Kritik zu Into the Woods
Ab in den Wald: Die Vorlage zu Rob Marshalls aufwendigem Musical ist zwar schon fast 30 Jahre alt, passt aber perfekt zu Hollywoods aktueller Strategie, die klassischen Märchen neu zu erfinden
Wenn Hollywood knapp 30 Jahre braucht, um einen Musicalhit zu verfilmen, dann ergeben sich daraus zwei Fragen. Warum jetzt erst? Und: Warum gerade jetzt? Die erste Frage ist womöglich schwieriger zu beantworten. Es hat Versuche gegeben in den 90ern, aber damals fand niemand ein Rezept, wie sich Stephen Sondheims eigenwilliger Mix aus Grimms Märchen für die Leinwand adaptieren ließe. Der Ton zu frivol, die Botschaft zu düster, die Struktur zu gewagt: Irgendwie schien kein Film in der überladenen Story zu stecken – oder zu viele. Selbst Regisseur Rob Marshall, der sich vor zwölf Jahren nach seinem sehr erfolgreichen Chicago kurzzeitig für das Projekt interessierte, drehte zunächst lieber Nine.
Es mussten sich also, um zur Frage zwei zu kommen, erst die Zeiten ändern, bevor aus dem Broadway-Stück ein Hollywood-Spektakel werden konnte. Im Zeitalter der Superhelden lassen die Studios aktuell nichts unversucht, um den omnipräsenten Comicfiguren ähnlich überlebensgroße Protagonisten aus anderen Bereichen an die Seite zu stellen. Sein Personal führt der Film in einer mitreißenden Parallelmontage ein, die gleich klarstellt, dass diese Produktion alles auffahren wird, was einen großen – oder wenigsten teuren – Film ausmacht: ein üppiges, grandioses Produktionsdesign; eine schwungvolle, ideenreiche Inszenierung; Tricks vom Feinsten; und einen Cast in bester Spiel- und Singlaune. Unweigerlich fühlt man sich an die Technicolor-Träume vergangener Tage erinnert, an die klassischen Musicals, die mit Charme und Verve selbst Genrehasser um den Finger zu wickeln wussten.
Da sind also das neunmalkluge Rotkäppchen, das schüchterne Aschenputtel, der nichtsnutzige kleine Hans, die eingesperrte Rapunzel und dazu, im Zentrum der Geschichte, der Bäcker (James Corden) und seine Frau (Emily Blunt), die endlich ein Kind bekommen wollen, aber zuerst verschiedene Dinge auftreiben müssen, um den Fluch der bösen Hexe (Meryl Streep) aufzuheben. Daraus ergibt sich ein amüsanter, von milder Ironie geprägter Wettlauf gegen die Zeit, in dessen Verlauf die Märchenmotive lustvoll durcheinandergewirbelt und dabei abwechselnd persifliert, parodiert oder auch mal zementiert werden. Im Vergleich zur Vorlage ist der Film um einige sexuelle Anspielungen und rabiate Morde ärmer, er bewahrt aber den vielschichtigen Grundton – und erhielt Stephen Sondheims Segen.
Das funktioniert so lange prächtig, bis die Story den zweiten Akt erreicht. Aber wie in der Vorlage geht es hier noch einmal von vorne los, und aus dem postmodernen Vergnügen wird völlig unvermittelt eine Art Fantasy-Dystopie. Plötzlich steht die Existenz des ganzen Märchenlandes auf dem Spiel, was jedoch nicht zu neuer Spannung führt, sondern zu einigen qualvollen Längen. Gleichwohl: Am Ende steht die Erkenntnis, dass kein Ende so happy ist, wie es zunächst scheinen mag, und dass auch im Märchen nicht alles Gold ist, was glänzt. Man darf den Produzenten dankbar sein, dass sie die ungewöhnliche Ambivalenz des Stoffes bewahrt haben.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns