Kritik zu The Fall

© Capelight Pictures

Im geschützten Raum eines Krankenhauses in Los Angeles freunden sich im Jahre 1915 zwei höchst unterschiedliche Patienten an. Nach »The Cell« öffnet Regisseur Tarsem Singh ein zweites Mal seine Wundertüte

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Ungestört wichtelt die neunjährige Alexandria durch das Hospital, das mit seinen limonengrünen Wänden, liebevollen Schwestern und den Palmen vor der Schwelle geradezu heimelig wirkt. Das Kind, das nur bruchstückhaft Englisch kann und einen Arm eingegipst hat, entdeckt auf seinen Expeditionen aufregende Sachen. Stuntman Roy dagegen hat beide Beine gebrochen, doch noch mehr leidet er an gebrochenem Herzen. Alexandria, die den Lebensmüden zu ihrem großen Freund kürt, bringt ihn dazu, ihr in täglichen Fortsetzungen eine Märchengeschichte zu erzählen. Insgeheim aber will Roy sie dazu verleiten, für ihn Morphium zu stehlen. Doch natürlich beeinflussen sich Sender und Empfängerin des Märchens wechselseitig.

Regisseur Tarsem Singh spaltete bereits mit seinem ersten Film »The Cell« (2000), in dem eine Psychologin in das Unbewusste eines Serienkillers eintaucht, die Gemüter. Ganz so psychedelisch kommt die Verquickung zwischen realer und imaginärer Ebene nun nicht mehr daher, denn Singh schildert sie aus der Perspektive des Kindes. Innerhalb der eher banalen Rahmenhandlung samt vorhersehbarem Ausgang beschwört er auf nostalgisch anmutende Weise die Macht der Fantasie, die gewohnte computeranimierte »Fantasy« meist weiträumig umgehend. So sind die Märchenschauplätze, die von Wüsten, über indische Paläste zu europäischen Burgen und Escher-Architektur reichen, exotischer und zugleich realer als in allen »Bond«- und »Indiana Jones«-Spektakeln zusammen. Singhs »Alice«, mit unübertrefflich niedlicher Dracula-Zahnlücke von der Rumänin Catinca Untaru verkörpert, träumt sich mit Hilfe des »Kaninchen«-Reiseleiters Roy in ein Wunderland, das sich zunehmend verfinstert. Fünf Männer, so fabuliert Roy, wollen den bösen Gouverneur Odious töten; Alexandria besetzt alle Rollen ihres inneren Theaters mit Menschen, die sie kennt, und übersetzt die Vorgaben des erwachsenen Erzählers in ihren Erfahrungshorizont. Zugleich justiert Roy sein Märchen fortwährend nach Alexandrias Erinnerungen und Happy-End-Wünschen. Diese Machart erinnert weniger an ein Puzzle als ein Kaleidoskop, dessen Splitter sich zu immer neuen Mustern zusammensetzen. Der Schatten eines Pferdekopfes, die flackernden nächtlichen Kerosinbrände auf den Feldern, der Bleihelm von Röntgenärzten: Alexandrias Sinneseindrücke werden zu Morsezeichen im Ozean ihrer Fantasie.

Man muss weder Freud noch die Theorien des »Post-Pop-Cinemas« kennen, um sich hineinziehen zu lassen in diese Metamorphosen. Mit buchstäblich traumwandlerischer Sicherheit setzt Singh seine Fata Morgana ins Bild, mit Landschaftspanoramen im Stil alter Postkarten, Puppentheater und Stummfilm-Sequenzen. Gedreht wurde das entspannte Werk, das sichtlich keinen kommerziellen Erwägungen geschuldet ist, während mehrerer Jahre, in denen Singh als Werbefilmer um den Globus reiste. Es verwundert nicht, dass diese L'art-pour-l'art-Spinnerei von den ehemaligen Werbefilmern David Fincher und Spike Jonze mitproduziert wurde.

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