Kritik zu Joy Division
Nach Anton Corbijns Spielfilm über das Martyrium des Sängers Ian Curtis beleuchtet die Dokumentation von Grant Gee und Jon Savage nun die musikalischen Hintergründe der Post-Punk-Band Joy Division, die Popgeschichte schrieb
Durch seinen Selbstmord verhalf der Sänger Ian Curtis der Post-Punk-Band Joy Division zu Kultstatus. In seinem geschmackvoll fotografierten und in der Hauptrolle von Sam Riley eindrucksvoll gespielten Film »Control« setzte der Fotograf Anton Corbijn dem depressiven Epileptiker ein filmisches Denkmal. Was unter anderem dazu führte, dass knapp dreißig Jahre nach seinem Tod Curtis' Grabstein mit der Liedzeile »Love will tear us apart« gestohlen wurde.
Zwischen dem Biopic und dem ebenfalls 2007 entstandenen Dokumentarfilm »Joy Division« von Grant Gee und Jon Savage gibt es Überschneidungen. Auch die Doku zieht einen chronologischen Bogen vom Initialerlebnis der jungen Musiker während des Sex-Pistols-Konzerts von 1976 bis zum Suizid ihres Sängers im Mai 1980. Doch dieses Stück Musikgeschichte wird aus der Sicht der drei gut gealterten Joy-Division-Musiker aufgerollt, die nach Curtis' Tod unter dem Namen »New Order« bis in der neunziger Jahre hinein stilbildend wirkten. Daneben kommen Tontechniker, Cover- Designer und Curtis' Freundin Annik Honoré zu Wort. Zusammen mit selten gesehenen Fernsehaufnahmen, Konzertmitschnitten und aufschlussreichen Bilddokumenten rekonstruiert die kurzweilige Doku eine vielschichtige Historie der Band.
Der Film versucht lesbar zu machen, wie Joy Division als erste Band die ungebremste Energie des Punks in eine komplexere Ausdrucksform übersetzte. Der charakteristische Sound, so eine These, sei eine Form von »Ambient Music«, die den Schmutz und die Hässlichkeit Manchesters, Wiege der industriellen Revolution, in einen gefühlten Orbit katapultiert habe. Aus den unaufgeregten Erzählungen der Musiker selbst, in deren Gesichtern das Leben Spuren hinterließ, klingt das prosaischer: Bei ihren beiden Plattenaufnahmen gerieten die unbeleckten Punkrocker an einen genialen, 1992 gestorbenen Tontechniker. Martin Hannett mischte die für sich genommen konventionelle Musik so auf, dass sie zum akustischen Inbegriff des New-Wave-Empfindens wurde. Diesen kühl-hermetischen Sound, der schon zu Lebzeiten des Sängers wie eine Liveübertragung aus dem Jenseits klang, erzeugte Hannett mit einem digitalen Hallgerät, das erst wenige Wochen auf dem Markt war. So schrieb das Debütalbum Popgeschichte, aber die Band erkannte ihre eigene Musik nicht wieder: »Wir mochten ›Unknown Pleasures‹ nicht«, erklärt Bassist Peter Hook, »ich mag die Platte bis heute noch nicht.«
Diese amüsante Fußnote zum Wechselspiel zwischen Kreativität und Kulturindustrie ist eine der vielen überraschenden Pointen der sehenswerten Dokumentation, die mit der Kultband auf eine entspannte Art abschließt. Nach dem Spielfilm »Control« war das Auflegen einer alten Joy-Division-Platte noch wie eine weitere Andacht. Nach dieser analytischen Doku ist das anders. Irgendwie ist der Geist Ian Curtis' zur Ruhe eingegangen. Vielleicht bringt der Dieb auch dessen Grabstein wieder zurück.
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