Kritik zu Ida
Eine junge Novizin und ihre Tante forschen in dem eindringlichen Film des polnischstämmigen Regisseurs Pawel Pawlikowski zu Beginn der 60er Jahre nach ihren im Zweiten Weltkrieg ermordeten jüdischen Verwandten
Es ist ein ziemlich abgelegenes Kloster, in dem die 18-jährige Novizin Anna (Agata Trzebuchowska) lebt; die Zeit hat ihre Spuren an der Fassade hinterlassen. Wenig geredet wird hinter den Klostermauern, beim Essen oder auch bei der Arbeit an der Christusstatue, die Anna restauriert und auf dem Gelände wieder aufstellt. Wie bestimmt für das Leben hinter den Klostermauern scheint sie zu sein, sie geht auf in den Ritualen mit ihren stillen Blicken. In ein paar Tagen soll sie ihr Gelübde ablegen. Aber vorher hält es die Äbtissin für angebracht, dass sie noch ein Mal die einzige ihr verbliebene Verwandte besucht, ihre Tante Wanda (Agata Kulesza) in der Stadt. Beide haben sich noch nie gesehen, die Tante hat den Kontakt abgelehnt. Anna fährt zu ihr, mit großen, neugierigen Augen sitzt sie in der Straßenbahn.
Die erste Begegnung ist eher schroff. Wanda ist das genaue Gegenteil ihrer besinnlichen Nichte, sie trinkt, pflegt ziemlich lieb- und wahllos Männerkontakte – und will mit Familie eigentlich nichts zu tun haben. Sie eröffnet Anna, dass sie eigentlich Ida heißt und Jüdin ist, die Eltern wurden während des Zweiten Weltkriegs ermordet. Eigentlich will Wanda die junge Frau zurück ins Kloster schicken, entschließt sich aber doch, mit ihr nach den genauen Umständen des Todes und den sterblichen Überresten ihrer Verwandten zu forschen.
Ida ist eine Reise in die Vergangenheit, nicht nur in die Zeit der deutschen Besatzung, sondern auch, im Nebenbei, in die gerade beendete Stalinzeit. Einmal erzählt die Tante, dass sie früher »Rote Wanda« hieß und als Anklägerin an spektakulären Schauprozessen beteiligt war. Die bleierne Schwere dieser Jahre liegt immer noch über den winterlichen und leer wirkenden Bildern. Ida spielt in den frühen 60ern, aber von einem Tauwetter ist noch kaum etwas zu spüren, zumindest nicht in der ländlichen Gegend, durch die sich die beiden ganz unterschiedlichen Frauen bewegen, mit Gebäuden, die den Menschen kaum Schutz zu geben scheinen. So präzise wie der polnischstämmige Regisseur Pawel Pawlikowski, der seit 1977 in England lebt, die Charaktere der Frauen zeichnet, so authentisch wirkt seine Rekonstruktion jener Jahre.
Pawlikowski hat in einem stark kontrastigen Schwarz-Weiß gedreht, auch in dem heute beinahe ausgestorbenen Format 1 : 1,33, das für uns heutige breitbildgeprägte Zuschauer fast quadratisch wirkt. Das ist sicherlich eine Hommage an die polnische neue Welle, aber die Bilder erinnern in ihrer mitunter geometrischen, grafisch wirkenden Anordnung auch an klassische Schwarz-Weiß-Fotografien von Moholy-Nagy oder André Kertész. Aber das wirkt nie selbstzweckhaft, nie manieriert, ebenso wenig wie die sparsam eingesetzte Musik zwischen Chopin und John Coltrane.
Denn auf ihrer Spurensuche lernen die beiden einen Musiker kennen, den Saxofonisten Lis, der in ihrem Hotel zum Stadtjubiläum aufspielt, und dessen Band nach den Schlagern auch schon mal Jazz spielt – wenn keiner zuhört. Ein Hauch von Veränderung weht dann doch durch die frühen 60er Jahre. Ida wird eine Nacht mit ihm verbringen, die letzte Liebesnacht ihres Lebens, wahrscheinlich. Wanda und Ida finden heraus, dass Idas jüdische Eltern sich in den Wäldern versteckt hatten und von Polen umgebracht wurden. Je mehr die beiden Frauen unterwegs sind, desto mehr öffnet sich auch die herbe Wanda, erzählt von der Beziehung zu ihrer Schwester, der sie ihren Jungen anvertraut hatte, während sie im Widerstand war. Auch er liegt im Wald verscharrt, und in einer der eindringlichsten Szenen dieses Films sitzen die beiden Frauen am Rande des Grabes, das der Bauernsohn, der auch der Mörder ist, öffnet. Wanda nimmt den kleinen Schädel des toten Jungen in einem gespenstischen Memento mori.
Es hat in den letzten Jahren einige Filme aus Polen gegeben, die das Tabuthema Antisemitismus behandelten. Aber keiner hat es so behutsam vor dem Hintergrund zweier totalitärer Regime behandelt wie dieses kleine, stille Meisterwerk.
Kommentare
Die Ausgangssituation könnte
Die Ausgangssituation könnte unterschiedlicher nicht sein: die Novizin Ida (Agata Trzebuchowska) und ihre Tante Wanda (Agata Kulesza), eine versoffene Hure, machen sich auf, um das Grab von Idas Eltern zu finden. In stringenten s/w Bildern erzählt Regisseur Paweł Pawlikowski dieses Roadmovie, das in den 60er Jahren in Polen spielt. Lange Einstellungen und längere wortlose ruhige Passagen brennen den Film in die Seele der Zuschauer. Vor allem gegen Ende, wenn die Dialoge immer seltener werden, bevor sie völlig verschwinden, graben sich die Bilder besonders tief in die Erinnerung.
Hinzukommt dass im Verlauf des Films immer neue brisante Details über die beiden Frauen auftauchen. Tante Wanda hat eine stalinistische Vergangenheit als Richterin und Ida heißt eigentlich Anna und ist Jüdin.
Es ist letztlich auch eine Auseinandersetzung von Polens Umgang mit seiner Geschichte, der nicht jedem gefällt. Hierbei spielt der Glaube ja auch eine wichtige Rolle.
Vor allem die finale Entscheidung der beiden Frauen überrascht und beeindruckt zutiefst. Wandas nicht vorhersehbarer Abgang mit Klassik unterlegt wird durch ein Staatsbegräbnis der Partei ironisch überhöht und Ida/Anna versucht vorübergehend Wandas Lebensgewohnheiten nachzuvollziehen. Sie schlüpft buchstäblich in Wandas Schuhe und Kleider. So kann sie später einmal sagen, sie weiß, vorauf sie verzichtet hat.
Agata Trzebuchowska gibt dem Film ein Gesicht: stets den Blick gesenkt und wortkarg. Diese Newcomerin wirkt in ihrer madonnenhaften Schönheit unheimlich authentisch. Der Auslands Oscar ist wirklich verdient.
Ein Frauenfilm mit emanzipatorischen Aspekten der auch Verantwortung für die Vergangenheit übernimmt. Ein seltenes Juwel.
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