunkt abgeblendet. Stattdessen machen die improvisierenden Darsteller in alltäglichen Momentaufnahmen den Liebesrausch und den baldigen Frust spürbar. Die spontan wirkenden, mit Handkamera gefilmten Schnappschüsse ziehen einen hautnah in die redseligen, aufgekratzten und letztlich verzweifelten Händel der beiden hinein. Zwar wirkt das sich wiederholende Muster von Hoffnung und Enttäuschung auf Dauer enervierend, aber so soll es ja auch sein.
Der auf wilde Typen abonnierte Vincent Cassel ist als Georgio ein aufgedrehter Charmeur, der Tony im Sturm erobert. Und kochen kann er auch noch. Beim Bügeln bittet er Tony, mit ihm ein Kind zu machen: Welche Frau könnte dieser Mischung aus Häuslichkeit und Sex widerstehen? Bald aber wird ihm die Verantwortung lästig. Er will Tony als sicheren Hafen und zugleich seine Freiheit behalten, mit eigener Wohnung und anderen Frauen. Tony aber will trotz der Warnungen ihres Bruders um ihre Beziehung kämpfen.
Ich liebe, also bin ich; ich liebe mehr, also bin ich umso lebendiger: Trotz oder wegen Tonys Blessuren plädiert der Film für die »amour fou« als Grenzerfahrung. Diese hat jedoch, anders als in den Zeiten von Emma Bovary, keine existenziellen Folgen. Denn wie in vielen französischen Liebesdramen ist die Heldin finanziell unabhängig und leistet sich ihren sexy Hallodri wie ein anstrengendes Hobby. »Mon roi« lautet, nach einem Chanson, der Originalfilmtitel, und es liegt allein in der Hand von Tony, ihren hinreißenden, unerträglichen Mann zu ihrem König zu krönen und ihm die Krone wieder abzunehmen.
Der Treppenwitz dieser Liebesgeschichte besteht denn auch darin, dass sie ihm genau dann endgültig den Laufpass gibt, als er die Antidepressiva und Aufputschmittel, die sein ruheloses »Carpe diem«-Dasein befeuerten, abgesetzt hat. In dem Moment, in dem er ernsthaft jene Solidität anstrebt, die sie von ihm stets vergeblich eingefordert hat, will sie ihn nicht mehr. Gerade für einen Liebesfilm aus Frauenperspektive ist es bestechend, wie umsichtig Maïwenn Larmoyanz und Schuldzuweisung vermeidet. Tony erscheint weniger als das Opfer Georgios, sondern eher als das ihrer Selbsttäuschung. Und ihr kalter Entzug vom Auf und Ab der Gefühle ist hart. Doch das Miteinander von lebenslustiger Verve und erwachsener Distanz, von reueloser Hingabe und zärtlicher Einsicht verleiht diesem Herzschmerzdrama auch eine anrührende Unbeschwertheit.
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