Kritik zu Bergman Island

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Ein Künstlerpaar, ein Aufenthalt in der Welt von Ingmar Bergman – und zur Ehe- auch noch eine Schaffens­krise: Mia Hansen-Løves neuer Film entwickelt sich zu einem vertrackten Spiel mit Realität und Fiktion

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Bergman Island: das ist Fårö, jene schwedische Ostseeinsel, die der legendäre Regisseur als »seine Landschaft« erkannte, jenen Ort auf der Welt, dessen Formen, Farben und Klänge direkt zu seiner Seele sprachen. Lange lebte er dort, und zahlreiche seiner Filme entstanden hier. Heute zieht es Scharen von Bergman-Verehrern nach Fårö, es gibt ein Bergman-Center und einmal jährlich eine Bergman-Woche mitsamt Bergman-Safari zu den Drehorten. Es gibt aber auch den Bergman Estate, der Stipendien an internationale Künstler:innen vergibt, die dort an eigenen Projekten arbeiten können (die nicht zwangsläufig mit dem Regisseur zu tun haben müssen).

Auch die Filmemacherin Mia Hansen-Løve nahm diese Gelegenheit wahr und wurde zu »Bergman Island« inspiriert, in dem eine Regisseurin nach Fårö kommt, um sich für ihren neuen Film inspirieren zu lassen. Das ist nicht die einzige biografische Spiegelung in diesem semiautobiografischen Werk: Wie Hansen-Løve, seit vielen Jahren Partnerin von Olivier Assayas, ist ihre Hauptfigur Chris (Vicky Krieps) mit einem mehr als 20 Jahre älteren und deutlich berühmteren Regisseur (Tony, gespielt von Tim Roth) verheiratet. Schon mit der Ankunft der beiden Filmemacher auf der Insel inszeniert Hansen-Løve en passant eine Beziehung, die zugleich gefestigt und eingespielt wie auch verarmt und verstummt wirkt. Und während Tony, der anlässlich der Bergman-Woche als Gaststar geladen ist, gelassen die sozialen Anlässe absolviert und konzentriert an seinem neuen Film schreibt, wächst bei Chris eine Verunsicherung. 

Den Frieden und die Harmonie des Insel­idylls findet sie bald ebenso lähmend wie die Allgegenwart Ingmar Bergmans, der wie ein Gott über dieser Welt schwebt. »Da muss man sich ja als Loser fühlen.« Nicht viel besser macht es die Tatsache, dass das Künstlerpaar ausgerechnet in jenem Haus wohnt, in dessen Schlafzimmer »Szenen einer Ehe« gedreht wurde – jener Film, »wegen dem Millionen von Ehepaaren sich haben scheiden lassen«, wie die Verwalterin stolz bemerkt.

Lange Zeit konzentriert sich »Bergman Island« auf die Etablierung der Figuren, ihrer Beziehung und des Orts, mit sparsamen Dialogen und umso mehr Gespür für Zwischentöne. Dank dem wunderbaren Spiel von Vicky Krieps, die hier abermals ihre Weltklasse beweist, entsteht aus Chris' Zweifeln an ihren künstlerischen Fähigkeiten wie auch an der Beziehung eine innere Spannung, die sich dann unvermittelt in eine Film-im-Film-Handlung verlagert. Denn als sie endlich eine erste Filmidee zu fassen beginnt und Tony davon erzählt, scheint diese erzählte Handlung mit einem weiteren Liebespaar den Film einfach zu kapern: Jetzt sehen wir Mia Wasikowska, wie sie zu einer Hochzeitsfeier aus den USA nach Fårö kommt und ihrer tragischen Jugendliebe wiederbegegnet.

Auch in dieser Sekundärhandlung lotet Mia Hansen-Løve alltägliche Abgründe von Leidenschaft, Trauer und den vielen unbenennbaren Gefühlszuständen dazwischen aus. Und doch bewahrt die Inszenierung auch in sehr emotionalen Gefilden eine bemerkenswerte Leichtigkeit, etwa wenn Wasikowska auf der Hochzeitsfeier spät in der Nacht zu ABBAs »The Winner Takes It All« zu tanzen beginnt. Immer wieder sorgt auch der augenzwinkernde Humor dafür, dass dieses Spiel von Realitäts- und Reflexionsebenen zwischen biografischen Bezügen, realem Ort mit legendärem Erbe und doppelt verschachtelter Fiktion nie prätentiös wirkt. So hat man sich beispielsweise schon ganz der Wasikowska-Story überlassen, als irgendwann ein Handyklingeln in der äußeren Handlung den Film im Film barsch unterbricht und daran erinnert, welche Geschichte hier die »reale« ist.

Was leicht zu einem überkonstruierten Vexierspiel hätte werden können, wird in Mia Hansen-Løves sehr geerdeter Erzählweise zu einer wunderbar eleganten, subtilen Studie über das Verhältnis von Leben und Kunst.

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