Kritik zu Die Fotografin

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Augenzeugin des Zweiten Weltkriegs: Kate Winslet spielt die Titelrolle in Ellen Kuras' Filmbiografie über Lee Miller, von der viele der ikonisch gewordenen Aufnahmen jener Zeit stammen

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In einer Szene von Ellen Kuras' »Die Fotografin« entdeckt die titelgebende Kriegsfotografin Lee Miller am Ende des Zweiten Weltkriegs mit der US-Armee einen verlassenen Todeszug der Nazis. Verwesungsgeruch verschlägt ihr bereits von weitem den Atem, in den Waggons türmen sich die Leichen ausgemergelter Gefangener. In Sichtweite spielt eine deutsche Mutter scheinbar sorglos mit ihrem kleinen Sohn. Als Zuschauer muss man da an »The Zone of Interest« denken, dessen Thema hier gewissermaßen verdichtet wird. Leider bleibt diese in mehrfacher Hinsicht erschreckende Szene einer der wenigen Momente, in denen es Kuras' Film gelingt, prägende Situationen aus Lee Millers Leben eindrücklich zu inszenieren, Erfahrungen visuell zu vermitteln und eine Art Haltung zu dem einzunehmen, worüber sie erzählt.

Nach allem, was man weiß, war die 1977 verstorbene Lee Miller eine ebenso schillernde wie zerrissene Persönlichkeit, doch »Die Fotografin« ist eine Filmbiografie, wie sie dramaturgisch konventioneller und inhaltlich harmloser nicht sein könnte. Das beginnt damit, dass die Erzählung sich praktisch komplett auf ihre Mission als Kriegsfotografin im Zweiten Weltkrieg beschränkt. Über Millers familiäre Hintergründe und ihre ursprüngliche Karriere als gefeiertes Supermodel erfährt man praktisch nichts. Auch ihre privaten Ausschweifungen, ihre prägende Beziehung mit dem Fotografen Man Ray und ihr Leben in der internationalen Künstler- und Boheme-Szene sind kein größeres Thema.

Kate Winslet müht sich redlich, Millers Wesenszüge zwischen Leichtlebigkeit und Feinfühligkeit herauszuarbeiten, nur liefern ihr Drehbuch und Regie keinen angemessenen Rahmen. Schauspieler wie Alexander Skarsgård als ihr Lebenspartner, Marion Cotillard als adelige Weggefährtin und Andrea Riseborough als »Vogue«-Chefredakteurin bekommen ein paar starke Momente, die letztlich aber nichts zum Verständnis der Person Lee Miller beitragen. Anstatt passende Bilder zu finden, wird Millers Charakter über markige Off-Erzählungen Winslets beschrieben, die wie nachträglich eingefügt wirken. Man mag angesichts der ästhetischen Biederkeit kaum glauben, dass Ellen Kuras als Kamerafrau (u. a. für Spike Lee) berühmt wurde.

Die Stationen im zerstörten Deutschland und Frankreich werden nüchtern abgehakt, berühmte Fotosituationen nachgestellt, doch was die Kriegserfahrung mit Miller machte, bleibt ausgespart: ihre Depressionen, die posttraumatischen Belastungsstörungen und die Flucht in Alkohol und exaltierte Partys. Für das sehr schwierige Verhältnis zu ihrem eigenen Sohn gibt es drei Dialogsätze; und dass sie ihr Archiv ab den 1950er Jahren unter Verschluss hielt und die traumatischen Kriegsbilder auf den Dachboden ihres Hauses verdrängte, erfährt man am Ende über eine Texttafel. Man fragt sich, was dieser Film eigentlich erzählen will. Er lässt erahnen, dass Lee Miller eine moralisch ambivalente, widersprüchliche, vom Leben gezeichnete Persönlichkeit war. Nur – gezeigt wird es hier nicht.

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