Oscars ...and the winner will be?

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Michael Keaton in »Birdman«

Wer wird ihn kriegen, den Oscar für den besten Film?

Selten in den letzten Jahren war das Rennen um die Oscars so offen wie in dieser Saison. Die Ansichten teilen sich entlang der Halbleer-halbvoll-Wasserscheide: Wo die einen den Mangel an herausragenden Kandidaten beklagen, bejubeln andere die Fülle der Auswahl. Noch weiß man nicht, wie viele Nominierungen es überhaupt am 15. Januar 2015 für die Kategorie des besten Films geben wird, zehn, neun oder gar noch weniger? Infrage kommen jedoch in diesem Jahr nicht weniger als zehn bis 15 Filme. Aus diesen wird sich in den nächsten Wochen erst langsam ein echtes Favoritenfeld herausschälen – je nachdem, wie die einzelnen Filme bei den unzähligen Preisvergaben, die im Dezember und Januar die sogenannte »Award Season« bilden, abschneiden.

Die »Oscarbeobachtung«, die sich dank kundiger Blogs in den letzten Jahren zum eigenen Genre der Filmkritik entwickelt hat, hatte in jedem Fall noch nie so viel Stoff zur Diskussion. Kein Vergleich zu letztem Jahr, als es nur die Meriten von 12 Years a Slave gegen die von Gravity abzuwägen gab, oder 2012, als es auf ein Rennen zwischen Life of Pi, Lincoln und Argo hinauslief, oder gar 2011 und 2010 als es mit The Artist bzw. The King’s Speech jeweils einen herausragenden Favoriten gab.

»Boyhood« (2014)

Als einigermaßen sicher gilt, dass Richard Linklaters Film Boyhood eine Best-Picture-Nominierung erhalten wird. Doch schon auf der Berlinale war es so: Boyhood war der Kritikerliebling, bekam aber schließlich »nur« den Regiepreis, während die Jury dem chinesischen Film Feuerwerk am hellichten Tag den Goldenen Bären zusprach. Bei den Oscars könnte sich für Boyhood etwas Ähnliches ergeben. Für die Wähler der Academy, so heißt es immer wieder, sei Linklaters Coming-of-Age-Chronik mit der Rekorddrehzeit über zwölf Jahre nicht glamourös genug. Auch würde es sehr gut zu einem anderen Trend passen, wenn Linklater »nur« den Regie-Oscar bekäme: wie Ang Lee für Life of Pi und Alfonso Cuarón für Gravity würde er für seinen »technischen« Wagemut ausgezeichnet, während sein Film in der Best-Picture-Kategorie gegenüber einem mehr dem Mainstream entsprechenden Werk zurückstehen müsste. Aber noch ist nicht ausgeschlossen, dass Boyhood auch in »klassischer« Weise siegen könnte, mit mindestens drei Oscars: bester Film, beste Regie und noch einem Darsteller-Oscar. Hier kann sich vom Ensemble von Boyhood wohl Patricia Arquette im Fach Nebendarstellerin die größten Chancen ausrechnen – nicht zuletzt weil die Figur der Mutter in Boyhood das Format einer Hauptrolle hat.

Ein weiterer Kandidat für mindestens eine Bester-Film-Nominierung ist Alejandro Iñárritus Birdman. Auch die erste Komödie des auf Dramen spezialisierten mexikanischen Regisseurs ist ein Kritikerfavorit. Als Film über den Versuch eines Schauspielers, sich durch eine Broadway-Inszenierung Respekt zu verschaffen, kann er sich aber große Sympathien bei der vom Schauspielberuf dominierten Academy ausrechnen. Fast ebenso sicher wie die Nominierung in den Fächern bester Film und beste Regie (mit seinem »Wie in einer Einstellung«-Dreh gehört auch Iñárritu zu den Regisseuren, die ihr Handwerk technisch ausreizen) gilt deshalb die Berücksichtigung von Michael Keaton, Edward Norton und Emma Stone in ihren respektiven Kategorien. Würde Iñárritu als Regisseur gewinnen, wäre das im Übrigen das fünfte Jahr in Folge, dass ein »Ausländer« in dieser Kategorie die Statue entgegennimmt (nach dem Briten Hooper, dem Franzosen Hazanavicius, dem in Taiwan geborenen Lee und dem Mexikaner Cuaròn).

»The Imitation Game« (2014)

Mit Morten Tyldum, dem norwegischen Regisseur von The Imitation Game, steht ein weiterer »Ausländer« auf der Anwärterliste. Von dem Alan-Turing-Biopic sind zwar die Kritiker nicht ganz so angetan, dafür aber bekam der Film in Toronto den Publikumspreis. Konventionell im besten Sinne, könnte The Imitation Game die Oscarwähler überzeugen, nicht zuletzt weil Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle das abliefert, was man eine tour de force nennt – und mit Harvey Weinstein ein Mann die Oscarkampagne für diesen Film führt, der diese sozusagen erfunden hat. Leider gibt es im ansonsten fast unbesiegbaren Fach »britisches Biopic mit zwiespältigem Helden« (s. The King’s Speech) in diesem Jahr einen weiteren Mitbewerber und zwar Die Entdeckung der Unendlichkeit, in dem Eddie Redmayne den Astrophysiker Stephen Hawking verkörpert. Ob Eddie Redmayne sich in der harten Konkurrenz um den besten Darsteller durchsetzen kann, scheint ungewiss, dafür stehen die Chancen für Felicity Jones, die Hawkings leidgeprüfte Ehefrau Jane spielt, sehr gut.

»Selma« (2014)

Mit Selma (der in Deutschland im Februar startet) kam erst in den letzten Wochen ein weiterer heißer Oscarkandidat für gleich mehrere Kategorien hinzu. Der Film, der eine Episode in Martin Luther Kings Bürgerrechtskampf schildert, schlug in den USA hohe Wellen, weil er so haargenau auf die aktuellen Ereignisse in Ferguson und New York passt. Aber nicht nur sein Anliegen scheint den Film auszuzeichnen, sein gesamtes Ensemble wird hoch gelobt, insbesondere David Oyelowos Verkörperung von Martin Luther King. Wenn es für Selma außerdem eine Regie-Oscar-Nominierung gäbe, wäre Ava DuVernay die erste schwarze Frau, der diese Ehre zuteil würde.

Passen die bislang genannten Titel allesamt ins Klischee vom »Oscarfutter«, den anspruchsvollen Filmen mit leider beschränktem Publikumsappeal, so lässt sich in diesem Jahr die Liste mühelos um einige »crowd-pleaser« erweitern. David Finchers Gone Girl wäre so ein Kandidat. Mit 340 Millionen weltweitem Einspiel und Fincher als Regisseur, der schon lange fällig für einen Oscar wäre, stehen die Chancen auf Nominierung für Gone Girl nicht schlecht. Ob es für einen Gewinn reicht? Dafür sei der Film nicht »sympathisch« genug und sein Thema wiederum zu »unbedeutsam«, soll heißen: genrehaft. Fincher, dessen Social Network als einer der großen »übersehenen« Filme der letzten Jahre gilt, könnte sich also auch leicht in der guten Gesellschaft von Stanley Kubrick und Alfred Hitchcock wiederfinden, die schließlich auch nie einen Regie-Oscar erhielten.

»Interstellar« (2014)

Ähnlich verhält es sich mit Christopher Nolan und Interstellar. International hat Nolans Sci-Fi-Geschichte über Wurmlöcher und das Überleben der Menschheit bislang 434 Millionen Dollar eingespielt, in den USA dagegen 158, noch nicht einmal sein Budget von 165 Millionen. Obwohl eine Nominierung nicht als ausgeschlossen gilt, scheinen die realen Preischancen doch relativ gering, zumal auch keiner der Darsteller als herausragend gehandelt wird.

Im Gegensatz zum Science-Fiction gehört das Genre Musical ganz klar zu den Lieblingen der Academy. Weshalb die Broadwayadaption Into the Woods weit oben auf der Favoritenliste steht. Regisseur Rob Marshall erlebte schon einmal, 2003, wie seine Musicalverfilmung Chicago gegen vermeintlich stärkere Konkurrenz (Der Pianist, Gangs of New York) Bester Film wurde. Zumal er mit Preisveteranin Meryl Streep und dem ironiebegabten »Hunk« Chris Pine bestes Oscarmaterial an der Hand hat.

Drei weitere Filme kommen wegen herausragender Schauspielerleistungen auch für eine Bester-Film-Nominierung infrage: da wäre Bennett Millers Foxcatcher, in dem Komiker Steve Carell eine obsessiv-düstere Seite zeigt, die niemand ihm zugetraut hätte, da wäre Dan Gilroys Nightcrawler, wo dasselbe für Jake Gyllenhaal gilt. Und es gibt einen weiteren »kleinen« Film, der wie Boyhood seit seiner Premiere im Januar auf dem Sundance-Festival beständig von sich reden macht: Damien Chazelles Schlagzeug-Lehrer-Schüler-Duell Whiplash, in dem vor allem Charakterkopf J.K. Simmons zeigt, was in ihm steckt. Keinesfalls zuletzt steht auch Angelina Jolies Unbroken auf dem Großteil der Favoritenlisten, allein schon wegen der uramerikanischen und patriotischen Geschichte, die er erzählt. Obwohl es gleichzeitig niemand für wahrscheinlich hält, dass eine Rekordzahl von zwei Filmen unter weiblicher Regie nominiert sein könnte. Nicht solange Namen wie Wes Anderson (Grand Budapest Hotel), Tommy Lee Jones (The Homesman), Clint Eastwood (American Sniper), JC Chandor (A Most Violent Year) Paul Thomas Anderson (Inherent Vice) noch als Anwärter gelten.

Dominik Grafs Die geliebten Schwestern, von Deutschland als bester ausländischer Film ins Oscarrennen geschickt wurde, sieht sich übrigens ebenfalls einer selten starken Konkurrenz gegenüber: dem in Cannes ausgezeichneten Leviathan (Russland), Winterschlaf (Türkei), Mommy (Kanada), und Zwei Tage, eine Nacht (Frankreich), Wild Tales (Argentinien), sowie dem europäischen Arthouse-Liebling Ida (Polen). Dafür könnte es unter den Dokumentarfilmen eine deutsche Nominierung geben: für Wim Wenders und sein Salz der Erde.

Die Favoriten der Einzelkategorien

 

Oscar für beste Regie: 
Richard Linklater ("Boyhood"); Ava DuVernay ("Selma"); Alejandro González Iñárritu ("Birdman"); Angelina Jolie ("Unbroken"); Morten Tyldum ("The Imitation Game")

Bester Darsteller: 
Michael Keaton ("Birdman"); Steve Carell ("Foxcatcher"); Benedict Cumberbatch ("The Imitation Game"); David Oyelowo ("Selma"); Eddie Redmayne ("The Theory of Everything")

Beste Darstellerin:
Reese Witherspoon ("Wild"); Felicity Jones ("The Theory of Everything"); Julianne Moore ("Still Alice"); Rosamund Pike ("Gone Girl"); Hilary Swank ("The Homesman")

Nebendarsteller:
J. K. Simmons ("Whiplash"); Miyavi ("Unbroken"); Edward Norton ("Birdman"); Mark Ruffalo ("Foxcatcher"); Tom Wilkinson ("Selma")

Nebendarstellerin:
Patricia Arquette ("Boyhood"); Jessica Chastain ("A Most Violent Year"); Keira Knightley ("The Imitation Game"); Emma Stone ("Birdman"); Meryl Streep ("Into the Woods")

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