03/2009

In diesem Heft

Thema

Der den Schnee liebt... Ein Porträt des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan

Filmkritik

Clint Eastwoods Antirassismus-Dramödie ist über weite Strecken eine humorvolle Läuterungsgeschichte mit einem herrlich grantigen Hauptdarsteller. Doch seine überladene Konstruktion verwandelt den Film in eine unpassend pathetische – und ideologisch fragwürdige – Angelegenheit
Eine faszinierende Geschichte nach wahren Ereignissen, ein starkes Ensemble und ethische Fragen, die nicht leichtfertig beantwortet werden – Edward Zwicks »Defiance« über eine jüdische Kolonie, die in den weißrussischen Wäldern die deutsche Okkupation überlebt, bleibt leider trotz aller Qualitäten zu stark den Konventionen verhaftet und kann nur in einzelnen Elementen überzeugen
Rick Kavanian, der Mitstreiter von »Bully« Herbig aus »Der Schuh Des Manitu«, spielt den Profikiller Toni Ricardelli, der sich für einen Bestsellerautor und ehemaligen Mafiaboss ausgibt, um die Liebe einer jungen Verlagsangestellten zu gewinnen. Formal orientiert sich »Mord ist mein Geschäft, Liebling« an der Ästhetik amerikanischer Beziehungskomödien der sechziger Jahre. Doch der charmante Witz der Vorlagen wird mit allzu plattem Klamauk torpediert
Hildegard Knefs Biografie in einem atemlosen Episodenreigen von den frühen Kriegserlebnissen bis zum Ruhm einer selbst erschaffenen Chanson-Ikone. Heike Makatsch singt tapfer, aber ohne rauchiges Timbre. Mit großen Gesten kämpft sie gegen wenig ausgefeilte Dialoge und ein überladenes Drehbuch an, das die wechselvolle Karriere der Knef als plakative Aufstiegs- und Emanzipationsgeschichte nacherzählt
Türkische Filme neigen zu einer Form von Melodramatik, die uns lächerlich erscheint. Das wird sich ändern, wenn man »Drei Affen« sieht, Nuri Bilge Ceylans ebenso realistisch wie alptraumhaft wirkendes Porträt einer Gesellschaft, in der das übertriebene Gefühl die unterdrückte Wahrheit vergessen macht
Der Film von Amin Matalqa ist ein rührendes Stück über die Befreiungssiege der Vorstellungskraft. Und manchmal ahnt man, dass er auch mehr sein könnte: eine Auseinandersetzung mit der Organisation des Geschlechterlebens in Jordanien, mit Patriarchentum und einer sich zusehends emanzipierenden Jugend. Aber nur manchmal
Ein aufsehenerregender Mordfall aus dem Jahr 1922, und der Versuch, ihn als aktuellen Mystery-Thriller zu erzählen. Zu viel Vernebelungs-Mystery, zu wenig Thrill. Ein eindrucksvoller Benno Fürmann kann die von Esther Gronenborn mit allerlei visuellen Effekten ausgestattete, aber substanzlose Story in »Hinter Kaifeck« nicht retten
Der Slumbewohner und einfache »Chai-Wallah« eines Mumbaier Callcenters, Jamal Malik, muss nur noch eine Frage richtig beantworten, dann hat er die Million gewonnen. Nun soll er erklären, wie er so weit kommen konnte. Danny Boyle erzählt in »Slumdog Millionär« die von Missbrauch und Gewalt geprägte Lebensgeschichte als energiegeladenes Stationendrama
Der hierzulande weniger bekannten Herzogin von Devonshire wird mit dem Film zwar ein Denkmal gesetzt, genauere historische Zusammenhänge treten jedoch hinter den Tändeleien der höfischen Gesellschaft zurück. Keira Knightley ist der etwas puppenhafte, dennoch strahlende Mittelpunkt des Films, verblasst aber neben dem nuancenreichen Auftritt von Ralph Fiennes. Als Ausstattungsfilm fraglos opulent und überzeugend
Die 3-D-Verfilmung von Jules Vernes Klassiker »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« leidet wie die meisten neueren 3-D-Filme an ihrem Mangel an Orginalität. Regisseur Eric Brevig kommt aus der Spezialeffekt-Ecke, was ihn eigentlich für einen solchen Film prädestinieren würde. Was die 3-D-Animationen angeht, hat Brevig auch alles richtig gemacht. Für alle anderen Spezialeffekte scheint das Geld aber nicht gereicht zu haben – von einem vernünftigen Drehbuch ganz zu schweigen. Und Brendan Fraser bewegt sich wie schon in den »Mummy«-Filmen hölzern vor den digitalen Kulissen. Es sind Filme wie dieser, die die großspurigen Verlockungen des digitalen Kinos wie ein schales Versprechen erscheinen lassen
Auch wenn Ruhe und Gelassenheit in das Kino der reise- und entdeckungsfreudigsten unter den französischen Regisseurinnen eingekehrt sind, hat es nichts von seiner suggestiven Sinnlichkeit eingebüßt. Sensibel erzählt sie in ihrem neuen Film »35 Rum« eine Familiengeschichte um Verharren und Ablösung
Nach dem Vorbild von US-Thrillern der siebziger Jahre, mit einem an Hitchcock geschulten Gespür für den Mix aus großem Spektakel und individueller Obsession, formt Tom Tykwer einen Politthriller, in dem ein einsamer Kämpfer für Gerechtigkeit – der großartige Clive Owen als Interpol-Agent – gegen eine übermächtige, weltweit agierende böse Bank in den Ring steigt: »The International«
Steve Martin scheitert ein zweites Mal beim Versuch, in die Fußstapfen von Peter Sellers zu treten. Aber Scheitern gehört nun mal zu den bewährten Komik-Rezepten, weshalb hier nach wie vor alle, die sich für ein bisschen Schadenfreude nicht zu schade sind, dann doch auf ihre Kosten kommen: »Der Rosarote Panther 2«
Ein junger Mann, auf der Suche nach seiner Kindheit und seinen Eltern, kehrt in ein kleines Dorf in Sachsen zurück: eine Welle von Fremdheit schlägt ihm entgegen. Etwas überambitioniertes und überkonstruiertes Debüt, das zu viel in einen Film zu packen versucht
Ein Fünf-Sterne-Ferienresort in Nordhessen? Klaus Sterns Dokumentation »Henners Traum« begleitet Bürgermeister Henner Sattler durch die Aufs und Abs des Projekts
Niels Laupert vertraut bei seiner wahren Geschichte von einem sinnlosen Mord, den zwei pubertierende Jugendliche begehen, auf einen Realismus der Handlung, der alle Fragen offen lässt: »Sieben Tage Sonntag«
Ein kongolesischer »Buena Vista Social Club«: Der wunderbare Dokumentarfilm von Jacques Sarasin feiert die Musik als Lebenselexier, in einem Land, das keinen Weg aus den Grauen des Bürgerkrieges findet
Leonard Abrahamson inszenierte eine stille Tragödie über einen nuanciert gezeichneten Außenseiter, die von der großartigen Darstellung des Iren Pat Shortt geprägt wird: »Garage«
In einem Krankenhaus erfindet ein lebensmüder Stuntman für ein kleines Mädchen ein Märchen, das beider Leben verändert. Ohne die üblichen »Fantasy«-Effekte kreiert Tarsem Singh mit »The Fall« einen zauberhaften Bilderrausch, der sich gängigen Stilen und kommerziellen Gesichtspunkten weitgehend entzieht
Frau sucht Arbeit, Bauer sucht Frau, Flüchtling sucht Aufenthaltsgenehmigung, Freund sucht Zuhause: Tamara Staudt erzählt bittersüß und leider etwas unentschieden von der Liebe in Zeiten der Arbeitsmigration: »Nur ein Sommer«
Guy Ritchie kommt vom Gangstergenre nicht los. »RocknRolla« ist kraftvoll, vital und selbstbewusst. Der Titel ist ästhetisches Programm
Ein Initiationsfilm als Roadmovie: Pascal-Alex Vincents Film über Zwillingsbrüder, die auf ihrer Reise vor allem sexuelle Erfahrungen sammeln, weiß in einzelnen Szenen durch sensible Personenstudien zu gefallen, ermüdet aber auf die Dauer wegen seiner schematischen und statuarischen Machart: »Reich mir deine Hand«
Eine Tragikomödie über einen kleinen Mann und seinen großen Traum, die in der CSSR vor 1989 spielt. Ein skurriles Ensemble um einen Romantiker, der mit seinem Saxofon gegen die Eintönigkeit anspielt, erobert sich trotz staatlicher Sanktionen individuelle Freiheiten. Wirkt wegen stereotyper erotischer Verwicklungen aus heutiger Perspektive anachronistisch
Material- und faktenreich rekonstruiert die originell gestaltete, informative Dokumentation über die Postpunk-Band »Joy Division« ein Stück Musikgeschichte
Willi hat die Chance vertan, eine packende Dokumentation über die Wunder dieser Welt zu schaffen. Stattdessen bietet er altbekannte TV-Ästhetik, die die Kinder in ihrem Anspruch nach wahrheitsgetreuen Bildern nicht ernst nimmt, sondern so tut, als wäre der Mensch im Eisbärenkostüm interessanter als der echte Eisbär, den man durch diesen Trick zu beobachten hofft
Die mittlerweile fünfte Verfilmung von Theodor Fontanes »Effi Briest« tritt gegenüber ihren Vorgängern mit einer halbherzigen Modernisierung der Effi-Figur auf, die mit den »Hilfskonstruktionen« Fontanes nichts mehr zu tun haben will, sondern sich für ein selbstbestimmtes Leben (gegen Entsagung und Hinsiechen im Roman) entscheidet. Überzeugen kann diese willkürliche Wandlung nicht, weil ihr das Stützkorsett einer plausiblen Filmerzählung und die notwendige Charaktertiefe der dazugehörigen Filmpartner fehlen

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