Streaming-Tipp: »The New Pope«
»The New Pope« (Serie, 2020). © HBO/Sky
Drei Jahre sind vergangen, seit Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino (»La Grande Bellezza«) mit seinem Mehrteiler »The Young Pope« über einen unkonventionellen US-amerikanischen Papst (Jude Law) für Furore sorgte. Drei Jahre, in denen auch andere sich filmisch an diversen Päpsten abgearbeitet haben, ob offiziös-anbiedernd wie Wim Wenders Porträtfilm »Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes« oder abwägend sympathisierend wie jüngst Fernando Meirelles' fiktive Interpretation der Begegnungen zwischen Benedikt XVI. und Franziskus in »The Two Popes«. Kotau und Zurückhaltung sind Sorrentinos Sache nicht, wie er nun auch mit dem Sequel »The New Pope« zeigt. Zugleich versteht er die Vorliebe der katholischen Kirche für Spektakel und Bombast weitaus besser und weiß sie in eine ironisch-überhöhte Bilderpracht mit oft tableauxartigen Einstellungen zu übersetzen.
Gleich in der Pilotfolge inszeniert er eine Sequenz, die wundersamerweise ganz ähnlich im zeitlich parallel entstandenen Film von Meirelles stattfindet. Es geht um das Konklave zur Wahl eines neuen Bischofs von Rom. Den Aufmarsch der Kardinäle in ihren opulenten Gewändern unterlegt Meirelles mit ABBAs »Dancing Queen«, ein plumper Scherz, nicht mehr. Den Einsatz von Popmusik hat er sich ganz offensichtlich von »The Young Pope« abgekupfert, ohne Sorrentinos schillernden Witz auch nur annähernd zu erreichen. Dieser inszeniert seine Version des Konklave eleganter und vielschichtiger, überlagert auf der Tonspur Mönchsgesänge mit dem »Secondo Coro delle Lavandaie«, dem Chor der Waschfrauen aus dem neapolitanischen Musical »La Gatta Cenerentola«, während sich die Geistlichen in unzähligen Wahlgängen aufreiben. Der surreale Effekt verstärkt sich durch das Auftauchen eines Rivalen des Kardinals Voiello (Silvio Orlando), einer Art Doppelgänger und ebenfalls dargestellt von Orlando. Wie diese Sequenz ist die gesamte Serie gespickt mit popkulturellen und kunsthistorischen Referenzen, die mal mit feiner Ironie, mal herrlich respektlos das Brimborium kommentieren.
Es ist also nicht zu viel verraten und bereits im Titel angekündigt: Es gibt einen Neuen. Papst Pius XIII. (Jude Law) liegt im Koma nach einem Herzinfarkt, den er am Ende von »The Young Pope« erlitt. Seit neun Monaten versucht man ihn durch Herztransplantationen wiederzubeleben, darunter das eines Muslims aus Ägypten, allesamt gescheitert. Also wird ein neues Oberhaupt gewählt, ein unberechenbarer Außenseiter. Der britische Aristokrat Sir John Brannox (herrlich exzentrisch: John Malkovich) geistert fortan mit melancholischem Weltschmerz durch die Gänge. Die meisten Figuren der ersten Staffel sind ebenfalls zurück, Cécile de Frances wunderbar sarkastische PR-Beraterin Sofia, der allzu menschliche Kardinal Gutierrez (Javier Cámara) und Pius' heimliche Verbündete Esther (Ludivine Sagnier) ebenso wie Jude Law als der junge, alte Papst. Lediglich Diane Keaton fehlt, ihre Schwester Mary wurde kurzerhand auf Mission nach Afrika geschickt. Der eigentliche, heimliche Held der Serie ist allerdings der unscheinbare Kardinal Voiello, der mit Pragmatismus und stolzem Mittelmaß die Geschicke der Kirche zu lenken versucht, ohne das Charisma zu haben, selbst an der Spitze und im Rampenlicht zu stehen.
Sorrentino geht es durchaus auch um theologische Fragestellungen, doch was seinen Mehrteiler am Ende so reizvoll macht, ist, wie er über rund neun Stunden den Vatikan als von politischen Intrigen geleitete Machtstruktur und als Männerheim voller Neurotiker und Narzissten erscheinen lässt. Sein Mehrteiler ist zugleich Workplace-Sitcom und Familienkomödie, Mafiaepos und höfisches Drama mit all seinen Ritualen, Gesellschaftssatire und opulente Rockoper in fantastischen Gewändern. Ein unheiliges Fest für Augen und Ohren und im Jahr 2020 vielleicht die schönste, wahrhaftigste Reverenz an die katholische Kirche.
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