Kritik zu Die Hand Gottes
Nein, das ist kein Maradona-Biopic. Es handelt sich um einen autobiografischen Film des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino (»La Grande Bellezza«, »Der junge Papst«), der in die achtziger Jahre zurückführt. Eine Entdeckung ist Filippo Scotti in der Rolle eines Jugendlichen auf Sinnsuche
Es beginnt mit einer Motorbootfahrt über das Meer bei Neapel. Hier wächst Fabietto Schisa (Filippo Scotti) auf, inmitten seiner schillernden, lauten Großfamilie und deren nicht minder kuriosen Bekanntschaften. Seine große Passion ist der Fußball, und als sich abzeichnet, dass sein Lokalverein SSC Neapel den argentinischen Weltklassespieler Diego Maradona verpflichtet, beginnt für den 17-Jährigen ein Traum wahr zu werden. Doch der Alltag der Familie ist auch von dramatischen Ereignissen überschattet, Fabietto lernt das Leben mit all seinem Auf und Ab, den schönen und den tragischen Seiten kennen, und der Film begleitet ihn dabei, wird zu einer Zeitreise in eine vergangene Welt des süditalienischen (Klein-)Bürgertums, das oft über seine Verhältnisse lebt, mit aufgestauten Emotionen, die sich im Fußball kollektiv entladen. Mit den Erfahrungen reift in Fabio der Wunsch, seine Sinnsuche zum Beruf zu machen und Filmemacher zu werden.
In diesem Selbstporträt des Künstlers als junger Mann erzählt der italienische Regisseur Paolo Sorrentino (»Il Divo«, »La Grande Bellezza«) anekdotisch von seinem Aufwachsen im Neapel der 1980er Jahre, dem Suchen und Finden einer Identität. Und davon, wie eine Katastrophe seinen Blick und sein weiteres Leben bestimmen wird. Das ist nie verkopft, sondern oft hinreißend allzu menschlich, voller groteskem Humor und Tragik, mit großem, warmherzigem Gestus vorgetragen. Was davon wirklich wahr ist, wer weiß das schon. Es geht, wie so oft bei Sorrentino, um das Heilige und das Profane und darum, wie beide die Gedanken- und Gefühlswelt eines aufgeweckten Jungen befeuern. Und so fabuliert er seine Jugenderinnerungen auch als magisch-realistisches Märchen voller Zauber, in dem sich Erlebtes und Imaginiertes mit subversivem Witz zu einem fellinesken Bildungsroman vereinen, bevölkert von skurrilen, teils arg grob gezeichneten Charakteren wie der ewig fluchenden Großmutter, die im Pelzmantel ganze Mozzarellakugeln in sich hineinstopft.
Leise Töne sind Sorrentinos Sache nicht, und oft erfolgt der Scherz auf Kosten der (Neben-)Figuren. Dazu reiht er neben dem fantastischen Nachwuchsdarsteller Filippo Scotti seinen langjährigen Wegbegleiter Toni Servillo (»Ewige Jugend«, »Il Divo«) und Teresa Saponangelo als Eltern und eine wunderbare Luisa Ranieri als nicht nur Fabiettos Sinne betörende Tante Patrizia – der heimliche Star des Films. Sorrentinos Obsession mit dem weiblichen Körper und das Ausstellen nackter Brüste wirken zuweilen befremdlich und im Jahr 2021 aus der Zeit gefallen, auch wenn es durch die Augen seines Alter Ego, eines pubertierenden, fantasiebegabten, fast voyeuristisch-neugierigen Jungen in den 80ern folgerichtig sein mag. Die Hommage an das große Vorbild Fellini steckt diesmal nicht nur in der Inszenierung und dem komischen Figurenkabinett, sondern manifestiert sich in der Handlung selbst, zumindest als Stimme. Fabios älterer Bruder Marchino (Marlon Joubert) träumt von einer Schauspielkarriere, bis ihm der Maestro beim Vorsprechen klar zu verstehen gibt, dass er aussieht wie ein Kellner. Wie Fellini über seinen dick auftragenden Wiedergänger Sorrentino urteilen würde?
Nach Ausflügen in die Serienwelt mit den beiden brillanten Vatikan-Epen »Der junge Papst« und »The New Pope« für Sky kehrt dieser nun mit seinem nostalgischen, mal sanft ironischen Opus magnum zum Spielfilm zurück, für Netflix zwar, wo »Die Hand Gottes« ab 15. Dezember zu sehen ist, aber zwei Wochen zuvor bereits in ausgewählten Kinos. Für die audiovisuelle Opulenz ist die große Leinwand unbedingt zu empfehlen. Da ist es nur konsequent, dass der Film nach der Weltpremiere in Venedig im September prompt als einer der Favoriten beim Europäischen Filmpreis gilt, der am 11. Dezember verliehen wird. Auch wenn sein heteromännlicher Blick am Ende womöglich gegen das queerfeministische Kino in Julia Ducournaus »Titane« den Kürzeren ziehen wird.
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