Kritik zu Emilia Pérez

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In seinem neuesten Film mixt Jacques Audiard eine Gangstergeschichte mit Musicalelementen. »Emilia Pérez« wurde in Cannes in diesem Jahr zweifach ausgezeichnet 

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Rita Moro Castro (Zoë Saldaña) ist als Anwältin ein Ass, aber in der falschen Kanzlei. Zu deren Klienten gehören Schwerverbrecher und die grauen Eminenzen der Drogenclans Mexikos. Da wird der Auftragsmord an der Ehefrau schon mal als Suizid abgehakt. Schlecht bezahlt von ihrem korrumpierbaren Chef wird Rita für die dreckige Arbeit obendrein. Auch Narco-Boss Manitas del Monte ist ihr Talent, Kriminelle vor gerechter Strafe zu bewahren, nicht entgangen, und so will er es für sich nutzen. Kurzerhand lässt er sie von seinen Schlägern auf offener Straße entführen und mit verbundenen Augen ins Hauptquartier verschleppen. Dort offenbart er ihr, dass er nicht nur seinen Ausstieg aus dem Verbrechermilieu plant, sondern auch aus der Männerwelt. Tief im Innersten sei er schon immer eine Frau gewesen, und nun sei er im Prozess der Geschlechtsangleichung zu seinem wahren Ich. Dazu will er Rita anheuern, damit sie in seinem Auftrag, mit vollem Zugriff auf sein Vermögen und ohne seine Identität zu verraten, die nächsten Schritte überwacht. Sie soll seine Ermordung vortäuschen, die Operation organisieren und seine Frau Jessi (Selena Gomez) und die Kinder in der Schweiz in luxuriöse Sicherheit bringen. Die Offerte ist so ruppig wie lukrativ, und trotz moralischer Bedenken sieht Rita darin schnell auch eine Chance zum Neubeginn für sich selbst. 

In seinem ersten spanischsprachigen Film erzählt der französische Regisseur Jacques Audiard (»Ein Prophet«) vom Drogenbandenkrieg in Mexiko in Form einer mitreißenden Mischung aus Sozialdrama, Musical und Telenovela, mit einer faszinierenden Transfigur im Mittelpunkt, die ihre gewalttätige Vergangenheit als Gangster hinter sich lassen will. Was irre klingt, funktioniert überraschend gut. Auch weil Audiard mit den vom französischen Popstar Camille und ihrem Partner Clément Ducol komponierten Songs und den Choreographien weit mehr anzufangen weiß als etwa die aktuelle »Joker«-Neuauflage mit den Musicaleinlagen von Lady Gaga und Joaquin Phoenix. Das Artifizielle kaschiert Audiard nicht – er stellt es geradezu aus. Sein Film war als Oper geplant und wurde im Studio in Paris gedreht. Es sind es vor allem die organisch eingebetteten Musiknummern, mal Sprechgesang, mal chansonartige Balladen, die höchst eklektisch doch immer wieder genau den richtigen Ton treffen. Bei aller Freude an energischem Pulp nimmt der Film das Milieu und die persönlichen wie gesellschaftspolitischen Themen ernst, die er verhandelt.

Im Zentrum steht dabei die Frage, inwieweit Menschen sich wirklich verändern können und Wiedergutmachung möglich ist. Lassen sich mit dem alten Leben auch schlechte Wesenszüge einfach so abstreifen? Gleich mehrere weibliche Selbstermächtigungen sind es, die hier ineinandergreifen: Die Transformation von Manitas zu Emilia überwindet nicht nur Geschlechtergrenzen, sondern wandelt auch einen skrupellosen Verbrecher zur philanthropisch engagierten Frau, die sich für Opfer der Kartellkriminalität und die Familien Hunderter »Verschwundener« einsetzt. Was sie dagegen nicht überwinden kann, ist die Trennung von ihren Kindern, und so nimmt sie erneut Kontakt zu Rita auf, um ihre Familie nach Mexiko zurückzuholen. Dabei gibt sich Emilia als bislang unbekannte Cousine Manitas' aus, die sich nun liebevoll um die Verwandtschaft kümmern will. Bei allem Wandel und aller Reue für vergangenes Unrecht ist auch Emilia alles andere als selbstlos. Parallel dazu sind Rita und Jessi ebenfalls auf je eigene Weise dabei, sich neu zu definieren und einen Platz in einer Welt aus Chaos und Gewalt zu finden. 

In Cannes ausgezeichnet mit dem Jury­preis und dem Schauspielpreis für das bilinguale ­Ensemble (bestehend aus der spanischen Trans-Schauspielerin Karla Sofía Gascón, die Emilia und Manitas verkörpert, Zoë Saldaña, Adriana Paz und Selena Gomez), geht Emilia Pérez nun für Frankreich ins Oscarrennen. Auch wenn in Audiards wildem Ritt nicht alles aufgeht, könnte der Film in weiteren Kategorien nominiert werden. Vor allem Gascóns hinreißender Doppelauftritt ist preiswürdig.

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