Kritik zu Saiten des Lebens
Ein erfolgreiches New Yorker Streichquartett gerät nach 25 Jahren in eine existenzielle Krise. Die scheinbar disziplinierten Kammermusiker offenbaren geheimste Emotionen – so heftig wie in einer Rock 'n' Roll-Band
Der Schauplatz von Yaron Zilbermans erstem Spielfilm ist New York City. Es entstanden Szenen im Metropolitan Museum of Art, in der Frick Collection und im winterlichen Central Park. Ein ruhiges, von Kunst und Bildung geprägtes, in wichtigen Nuancen auch unbekanntes New York präsentiert uns Zilberman. Ein New York, in dem durch die zahlreichen Immigranten die alte europäische Kultur möglicherweise ursprünglich geblieben ist, authentischer als in Europa selbst. Ein Streichquartett steht im Mittelpunkt des Films, drei Männer und eine Frau, die seit 25 Jahren zusammenspielen, miteinander proben und weltweit auftreten. Ein Quartett, ein Team, eine Familie, eine Bande, eine kleine Gesellschaft aus dem Herzen von New York.
Vor allem ist dieses Streichquartett eine Komposition aus Figuren und Schauspielern. Die erste Geige spielt Daniel, ein oft mürrischer Perfektionist und empfindlicher Philosoph der Violine. Ausgerechnet diese erste Geige ist mit dem noch relativ unbekannten Akteur Mark Ivanir perfekt besetzt. Wäre »Saiten des Lebens« ein Western, dann wäre Daniel der einsame, düstere Held, ganz auf seine Aufgabe konzentriert. Die zweite Geige beherrscht virtuos Robert, den Philip Seymour Hoffman gibt: als an Pfunden und Gefühlen überbordenden Provokateur. Die Bratsche spielt Juliette, die von Catherine Keener dargestellt wird, der stets verlässlichen Queen des Independentkinos. Mit Robert, der zweiten Geige, ist sie verheiratet und hat eine Tochter, mit Daniel, der ersten Geige, verbindet sie ein Verhältnis der Bewunderung und des heimlichen Begehrens. Diese drei Charaktere, die mehr oder weniger aus einer Generation stammen, ergänzt der viel ältere Cellist Peter, der eigentliche Spiritus Rector des Quartetts, verkörpert von Christopher Walken als geradezu melancholisch-sublimer »King of New York« in Sachen klassischer Musik.
Wie schon einige Male in seiner Karriere, etwa in »Pennies from Heaven«, verknüpft Walken auch hier mit Gestik, Mimik und dem eigentümlichen Sprachrhythmus Kino und Musik auf wunderbare Art. Ein Höhepunkt des Films findet statt, wenn Walken Musikstudenten von seinen Begegnungen mit dem legendären Pablo Casals erzählt, der im Spiel der Musik und der Menschen immer nach dem Erbaulichen suchte. Walken trifft dabei elegant und essenziell Zilbermans Intention eines schönen, skeptischen Optimismus.
Das Zusammenspiel einer Gruppe von Menschen und darüber hinaus ihrer Verwandten und Bekannten in ethischer und ästhetischer Hinsicht über die Jahre hinweg, oft ein Spiel auf Leben und Tod, hat Zilberman bereits in seinem Dokumentarfilm »Hakoah – Club der Sirenen« (2004) interessiert, der von Schwimmerinnen eines jüdischen Sportvereins aus Wien handelt.
Seine Beobachtungen führt Zilberman in »Saiten des Lebens« auf fiktiver Ebene fort. Er lässt es im Streichquartett zur Krise kommen. Christopher Walken als Peter erhält die niederschmetternde Diagnose, an Parkinson erkrankt zu sein. Doch Peters Erkrankung ist nicht die Ursache, sondern nur der Anlass für das bald entstehende Chaos im Team. Bei den Frontleuten Daniel und Robert drängen lange unterdrückte Eifersüchteleien an die Oberfläche. Sie beginnen zu konkurrieren wie einst John Lennon und Paul McCartney oder Mick Jagger und Keith Richards.
Im Grunde ist es wie in einem Hawks-Film: die »Professionals« offenbaren, dass sie eigentlich Amateure sind, die ihre Arbeit lieben und leben, keine kalten Profis. Also müssen sie sich richtig zum Narren machen, richtig verletzlich sein, um weiser zu werden.
»Saiten des Lebens« ist ein ruhiger, zurückhaltender, aber in wichtigen Passagen auch seltsam-schöner Film, der eine Nische zurückerobert zwischen Blockbuster-Wahnsinn und Arthouse-Firlefanz. »Saiten des Lebens« ist nicht nur ein Film für ein reiferes, an klassischer Musik interessiertes Publikum. Denn hinter der ruhigen Fassade von Yaron Zilbermans Reflexion über die Turbulenzen in einem Streichquartett verbergen sich eine melancholische Beziehungskomödie und wilder Rock 'n' Roll.
Kommentare
Saiten des Lebens
Der Film ist wunderschön leise, angenehm ruhig und klassisch musikalisch. Das Quartett dieses ins Deutsche unübersetzbaren Titels ist in die Jahre gekommen. Eine Ehe ist in eine Krise geraten, weil Robert (Philip Seymour Hoffman) nicht immer die ‘zweite Geige‘ spielen will. Ein One-Night-Stand mit der feurigen Flamencotänzerin Pilar (Liraz Charhi) kann ihm seine Frau Juliette (Catherine Keener) nicht verzeihen. Als dann Mitspieler Daniel (Mark Ivanir) auch noch mit Robert Tochter Alex (Imogen Poots) schläft, droht das berühmte Ensemble auseinanderzubrechen.
Es wird viel über klassische Musik gefachsimpelt und über den Wert von Solisten gegenüber einem Team. Aber Menschen machen Fehler, Musiker sind auch Menschen. Ein Faustschlag beim üben und eine Ohrfeige von Muttern lassen Emotionen aufkommen, bevor man zu einem finalen Abschlusskonzert wieder friedlich vereint auf der Bühne steht. Hier verabschiedet sich Pete (Christopher Walken), der Parkinson hat vom Publikum und seinen Kollegen.
Klingt alles recht cool, ist es aber nicht. Den Protagonisten nimmt man ihre Streicherkünste ab, ihre menschlichen Probleme wirken nur wie ein Füllsel. Wie es aussieht, überdauert die Musik anscheinend alle Krisen. Kann schon sein. Aber hier ist es etwas realitätsfern, weil glattgebügelt. Da schäumt der emotionale Whirlpool gelegentlich auf, weil jemand vergessen hat den Stöpsel zu ziehen.
Schön gesittet, kunstvoll um Verständnis bittend. Näheres siehe Beethovens Streichquartett Nr 14. cis Moll Köcherverzeichnis 131.
Der deutsche Titel übertrifft den des Originals und ist nicht zu übersetzen. Das renommierte Kammerquartett THE FUGUE STRING QUARTET hat Jahrzehnte lang erfolgreich Musik gemacht. Als Peter (Christopher Walken) an Parkinson erkrankt, bricht all das, was unter dem Teppich schlummert, an die Oberfläche und verleitet einige der ehrwürdigen Streicher unsinnige Dinge zu tun.
Alles was diese vier Virtuosen in ihrem Privatleben tun, beeinträchtigt ihre Musik – oder zumindest ihr Zusammenspiel. Während der Proben eskaliert der Streit zwischen den drei hauptsächlich betroffenen (außer Peter) und wird erst durch einen Kinnhaken beendet.
Am Ende muss Peter ein Konzert abbrechen und eine Nachfolgerin auf die Bühne bitten. Standing Ovations!
Er verabschiedet sich vom Publikum mit wenigen Worten und die drei plus eins setzen das Konzert fort – und zwar spielen sie Beethovens dieses Mal auswendig.
Dieser warmherzige Film ist nicht nur was für Klassikfans und Oldies. Es ist ein Edelstein im Elektronik-Meer des Disco Schrotts und unterstreicht die Gegenposition von Garagenlärm aus der Konserve, der vor allem auf Algorithmen basierende Dosenmusik setzt.
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