Amazon: »The Order«

englisch © Vertical Entertainment

Im negativen Sinne zeitlos

Zum amerikanischen Kinostart von Justin Kurzels »The Order« über die (realen) Umsturzpläne einer White-Power-Gruppe Mitte der 1980er Jahre betonte der Hauptdarsteller Jude Law in Interviews, dass das Drehbuch bereits vor dem Aufruhr in Washington am 6. Januar 2021 geschrieben wurde. Umso bemerkenswerter ist es, dass die im Film gezeigten Ereignisse so ähnlich auch heute noch vorstellbar sind. Zeitlos, im negativen Sinne.

Zum Kontext: Die christlich-fundamentalistische Neonazi-Bruderschaft »The Order« wurde im September 1983 von Robert Mathews gegründet und hatte ihr Zentrum auf einer Farm im Nordwesten der USA. Sie existierte nur 15 Monate lang, doch in dieser kurzen Zeit verübten die Mitglieder eine Reihe schwerer Raubüberfälle und Attentate, darunter die Ermordung des jüdischen Radiomoderators Alan Berg. Das größenwahnsinnige Ziel war eine Revolution gegen die US-Regierung, wobei das Buch »The Turner Diaries« als eine Art Leitfaden diente – ein berühmt-berüchtigtes White-Power-Pamphlet, das man auch bei manchen Aufrührern vom 6. Januar 2021 fand. So schließt sich ein Kreis.

Sehr gegenwärtiger Stoff also, allerdings können Kurzel und sein Autor Zach Baylin sich nicht recht entscheiden, ob sie daraus einen ernsthaften Politthriller oder ein mainstreamiges Cop-Movie machen wollen. Zum Vergleich: Oliver Stone nahm die Ermordung Alan Bergs zum Anlass für sein provokatives Politdrama »Talk Radio« (1988), während Costa-Gavras mit »Verraten« (ebenfalls 1988) daraus ein Drama um die Alltäglichkeit des amerikanischen »Heartland«- Extremismus entwickelte.

Kurzel und Baylin hingegen legen ihre Erzählung weniger als politische Milieustudie oder Chronologie einer Fanatisierung an, sondern in erster Linie als atmosphärischen Thriller. Das gelingt ihnen sehr gut, gleich die erste Szene, die einen kaltblütigen Mord zeigt, setzt den finsteren Grundton des Films. Die brutale Tat gab es wirklich, im Film dient sie vor allem als Einstiegspunkt für die fiktive Hauptfigur, einen FBI-Agenten namens Terry Husk (Jude Law), der sich nach aufreibenden Einsätzen gegen den KuKlux-Klan und die Cosa Nostra ins vermeintlich verschlafene Idaho versetzen lässt.

Dort wird er durch rassistische Flugblätter und einen Hinweis des jungen Kleinstadtpolizisten Jamie (Tye Sheridan) sehr schnell auf Mathews' Gruppierung aufmerksam. Im weiteren Verlauf verwebt der Film die realen historischen Eckpunkte mit Husks Versuchen, Mathews und seinen Anhängern das Handwerk zu legen.

Das ist spannend gemacht, mit wohltuend gedämpfter Ästhetik und durchweg hervorragender Besetzung – ein »ambitionierter« Thriller, wie es sie heute nicht mehr oft gibt. Insbesondere Jude Law findet als einsamer FBI-Agent eine großartige Rolle; mit Geheimratsecken und buschigem Schnurrbart sieht er wie ein verwitterter alter Löwe aus, mit schweren Gliedern, geleitet von seinem Instinkt. Leider zwingt das Drehbuch ihm ein paar unglaubwürdige Vorgehensweisen auf. Auch Nicholas Hoult ist als eine Art rassistischer John-Boy Walton sehr überzeugend, wenngleich die Figur etwas eindimensional als diabolischer Guru angelegt ist. Seine Anhänger wiederum sind ungewaschene Hinterwäldler – eindeutige Hassfiguren, wo gewöhnliche Typen wesentlich beunruhigender wären.

Dass Kurzel aus den Überfällen der Neonazis Actionszenen in Michael-Mann-Manier macht, ist als Genre-Freiheit durchaus willkommen. Aber dass er Husk und Mathews als Antagonisten wie einst Pacino und De Niro in »Heat« zu inszenieren versucht, macht angesichts der Neonazi-Thematik überhaupt keinen Sinn. Trotz solcher Irritationen funktioniert »The Order« als intensiver, thematisch relevanter Genrefilm sehr gut. Anhand eines historischen Falls erzählt er von sehr gegenwärtigen Problemen. Nur von den zugrunde liegenden Strukturen, dem gesellschaftlichen Nährboden, erzählt er leider nichts.

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