Kritik zu Café Waldluft
Szenen aus der Provinz: Matthias Koßmehl zeigt den Alltag in einer Asylunterkunft in den bayerischen Bergen
Die fesche Wirtin schiebt dem schwarzen Buben ein riesiges Stück Weißwurst mit Senf in den Mund. »Da, des kannst essen«, sagt sie und meint damit, dass in der Weißwurst kein Schweinefleisch enthalten ist. Ob die fette Wurst dem kleinen Muslim, der da ebenso beherzt wie vertrauensvoll zubeißt, wohl schmeckt? Wir erfahren’s nicht, weil er ja den Mund voll hat. Und Matthias Koßmehl schon zur nächsten erstaunlichen Begegnung des Fremden mit der Fremde übergeht.
»Café Waldluft« heißt das Porträt des gleichnamigen Ortes, es ist Koßmehls erste lange Dokumentation und untertitelt mit »Ein Heimatfilm«. Zur Bekräftigung walzen gleich zu Beginn Trachtenverein und Blaskapelle durchs dörfliche Idyll. Denn entgegen landläufigen Vorurteilen sieht es an vielen Stellen in Bayern tatsächlich so aus wie auf einer Postkarte. Blau-weißer Himmel, Sonnenschein, sattgrüne Wiesen und majestätische Bergpanoramen. Ein Flüchtling, der es nach Deutschland schafft, kann es in Sachen Unterbringung schlechter treffen. Wobei man es in Bayern dann natürlich mit den Ureinwohnern zu tun bekommt, notorischen »Mia san mia«-Verfechtern, die ihre Ruhe haben wollen und ihre Maß Bier; auch dieses Klischee ist wahr.
Ausgerechnet dort nun, mitten im geradezu paradiesischen Berchtesgadener Land (wo Hitler seinerzeit das »Führersperrgebiet Obersalzberg« einrichtete), wurde, Ironie der Geschichte, in einem ausgemusterten Ausflugshotel eine Asylbewerberunterkunft eingerichtet. Am Anfang, erzählt Flora Kurz, die fesche Wirtin, hätten die Einheimischen schon etwas irritiert geschaut. Und »schlimme Anrufe« habe es gegeben, so dass man überlegt habe, das Ganze doch wieder sein zu lassen.
Frau Kurz stammt aus Österreich, Bayern ist ihr über die Jahrzehnte zur zweiten Heimat geworden. Köchin Maria reiste kurz nach Mauerfall aus Ostdeutschland an, man hört es immer noch deutlich, und auch sie will nie wieder hier weg. Die übrigen Bewohner des Hauses kommen aus Afghanistan, Syrien, den Ländern Afrikas. Alle sind sie von der Landschaft begeistert. Deutschland sei ein so schönes Land, sagen sie. Aber die Familie fehlt ihnen, und sie haben Heimweh, und sie machen sich Sorgen.
Angesichts der zunehmenden Hysterie, mit der die Debatte über die nicht kleiner werdende Zahl von Flüchtlingen hierzulande inzwischen geführt wird, ist Matthias Koßmehls Film ein umso wichtigerer, da gänzlich unaufgeregter Beitrag. Er sucht nicht nach der Bitterkeit von Neid und Vorurteil, er gibt dem Fremdenhass der Stammtischrunden keinen Raum. Stattdessen richtet er den Blick auf die Bemühungen der Schutzsuchenden und HelferInnen um die Bewältigung ihres nicht immer leichten Alltags. Aus der anonym strömenden Masse, die »unlösbare Probleme« mit sich bringt und »unabsehbare Kosten« verursacht, greift er Einzelne heraus. Indem er ihnen zuhört, gibt er ihnen Geschichte und Würde zurück. Der Verwaltung abstrakter Nummern in Hallen und Hangars setzt er einen Ort mitmenschlicher Praxis entgegen, die früher mal tätige Nächstenliebe hieß. Und während die einen Angst vor der Reise haben, unternimmt »Café Waldluft« die ersten Schritte auf einem weiten Weg.
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