Kritik zu The Beast

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Man kann in Bertrand Bonellos höchst eigenwilligem Science-Fiction-Film wie in einem Labyrinth herumirren, so kühn verschachtelt er Zeit- und Bewusstseinsebenen, so viele Rätsel gibt er auf – und erzählt doch von elementaren menschlichen Erfahrungen. Ein visionärer Film mit hypnotischer Wirkung

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Schon die erste Szene stößt vor den Kopf: Ist sie ein Blick in die Werkstatt des Filmemachers, ein Mini-Making-of vor Filmbeginn, oder befinden wir uns schon innerhalb der Geschichte, die er erzählt? Vor einem Greenscreen steht da Léa Seydoux und erhält aus dem Off Regieanweisungen. Es geht um ein Messer, das sie ergreifen soll, um sich gegen eine Bedrohung zu verteidigen – eine Bestie, die noch unsichtbar ist, doch unweigerlich angreifen wird . . . »The Beast« ist reich an solchen Irritationen, und vor allem zu Beginn ringt man als Betrachter um Orientierung im Wechsel verschiedener Zeiten und einer Vielzahl von Motiven, deren Bedeutung lange rätselhaft bleibt. 

Léa Seydoux ist die wichtigste Konstante und mit ihrer Präsenz das Gravitationszentrum in diesem eigenwillig mäandernden Strom. Dank ihres geerdeten Spiels entwickelt die sperrige Konstruktion einen erstaunlichen emotionalen Sog. Seydoux ist Gabrielle, die wir in drei verschiedenen, sagen wir: »Inkarnationen« erleben. 1910 ist sie eine Konzertpianistin in Paris, die sich, obwohl sie verheiratet ist, in einen jungen Mann verliebt – die zweite Konstante: George MacKay (»Peter Pan«, »1917«). Bereits Jahre zuvor hatte sie ihm ihr Geheimnis anvertraut: die Angst, etwas Gewaltiges, Schreckliches werde ihr zustoßen. Sie wisse nicht, wann oder was oder wie, sie wisse jedoch, dass es geschehen müsse und danach nichts mehr so sein könne wie zuvor. 

Die mittlere und düsterste Handlungsebene spielt in jüngerer Vergangenheit: Im Jahr 2014 steht Gabrielle am Anfang einer Laufbahn als Model und versucht in Los Angeles, Fuß zu fassen. Auch dort lernt sie einen jungen Mann kennen, doch unter anderen Vorzeichen: Louis Lewanski ist ein Videoblogger und ein schräger Fall von »Incel«. Er leidet darunter, noch nie eine Freundin gehabt zu haben, und ist überzeugt, dass alle Frauen ihn verachten – weshalb er alle Frauen verachtet.

Im Jahr 2044 stellen solche wie auch alle anderen Gefühle bereits Relikte der chaotischen menschlichen Vergangenheit dar. Künstliche Intelligenz beherrscht das Arbeitsleben, kalte, klare Ratio ist das gesellschaftliche Ideal. Menschen unterziehen sich einer »DNA-Reinigung«, lassen ihre negativen Gefühle und Spuren von Traumata entfernen, damit sie reibungsloser funktionieren und produktiver arbeiten in ihrer schönen neuen Welt.

Auf eine solche – selbstverständlich ganz harmlose! – Operation lässt sich auch Gabrielle ein, widerstrebend, da sie befürchtet, danach überhaupt nichts mehr zu empfinden. Doch es ist ihre einzige Chance, zu einem interessanteren Job zu wechseln. Erst nach und nach erschließt sich, dass die Szenen aus den Jahren 1910 und 2014 die innere Reise der Gabrielle von 2044 in ihre früheren Leben während des Prozesses der DNA-Reinigung zeigen.

Inspiriert wurde Bonellos Film von Henry James' Kurzgeschichte »The Beast in the Jungle«, die bereits mehrfach verfilmt wurde, zuletzt etwa von Patric Chiha mit Anaïs Demoustier und Tom Mercier (2023). Bonello übernimmt die faszinierende Grundidee – jene selbst unbestimmte, doch alles bestimmende Erwartung der »Bestie« –, um sich dann ganz von der Vorlage zu lösen und seine eigene vielschichtige Auseinandersetzung mit der Macht der Angst wie auch der Liebe zu gestalten und den Betrachter auf eine Reise mitzunehmen, wie sie nur das Kino bieten kann. 

Dabei verfährt er ebenso ästhetisch wie inhaltlich konsequent. Seine Zukunft hat beispielsweise visuell kaum etwas »Futuristisches«, das Paris von 2044 ist seltsam öde und leer, Menschen tragen Masken, hier und da streift ein Reh oder ein Wolf durch die Straßen. Etwas Traumhaftes, wie es diese Momente haben, durchwebt »The Beast« von Anfang an. Alles scheint möglich, die Mise-en-scène jedes einzelnen Bildes ist zugleich reduziert und konzentriert und verweist doch durch einzelne Motive wieder auf andere Szenen, eine andere Epoche, so dass mehr und mehr alles miteinander verwoben scheint. Eine Taube, die sich in die Wohnung verirrt hat, wird zum wiederkehrenden Omen; eine Wahrsagerin taucht in verschiedener Gestalt auf; Puppen, sowohl als lebloses klassisches Spielzeug wie auch als humanoider Roboter, der Gabrielle in der Zukunft wie ein Kindermädchen zur Seite gestellt wird, wirken ebenfalls numinos. Und Feuer und Wasser, beispielsweise im unvergesslichen Bild eines überschwemmten Paris, spiegeln – möglicherweise – die Extreme der menschlichen Gefühle. Einzelne Querverweise mögen zwar etwas Selbstzweckhaftes haben, lediglich der Verdichtung dienen – ihren Effekt verfehlen sie aber nicht. »The Beast« ist ein hypnotisches Werk, dessen Bilder lange nachwirken.

Je weiter die Geschichte fortschreitet, desto düsterer und alptraumhafter erscheint sie allerdings. Insbesondere im Handlungsstrang von 2014 breitet sich eine an David Lynch erinnernde Atmosphäre aus. Die Einsamkeit Gabrielles im sonnigen Los Angeles, das große Haus mit Garten, das sie dort für die abwesenden reichen Besitzer hütet, und die ständige Präsenz von Louis, der von ihr besessen scheint, entwickeln eine unerwartete Thrillerspannung.

Die Dystopie von »The Beast« bleibt in manchen Aspekten rätselhaft, in anderen ambivalent. Auch wenn das gefühlsbejahende Fazit, Angst und Schmerz seien eben der Preis für die Intensität des Lebens und der Liebe und ihre Abschaffung daher keine gute Idee, leicht zu ziehen scheint: Die Bestien, die da irgendwo im Dschungel auf uns lauern mögen, verlieren dadurch nichts von ihrem Schrecken. Bonellos großartiger Film erzählt von diesem unauflösbaren Widerspruch.

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