Kritik zu Crimes of the Future

deutsch © Weltkino

Man dachte, David Cronenberg hätte sich vom Body Horror ­verabschiedet. Doch in seinem neuen Film um eine Freakshow mit Live-OPs kehrt der kanadische Regisseur zu seiner ­Stammsparte zurück

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»Body Horror gibt es nicht«, verkündete der kanadische Regisseur David Cronenberg kürzlich in einem Interview zur Verwunderung seiner Fans. Dabei gelten seine Filme »Die Fliege« oder die brillante Virtual-Reality-Parodie »eXistenZ« als Klassiker und Grundtexte eben jedes Subgenres, das sich mit der extremen Transformation menschlicher Körper beschäftigt. In den letzten zwanzig Jahren hat sich Cronenberg jedoch zunehmend von dieser Sparte losgesagt und sich im Gangsterfilm (»A History of Violence«), Historiendrama (»Eine dunkle Begierde«) und der Hollywood-Persiflage (»Maps to the Stars«) probiert  – nicht immer zur Freude seiner früheren ­Bewunderer. Sein neuer Film »Crimes of the Future« wirkt darum in doppelter Hinsicht wie eine Rückkehr zu den Wurzeln und wie ein Nachgeben des Regisseurs angesichts der Erwartungen an sein Schaffen – auch wenn Cronenberg sich weiterhin der Kategorisierung seines Werks verweigert. So enthält »Crimes of the Future« so ziemlich alle von Cronenbergs traditionellen Markenzeichen: eine düstere Zukunftsvision, einen klinischen Fokus auf die drastischen Verwandlungen menschlicher Körper und eine Faszination für abseitige Erotik. 

Der Film spielt in einer Zukunft, in der die Menschheit Schmerz und Krankheit durch technischen Fortschritt größtenteils überwunden hat. Operationen und andere Eingriffe werden von komplexen Maschinen vorgenommen. Von Beginn an aber macht Cronenberg keinerlei Anstalten, uns die etablierten Seiten dieser Entwicklungen zu präsentieren, sondern stürzt uns in die Abgründe und düsteren Randbezirke dieser Welt. Der Film porträtiert verschiedene Angehörige einer illegalen Subkultur, die sich der kunst- und lustvollen Verstümmelung und Modifikation ihrer Körper widmen. Im Mittelpunkt steht das Künstlerpaar Saul (Viggo Mortensen) und Caprice (Léa Seydoux), die mit ihrer grausigen Show, einer voll automatisierten Live-Operation, zu Stars der Szene geworden sind. Diese basiert auf einer kuriosen Eigenart von Sauls Körper: Immer wieder wachsen neuartige Organe in ihm heran, die von Caprice bei ihren Auftritten entfernt und dann vom Publikum bestaunt werden. Eines Tages tritt ein mysteriöser Bewunderer an Saul heran und unterbreitet ihm einen skandalösen Vorschlag für eine neue Show. Doch hinter dem Fremden scheint eine Geheimgesellschaft zu stecken, die Saul in ihre finsteren Pläne einzuspannen sucht . . .

Die Anknüpfungspunkte an Cronenbergs Klassiker werden hier bereits offenbar. Wie in »Videodrome«, »Crash« und anderen Filmen könnte man den Zugang zum Science-Fiction-Genre in »Crimes of the Future« als ein Weiterdenken der Veränderung des menschlichen Körpers und seiner Wahrnehmung im Spät- und Überwachungskapitalismus verstehen. Der wachsende Zugang zu plastischer Chirurgie, das zunehmende Verschmelzen von Technologie und Organismus sowie der Fakt, dass Mikroplastikpartikel durch unser aller Blutbahnen schwimmen – diese gesellschaftlichen und ökologischen Phänomene schwingen mal mehr, mal weniger explizit im Subtext von »Crimes of the Future« mit. Wie üblich ist der Regisseur aber nicht daran interessiert, diese Entwicklung geradeheraus anzuprangern. Sein Interesse gilt der menschlichen Fähigkeit der Anpassung und, möglicherweise, der Evolution. Wenn die Welt zu giftig wird, so argumentiert der Film nicht ohne Augenzwinkern, brauchen wir eben neue Organe, um das Gift zu Nahrung zu machen.

Ganz so prägnant wie früher gelingt Cronenberg die Inszenierung dieser Ideen nicht mehr. Das mag zum einen an dem relativ bescheidenen Budget liegen, muten die in Griechenland gedrehten Außenszenen doch teilweise visuell etwas flach an. Zum anderen verlässt sich der Filmemacher in seiner Erzählstruktur zu oft auf ausufernde, statisch gefilmte Dialogszenen. Stellenweise erinnert diese Sci-Fi-Parabel daher eher an ein experimentelles Theaterstück als an die visuell beeindruckenden Set Pieces aus »Videodrome« und co. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Handlung deutlich weniger ausgereift ist als die überzeugende Filmwelt und die exzentrischen Figuren. Eine Nebenhandlung um eine Polizeiermittlung wirkt beispielweise wie unnötiger Ballast. 

Glücklicherweise aber wird all das meisterhaft untermalt von einem futuristisch-wummernden Techno-Soundtrack des Komponisten Howard Shore, mit dem der Regisseur bereits seit den siebziger Jahren zusammenarbeitet. Die kalten elektronischen Klänge erzeugen eine kohärente Stimmung, die den Bildern teils abgeht. Außerdem werden die Schwächen des Drehbuchs von einem hervorragenden Cast ausgeglichen: Vor allem Kristen Stewart begeistert als gehemmte Bürokratin, die sich nach und nach dem Rausch der blutigen Shows ergibt. Stewarts schauspielerisches Markenzeichen, eine Art nervöse Apathie, passt perfekt in das unterkühlte Cronenberg'sche Universum. Mit Viggo Mortensen – Cronenbergs Muse seit »A History of Violence« – hat der Regisseur erneut einen wunderbaren Hauptdarsteller, der seiner bizarren Rolle eine glaubwürdige Erdung verleiht. Mortensen spielt Saul zugleich gebrechlich und bedrohlich, als respekteinflößenden Sonderling mit Reibeisenstimme. So gelingt Cronenberg nicht zuletzt dank zuverlässiger Mitstreiter ein beeindruckendes Body-Horror-Update, das seinen Status als visionärer Chronist des fortschreitenden Wahnsinns erneut belegt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Beeindruckende Bildwildnis, aber dafür hirnzersetzende Textlawinen. Setzt dem Ganzen nicht die Crone auf.

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