Berlinale: Wichtige Themen und ein Überraschungshit
Einen Bären hat Frédéric Hambalek schon bekommen. Weil der Tag der Filmpremiere gleichzeitig sein Geburtstag war, bekam er auf der Pressekonferenz einen kleinen Diamantbären geschenkt. Ob es für weitere, offizielle Preise reicht, wird sich noch zeigen. Aber allein die Teilnahme im Wettbewerb mit seinem Film »Was Marielle weiß« ist für Hambalek und das Filmteam schon ein Riesenerfolg.
Der Regisseur gehört zu den No-Names des Festivals. »Was Marielle weiß« ist erst sein zweiter Spielfilm, sein erster »Modell Olimpia« lief zwar auf Festivals, schaffte es aber nicht ins Kino. Auch »Was Marielle weiß« bekam zunächst kaum Aufmerksamkeit und musste trotz geringen Budgets hart um seine Finanzierung kämpfen. Doch die Münchner Produzenten Philipp Worm und Tobias Walker glaubten an den Film und wurden nun mit der Einladung in den Wettbewerb der Berlinale belohnt.
Der Film erzählt vom Mädchen Marielle (Laeni Geiseler), die plötzlich telepathische Fähigkeiten entwickelt und alles hört und sieht, was ihre Eltern Julia (Julia Jentsch) und Tobias (Felix Kramer) sagen und tun. Egal ob Autoritätsprobleme auf der Arbeit oder Flirts mit Kollegen, auf einmal ist alles offen und so manch unangenehme Wahrheit kommt ans Licht. In der Folge steigern sich Julia und Tobias in einen grotesken Wettkampf ums bessere Sozialverhalten hinein und machen damit alles nur noch schlimmer. »Was Marielle weiß« bewegt sich irgendwo zwischen Komödie und Drama, mit einem Hauch von Mystery. Gnadenlos legen die pointierten und wunderbar schwarzhumorigen Dialoge die Unfähigkeit der Eltern zu ehrlicher Kommunikation offen. Es könnte einer der großen Überraschungshits der Berlinale werden.
Nicht grotesk, sondern bitter realistisch ist »Mit der Faust in die Welt schlagen«, der am Sonntag seine Premiere im Rahmen der »Perspectives« feierte, ein Wettbewerb ausschließlich für Debütfilme. Constance Klaue adaptiert hier den gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, der von den Brüdern Philipp (12) und Tobias (9) handelt, die Anfang der 2000er in der ostdeutschen Provinz aufwachsen. Einfühlsam und frei von Klischees erzählt der Film von den Problemen der Region und zeigt, wie der Traum vom idyllischen Familienleben im eigenen Haus zerplatzt. Nichts funktioniert wie es soll, der Vater verliert seinen Job und tränkt seinen Frust in Alkohol, während die Mutter sich im Krankenhaus von einem Schichtdienst zum nächsten kämpft. Die Brüder hingegen werden allein gelassen und Philipp entwickelt mit der Zeit Anschluss an eine Gruppe Neonazis, den »starken« Jungs der Schule.
Dass die Mutter in »Mit der Faust in die Welt schlagen« als Pflegekraft im Krankenhaus arbeitet, schafft eine Parallele zum Film »Heldin«, der am Montag im Rahmen der Berlinale-Special-Galas Premiere hatte. Die deutsch-schweizerische Koproduktion folgt der von Leonie Benesch gespielten Pflegefachfrau Floria, die in der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses arbeitet, bei einer kräftezehrenden Nachtschicht. Wie der Film die Belastungen, den alltäglichen Stress und die Bedeutung dieser Arbeit zeigt, ist großes Kino mit wichtiger Botschaft. »Ich glaube, das Thema geht uns alle an, weil wir sind alle potenzielle Patientinnen«, erklärte Regisseurin Petra Volpe und verwies darauf, dass die Situation für Pflegekräfte immer schwieriger werde. Darauf machten bei der Premiere auch zahlreiche Pflegekräfte rund um Aktivistin und Buchautorin Franziska Böhler (selbst ebenfalls Pflegekraft) aufmerksam. Sie nutzten den roten Teppich für eine Protestaktion, bei der sie kritisierten, dass der drohende Pflegenotstand keine Rolle im Wahlkampf spielt. Die oft beschworene Kraft des Kinos für gesellschaftlichen Diskurs, hier war sie zumindest ein wenig spürbar.
»Heldin« läuft ab 27.2. deutschlandweit in den Kinos. Die Starts von »Was Marielle weiß« und »Mit der Faust in die Welt schlagen« sind für April angekündigt.
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