Christopher Walken: Der will nur spielen
Christopher Walken in » Percy« (2020). © PVM Productions INC. 2019 / Mongrel Media
Er lehnt keine Rollen ab. Deshalb sieht seine Filmografie auch so wild aus: Scharfschützen, Mafiosi, Schreckgestalten aller Art. Angefangen hat aber alles ganz anders. Und jetzt ist Christopher Walken mal wieder als einer der Guten zu sehen, im Farmerdrama »Percy«
Es war wohl kein Zufall, dass beim Sender Arte im Oktober 2020, kurz vor der US-Präsidentschaftswahl, der Mystery-Thriller »Dead Zone« von 1983 lief. Darin versucht ein Allerweltstyp, der aber seit einem durch einen Unfall induzierten Koma hellseherische Fähigkeiten besitzt, die Wahl eines irren Präsidentschaftsbewerbers zu verhindern. Die Verfilmung von Stephen Kings literarisch überhitzter Fantasie eines faschistoiden Demagogen, der einen Atomkrieg plant, war in US-Kulturmagazinen bereits nach der Wahl von Donald Trump 2016 mit viel Angstlust als Menetekel zitiert worden. Spannend in diesem Film ist jedoch nicht das Porträt des von Martin Sheen gespielten Kandidaten. Viel interessanter als dieser stereotype Schurke ist Christopher Walken als Attentäter in spe. Regisseur David Cronenberg, Spezialist für das Abgründige, inszeniert ihn als von seiner Gabe gepeinigten Außenseiter, changierend zwischen erleuchtet und besessen.
Diese, wiewohl latent ungesunde, Erlöserrolle war für Christopher Walken über viele Jahre der letzte Auftritt, in dem er als der hundertprozentige Gute – denn am Ende wird er zum Märtyrer für den Weltfrieden – fungierte. Sie war dennoch richtungsweisend für seine weitere Karriere. Cronenberg verlieh Walkens Auftritten jene unheimliche Aura, die zum Alleinstellungsmerkmal des Schauspielers wurde. Nach »Dead Zone« wollten ihn plötzlich alle: von avantgardistischen Arthouse-Gurus wie Abel Ferrara in »King of New York« (1990) als Drogenbaron über mätzchenfreie Actionregisseure wie Walter Hill in »Last Man Standing« als Revolverhelden (1996) bis zu Clint Eastwood in »Jersey Boys« (2014) als Mafiaboss. Und viele andere mit weniger glanzvollen Namen, in Produktionen, die einen Ehrenplatz unter »Kuriosa« einnehmen.
In seinem aktuellen Film »Percy« spielt er nun einen richtigen tüchtigen local hero, einen rebellischen Farmer. Doch in der Mehrzahl seiner geschätzt 150 Auftritte in Spielfilmen und Serien ist Christopher Walken die klassische Verkörperung von creepy. Dieser kaum übersetzbare Begriff beschreibt einen unterschwelligen Grusel, der mehr mit schwarzer Romantik als mit blutiger Effekthascherei zu tun hat: eine schwer definierbare, aber unter die Haut gehende Seltsamkeit von Orten und Menschen, bei deren Witterung sich einem die Nackenhaare aufstellen. Walken bedient in gewisser Weise das Bedürfnis nach einem Horror zweiter Ordnung, ohne Splatter und Krawall. Er ist oft die kultivierte, gar metaphysisch angehauchte Version eines bogeyman. Gern kommt er mit der dezenten Eleganz eines aristokratischen Vampirs daher: je geschniegelter sein Anzug, desto unheilverkündender.
Ein weißes Hemd trug er bereits in der berüchtigsten Szene in Michael Ciminos Vietnamkriegsdrama »Die durch die Hölle gehen« (The Deer Hunter, 1978). Da ist er, als Teil einer Arbeiter- und Freundesclique, die in den Vietnamkrieg zieht, am Ende so traumatisiert, dass er Russisches Roulette spielt und sich in den Kopf schießt. Das ergreifende Schicksal des jungen Nick, Sohn russischer Einwanderer, der patriotisch beseelt als Freiwilliger in ein fernes ostasiatisches Land gelockt wird (in dem die Amerikaner einen Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion führen), ist der rote Faden des dreistündigen Antikriegsdramas. Christopher Walken als anfangs unbeschwerter Jungspund, der im Krieg irre wird an seiner Mission, ist das emblematische Opfer: seine Beerdigung steht auch für die Beerdigung des amerikanischen Traums. Von den fünf Oscars, die der Film gewann, bekam Walken als einziger des Darstellerensembles, zu dem Robert De Niro und Meryl Streep gehörten, die Trophäe. In Ciminos nächstem Film, dem monumentalen Western-Flop »Heaven's Gate« (1980) spielte er in einem ebenfalls symbolisch aufgeladenen Auftritt einen stoischen Auftragskiller, der sich am Ende, sinnlos, für das Gute opfert.
Dass dieser junge Schauspieler etwas Besonderes war, hatte zuvor aber bereits Woody Allen gespürt. Er gab ihm einen ersten kleinen, aber wichtigen Part als Annie Halls jüngerer Bruder Duane in »Der Stadtneurotiker« (1977). Und nach seiner Schlüsselrolle in »Die durch die Hölle gehen« schien ihm eine glanzvolle Laufbahn als Charaktermime im E-Fach programmiert.
Doch schon im »Stadtneurotiker« ist Walken auch ein fotogenes Irrlicht. Woody Allen gibt ihm einen kurzen Monolog, in dem Duane dem von Allen gespielten Alvy seinen Drang beichtet, beim Autofahren nachts einen Crash zu provozieren. Alvy hört sich das Geständnis mit einem inneren Augenrollen an; kurz darauf sitzt er vor Angst bibbernd im Auto von Duane, der ihn unerwartet heimfahren muss. Wie der junge Walken in seinem rotkarierten Hemd, mit den blonden Locken und dem weichen Gesicht eines Barockengels, mit leiser, angespannter Stimme diese abseitigen und doch poetischen Sätze vorträgt – das erzeugte schon damals mehr Gänsehaut als Kichern. Und vielleicht war schon Allen von Walkens vorigem Film, Paul Mazurskys liebenswürdiger Komödie »Next Stop, Greenwich Village« (1976), inspiriert, in der Walken, als Teil einer Clique New Yorker Bohemiens, den WASP-Möchtegernkünstler verkörpert, der einen leichten Sprung in der Schüssel zu haben scheint.
Bis zum heutigen Tag stand der nun 78-jährige Schauspieler permanent vor der Kamera. Walken ist dafür bekannt, kaum eine Rolle abzulehnen und ein lässiges Verhältnis zu Schundfilmen – die, so sagt er, oft mit mehr Herzblut gedreht werden als sogenannte Filme mit Anspruch – zu pflegen. Typecasting ist für ihn kein Problem. Seinem Ruhm hat diese pragmatische Berufsauffassung nicht geschadet. Gerade Filmemacher der ersten Liga sind von seiner doppelbödigen Ausstrahlung fasziniert, wie zum Beispiel Paul Schraders »Der Trost von Fremden« (1990) zeigt. In dem Erotikdrama nach einem Roman von Ian McEwan gerät ein britisches Paar in Venedig in die Hände zweier Sadomasochisten, gespielt von Walken und Helen Mirren. Doch der sonst so schmerzfreie Star bekannte Jahre später: »Das war das einzige Mal, dass mir eine Filmfigur körperliches Unbehagen bereitet hat. Normalerweise macht es mir nichts aus, fiese oder durchgeknallte Typen zu spielen – ich kann nach Drehschluss problemlos abschalten. Aber der Kerl, den ich da verkörpern musste, war derart pervers, dass ich tatsächlich seinetwegen nachts Alpträume bekam.«
Walkens Repertoire an bedrohlichen Typen, die zu faszinierend sind, um sie weiträumig zu umfahren, lässt kaum etwas zu wünschen übrig. Bald nach »Dead Zone« holte er, als Bond-Widersacher Max Zorin in »James Bond 007 – Im Angesicht des Todes« (1985), bereits den Jackpot in Sachen Bösewicht ab. Die »Best of« seiner durchgeknallten Auftritte gehören aber in die Neunziger. In Tim Burtons quietschbuntem Comicfilm »Batmans Rückkehr« (1992) spielte er mit platinweißer Löwenmähne den korrupten Millionär Max Shreck, der seine Sekretärin – Batwoman Michelle Pfeiffer – ohne einleitendes Trara aus dem Fenster stößt. 1997 besetzte ihn Burton in seinem Schauermärchen »Sleepy Hollow« als »der Hesse« und kopflosen Reiter. Im hip sein wollenden Thriller »Das Leben nach dem Tod in Denver« (1995) ist er der »Mann mit einem Plan«, ein dämonischer Gangsterboss im Rollstuhl.
Zu den bekannteren Merkwürdigkeiten seines Wirkens gehört auch die 1995 begonnene »God's Army«-Trilogie, in der Walken als gefallener Erzengel Gabriel im flatternden Mantel nach Massenmörderseelen fahndet und Luzifer – Viggo Mortensen – Konkurrenz macht. Der im Stil eines existenzialistischen Sozialkrimis daherkommende und von gregorianischen Chorälen unterlegte Horrorthriller war so wirr und zugleich so vollkommen unironisch inszeniert, dass er schnell zum Kult wurde. Da war Christopher Walken aber bereits selbst, im Zuge des Hypes um Quentin Tarantino, zur Kultfigur avanciert. In Tony Scotts ausgeflipptem Actionthriller »True Romance« (1993) nach Tarantinos Drehbuch gab er, wieder mal, einen eleganten Nebenrollenmafioso. Die berühmteste Szene des Films ist der Wortwechsel mit seinem Opfer – Dennis Hopper –, bevor er es erschießt. Wie er dessen bizarre Beschimpfung mit spöttisch aufgerissenen Augen und Haifischlachen kommentiert, das ist »l'art pour l'art« in Reinform, Kintopp-Gegockel aus purem Spaß an der Freud'. Das gilt noch mehr für seinen berühmten Monolog in Tarantinos »Pulp Fiction« (1994). Darin erfüllt er als Soldat den Wunsch eines gefallenen Kriegskameraden und überreicht dessen Sohn in einer feierlichen Ansprache die Uhr des Vaters, die, über Jahre hinweg, an einem Ort im Körper versteckt wurde, in den nie die Sonne scheint. Gipfel der Coolness ist aber das Musikvideo »Weapon of Choice« (2001) von Spike Jonze, in dem Walken zur Musik von Fatboy Slim die Wände hochtanzt. »Das machte mich bei der MTV-Generation bekannter als alle meine Filme.«
Walkens leichtfüßiges Tänzeln zwischen »High« und »Low« kommt nicht von ungefähr. Bevor er mit Mitte dreißig seinen späten Durchbruch schaffte, war er schon seit Jahrzehnten im Geschäft. Geboren ist er in New York, getauft auf den Namen Ronald – nach dem Schauspieler Ronald Colman, von dem seine Mutter begeistert war. Schon mit fünf Jahren trat er in Werbefilmen und TV-Shows auf; er nahm Tanzunterricht und nutzte jede Gelegenheit, sich auf der Bühne auszuprobieren. Später schlug er sich viele Jahre Off-Broadway durch, tanzte und sang in Musicals. Auch in seine Filme konnte er gelegentlich eine Tanzszene einschmuggeln – in Musicaladaptionen wie »Pennies from Heaven« (Tanz in den Wolken, 1981) oder »Hairspray« (2007), aber auch in »Catch Me If You Can« (2002) und »Die Frauen von Stepford« (2004). In Interviews sagt er oft, er sei im Grunde kein Schauspieler, sondern Tänzer. Und tatsächlich haben seine Bewegungen etwas Elastisches. »Ich zähle immer noch stumm meine Tanzschritte, wenn ich durch den Raum gehe. Zwei, zwei, vier. Drei, drei, vier. Ich tue das, während ich spreche.« Vielleicht ist diese eingeübte Disziplin auch der Grund für seine markante Sprechweise. Es lohnt sich, ihn im Original anzuhören, denn Walkens ungewöhnlicher Sprachrhythmus, sein königliches Ignorieren von Satzzeichen, sorgt dafür, dass selbst banale Sätze spannend klingen. Und dann sind da natürlich seine aschblonde Haarpracht, die vampirbleiche Haut, der Medusenblick aus großen, wasserblauen Augen, die so viele – meist verstörende – Emotionen ausdrücken können. In seinen ersten Filmen ist er ein wahrer Cherubim, geradezu verboten schön. In späteren, etwa ab dem Jahr 2000, beginnt er, übrigens der Sohn eines aus Essen stammenden Bäckers, mit seinen weichen Zügen Hanna Schygulla zu ähneln, besonders wenn er die Haare länger trägt.
Method Acting, das sich Hineinwühlen in einen Filmcharakter, ist nicht sein Ding. Manchmal, so sagt er, hat er weder das ganze Drehbuch gelesen, noch überhaupt den Film angesehen. Und das braucht er auch nicht, um mit wenigen Sätzen Eindruck zu machen. Steven Spielberg, der ihn in »Catch Me If You Can« als leicht windigen Vater von Leonardo DiCaprio besetzte, betrachtet ihn als Genie: »Er ist der vielleicht instinktsicherste Schauspieler, mit dem ich je gearbeitet habe.«
»Ich war immer ein Exot«, sagt Christopher Walken von sich selbst; Regisseure bezeichnen ihn unisono als besonders sensibel, als Seismograf der Stimmungen anderer. Sein Gefühl der Fremdheit und Distanz gegenüber seiner Umgebung ist vielleicht der eigentliche Kniff seiner alienhaften Ausstrahlung. Auch wenn er nach seinem Auftritt als langhaariger, sendungsbewusster Regisseur in der Showbusiness-Komödie »America's Sweethearts« (2001) die Freaknummern hinter sich gelassen hat, überglänzt er selbst altersweise Charakterrollen mit einem Quäntchen Irritation, einem Hauch Paranoia. So hegt er auch als Kopf eines Streichquartetts im wunderschönen Drama »Saiten des Lebens« (2013) oder im melancholischen Gangsterdrama »Stand Up Guys« (2012) an der Seite von Al Pacino seine Geheimnisse.
Je mehr man versucht, den Menschen Christopher Walken zu fassen, umso cooler wirkt er – gerade weil er das totale Gegenteil seiner irrlichternden Leinwandfiguren zu sein scheint. Walken befand sich zwar auf jener Jacht, auf der 1981 Natalie Wood, seine Filmpartnerin im Sci-Fi-Thriller »Projekt Brainstorm«, unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Doch davon abgesehen ist sein Leben jenseits der Kamera so langweilig, dass es schon wieder exzentrisch anmutet. Er ist seit 1969 mit derselben Frau, einer Casting-Agentin, verheiratet, und lebt auf dem Land in Connecticut. Seinem deutschen Vater verdankt er die Arbeitswut und sein Bedürfnis nach penibler Sauberkeit. Er ist so sparsam, dass seine Garderobe aus den vom Filmset mitgenommenen Kostümen, »die meistens besonders gut gearbeitet sind«, besteht. Sein einziges Hobby ist das Kochen, statt über sein Leben hat er über seine Katze geschrieben. Zwar hat sich inzwischen sein Wunsch erfüllt, dass er, statt schillernde Bösewichte zu mimen, mal einen Familienvater geben darf, »so einen mit adretter Ehefrau und netten Kindern und gutmütigem Hund«. Doch jemanden, der dem echten Christopher Walken nahekommt, unprätentiös, zurückgezogen, der »viel arbeitet und gesund zu bleiben versucht – so einen Typen wie mich habe ich noch nie gespielt.«
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